Pink Floyd – Is There Anybody Out There? – The Wall Live 1980-81

EMI Um die Diskussion darum, ob das denn wohl Geldschneiderei sei, nach 20 Jahren „The Wall Live“ rauszubringen, abzukürzen: Lasst uns friedlich sein. Die paar Millionen Kröten mehr werden wir doch den alten Herrn auch noch gönnen, oder? Und ehrlich: Das hier ist eine ganz legitime Angelegenheit: IS THERE ANYBODY OUT THERE? ist klanglich und musikalisch so nah am Studioalbum von 1979, dass man als weniger glühender Fan nicht beide braucht, es sich aber dem -hüstel-Einsteiger durchaus als Kaufalternative zum Original anbietet. Dabei aber so reizvoll, dass sich der Enthusiast, der das Album runtersingen kann, auch noch bestens bedient sehen wird. Das Ding macht Laune. Wie dem Ansager, der zu Beginn des Mitschnittes dem schon ungeduldigen Publikum noch eben Veranstalterhinweise gibt (bitte keine Feuerwerkskörper, keine recording devices etc.) und gerade zu weiteren Ausführungen anhebt, zum kollektiven Aufschrei der Menge der mächtige Auftakt-Akkord von „In The Flesh?“ übers Maul fährt, das ist fast schon den Kauf der ganzen Doppel-CD wert. Dann stürzt der Stuka ab, die Boxen drücken sich fast durch und es ist klar, dass hier aufnahmetechnisch nicht eben gekleckert wurde. Dafür ist man schließlich das Haus Pink Floyd. Monatelang friemelten David Gilmour und James Guthrie „Wall“-Architekt Roger Waters war nicht an dem Projekt beteiligt, äußert sich nur in den Liner Notes – aus Mitschnitten der elf Aufführungen 1980 und 1981 im Londoner Earl’s Court die Ideale Show zusammen, digital aufbereitet und trefflich gemastert. Und so nimmt sie ihren Lauf, Waters’alptraumhafte-und autobiographische – Reise in die Psyche des Rockstars Pink, der, von Tourleben und Starruhm mental am Ende, im Motelzimmer depressiv auf seinen Auftritt wartet und mit seinen Ängsten und Psychosen konfrontiert wird, bevor er in einem kathartischen Prozess die Mauer der Isolation, die er um sich aufgebaut hat, niederreißt. Mit vier Zusatzmusikern (Andy Bown – Bass, Peter Woods – Keyboards, Willie Wilson – Drums, Snowy White und später Andy Robert – Gitarre) und vier Background-Sängern, dazu Soundeffekten und Michael Kamens Orchesterarrangements vom Band, rückten Waters, Gilmour, Nick Mason und Rick Wright dem bombastischen Koloss zu Leibe. Und das hat definitiv heute noch seine Momente. Sicher eher für Eingefleischte interessante, wenn etwa „Mother‘ ein Akustikgitarren-Vorspiel bekommt oder „Another Brick In The Wall – Part 2“ (mit dem Kinderchor vom Band) durch ein Keyboard-Solo um drei Minuten erweitert wird. Überhaupt wird natürlich mehr soliert hier: Vor allem Gilmour nimmt sich das Recht auf die ein oder andere ausufernde Gitarreneskapade. Wer möchte es ihm verdenken: Auf einer zehn Meter hohen Hebebühne an der Mauer stehend – wie Gilmour während „Comfortably Numb“ -, vor sich den überlebensgroßen eigenen Schatten, der von einem loooWatt-Strahler aufs i5.oooköpfige Auditorium geworfen wird, könnten wohl die wenigsten Gitarristen an sich halten. Da sind viele kleine Sachen, die das ganze spannend machen: Waters‘ Stimme ist bisweilen hart am Brechen, kontrastiert vor allem in abwechselnd gesungenen Songs wie „Comfortably Numb“ und „Run Like Hell“famos mit Gilmours warmem, vollem Gesang. Gilmour fasst seine Gitarre meist weitaus robuster an als im Studio. Wright und Woods legen effektvolle, überraschende Synth-Flächen. Interessant sind Bits, die der Floyd-Sammler bislang nur auf Bootleg hatte: Das eindringliche „What Shall We Do Now?“, ein auf dem Studioalbum nicht verwendetes Fragment, schließt an „Empty Spaces“ an, wo sonst „Young Lust“ direkt reinkommt. „The Last Few Bricks“ nimmt als eine Art Zwischenspiel (während dessen Bühnenarbeiter die letzten Papp-Steine aufschichteten) noch einmal die Themen vorangegangener Songs auf. Und es gibt absolut delikate Szenen wie Waters‘ zynische Ansage (die einzige überhaupt) zu „Run Like Hell“, bei der man sich schaudernd fragt, wie weit er dabei nur in der Rolle seines mittlerweile Hass-Phantasien nachhängenden Helden Pink aufgeht: „Are there any paranoids in the audience tonight?“, zischt er kalt, „Is there anyone who’s weak?“ Natürlich jubelt die Menge begeistert auf und man sieht fast Waters‘ verächtliches Grinsen vor sich, als er mit einem übergeschnappten Kreischen in der Stimme über das Eröffnungsriff losbrüllt: „This is for you! It’scalled’Run Like Hell‘!… Comeon! I can’t hearyou! Put your hands together! Have a good time! Enjoy yourselves!!!“, und dann einen hysterischen Schrei ausstößt, der fürwahr verstörend ist. Und hier sind wir endgültig bei der Existenzberechtigung von IS THERE ANYBODY OUT THERE?: Auf der Bühne ist „The Wall“ da, wo sie herkam und wo sie hingehört. Waters hatte seinen ganz persönlichen Albtraum vom Showbiz darin verarbeitet und sich dann damit in diesen zurück gewagt. Was soll man noch sagen? Verpackt ist das ganze – wie gesagt: Wir sind hier im Hause Floyd – opulent mit dickem Farbfoto-Baoklet (Design: Storm Thorgerson; die Limited Edition kommt im Pappschuber) und aufschlussreichen Interviews mit den Beteiligten (von der Band bis zum Bühnendesigner Mark FisherJ.Tja. Und der Schreiberling hier freut sich sehr darüber.