Patt Smith – Land 1975-2002 :: Poetin aus der Gosse
„And The Boy Looked At Johnny…“ , heißt eine fantasiereich illustrierte Buch-Retrospektive über die turbulente Punk- und Wave-Gründerzeit. Das Zitat entstammt den ersten Worten des neunminütigen Song-Tryptichons „Land“ von Patti Smiths ausgezeichnetem Debüt HORSES, das John Cale 1975 in Szene setzte, noch bevor Vergleichbares, etwa Televisions MARQUEE MOON und die gleichnamigen Debüts von Blondie und den Ramones, erschienen waren. HORSES, benannt nach einem Slangausdruck für Junkies, markierte das erste von sieben Patti-Smith-Alben in zweieinhalb Dekaden – gewiss, ein nicht gerade üppiger Output. Doch war Patti Smith nicht schon immer eine Ausnahmekünstlerin, eine radikale Querdenkerin außerhalb der Norm? Eine oft falsch verstandene Antifigur mit bizarren Ansichten über Gott, Sexualität, Schmerz, Sünde und Spiritualität? Surreale Hohepriesterin und Gossenpoetin, der schon allein deshalb Hochachtung gebührt, weil sie den Mut aufbrachte, dem alles verschlingenden Moloch Rock’n’Roll den Rücken zu kehren? Gerade in Zeiten angepasster Reißbrettkünstler und permanent sich selbst darstellender Dünnbrettbohrer ist Smith eine wahre Heldin.
Und so wirkt auch die ungewöhnliche Veröffentlichungspotitik der ersten properen, dem 1990 verstorbenen Richard Sohl gewidmeten Werkschau LAND (1975-2002) durchaus ein wenig wunderlich. Gerade mal 30 nicht chronologisch kompilierte Tracks auf zwei jeweils noch für den einen oder anderen Song Platz offerierenden Silberlingen ist die Lichtgestalt ihrem langjährigen Vertragspartner Arista wert. Angesichts opulenter vier oder fünf CDs enthaltender Boxsets weitaus unwichtigerer Musiker stimmt so ein dürftiger Rahmen schon ein wenig nachdenklich. Pattis künstlerisch hochwertige Geistesblitze hätten locker eine dritte CD gefüllt.
Immerhin, die 17 Songs von Disc 1 ermittelte Pattis US-Fanclub per Mausklick in demokratischer Abstimmung. An der Auswahl gibt es nichts zu mäkeln: Single-Klassiker wie „Because The Night“, „Frederick“, „People Have The Power“ und „Gloria“, diverse Alben-Key-Tracks („Rock’n’Roll Nigger“, „Pissing In A River“) ergänzen sich mit der nagelneuen, von Langzeit-Sidekick Lenny Kaye etwas müde produzierten Prince-Coverversion „When Doves Cry“. Klar aber auch, dass bei so knapp bemessenem Raum wichtiges Material unter den Tisch fällt. Obwohl vom internationalen Bestseller EA-STER immerhin vier Auszüge Platz fanden, ist das Fehlen von Hymnen wie „Till Victory“, „Privilege (Set Me Free)“ und „25th Floor“ unverzeihlich. Auch Longplayer Nummer vier, WAVE, eine stilisierte Blaupause des erfolgreichen Vorgängers, ist mit nur zwei Songs unterrepräsentiert.
Versöhnlich stimmt hingegen der Inhalt von Disc 2. Sage und schreibe 13 bis dato unveröffentlichte Einspielungen lassen sicherlich nicht nur Fanherzen höher schlagen: „Redondo Beach “ und „Distant Fingers“ – beide von 1975 – finden sich hier in Demoversionen. In einer knapp sechsminutigen ’78er-Livefassung liegt das EASTER-Kernstück „25th Floor“ vor. In atmosphärisch dichten Konzertmitschnitten von 2001 beeindrucken „Dead City“, „Spell“, „Wing“, „Boy Cried Wolf“ und das hinreißende „Birdland“. Geradezu sensationell sind die intensiven, manischen GONE AGAIN-Outtakes „Come Back Littte Sheba“ und „Wander I Go“ (mit Ex-Television Tom Verlaine und dem verstorbenen Jeff Buckley) sowie das 2001 im Gruppenkollektiv entstandene, über sieben Minuten lange „Higher Learning“.
Ein weiteres Glanzlicht ist das im Januar 2002 in der New Yorker St. Mark’s Church mitgeschnittene Poetry Reading „Notes To The Future“ inklusive eines ihrer Mutter Beverly gewidmeten Hidden Tracks. Warum allerdings von der 1974 in selbst finanzierter Miniauflage bei dem Indie M.E.R. erschienenen Single-Rarität „Hey Joe“/“Piss Factory“ nur die B-Seite den Weg auf die Anthologie fand, löst abermals nur kopfschüttelndes Unverständnis aus. Dennoch: Unterm Strich ist LAND [1975 – 2002) ein kompaktes Porträt einer faszinierend schillernden und eigensinnigen (Musiker-)Persönlichkeit.
www.pattismithland.com
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