Priests

The Seduction Of Kansas

Polygon/Cargo (VÖ: 5.4.)

Postpunk, der uns aus neuen Perspektiven und ein ganzes Stück poppiger als zuletzt nahezubringen versucht, was mit den USA, mit uns und der ganzen Welt nicht stimmt. Unsere Platte des Monats im gedruckten Musikexpress.

Wer diese Band aus Washington, D.C. schon einmal live erlebt hat und sich dabei den Schweiß der für die Bühnenmitte geborenen Sängerin Katie Alice Greer ins Gesicht schütteln ließ, könnte mit guten Argumenten bewaffnet behaupten, er habe ein Punkkonzert erlebt … Ja, vielleicht lässt er das „Post-“ einfach mal weg. Wer sich allerdings ernsthafter in Priests verliebt hat – dazu hatte uns ihr Debüt NOTHING FEELS NATURAL von 2017 ausdrücklich verführt –, der liebt sie nicht nur für ihre direkte Energieübertragung, sondern auch für ihre Fähigkeit, mindestens mal 50 Shades of Grey zum Ausdruck zu bringen.

Man könnte diese in direkter Nachbarschaft zur US-Machtzentrale aktiven DIY-Gruppe, die seit 2014 ihre Unabhängigkeit verteidigt, Solikonzerte spielt und sich laufend politisch äußert, bestens in einer David-gegen-Goliath-Oppositionsrolle zu Trump besetzen. Darin, dass diese Ausgeburt der Politshow-Hölle dem gesellschaftskritischen Punk(rock) eine neue Blütezeit bescheren wird, waren sich viele Musikjournalisten ja schon vor Trumps Amtseinführung einig. Weil die … also wir uns aber auch dermaßen verzehren nach neuen Waves und mehrheitsfähigen Eindeutigkeiten. (Unter dieser Prämisse haben wir auch unseren D.C.-Korrespondenten Daniel-C. Schmidt bei den Priests vorbeigeschickt – wenn alles geklappt hat, gibt es darüber im nächsten ME etwas Spannendes zu lesen.)

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Nur: Priests sind für einfache Nenner und die Goliath-Nummer nicht zu haben. Dass im Staate USA (und dem Rest der von Gier getriebenen Welt) seit jeher einiges stinkt, machten sie bereits im Titel ihrer ersten, insgesamt noch groberen 2014er EP deutlich: „Bodies And Control And Money And Power“. Deren letzte Zeile demonstrierte überdies, dass es auch damals nicht an Feindbildern mangelte: „Barack Obama killed something in me and I’m gonna get him for it.“

THE SEDUCTION OF KANSAS zeigt schon im Titel, dass Priests heute reflektierter und differenzierter (aber nicht weniger leidenschaftlich) vorgehen, um ihr Unverständnis und Uneinverstandensein zu artikulieren. Er geht auf einen Sachbuch-Bestseller von 2004 zurück, in dem ergründet wird, wie aus dem arbeiterbewegten Staat im Mittleren Westen ein Nest der bibeltreuen Ultrakonservativen werden konnte. Gleichnamiger Song beschreibt in einer bildstarken, schlagwortreichen Sprache eher Gefühle und Atmosphäre als Fakten, um verständlich zu machen, warum gerade benachteiligte, sich nach Anerkennung sehnende Menschen für solche gefühlte Wahrheiten so empfänglich sind: „All of the sunday dress mothers caress your face and say: ‚It’s you, I’m the one who loves you, it’s true, I’m the one who loves you‘“. An anderer Stelle, wie in „YouTube Sartre“, wird noch deutlicher, dass sich Priests bei ihren Fragestellungen und kritischen Beobachtungen selbst nicht ausnehmen; wie sich überhaupt auf Albumlänge zeigt, dass hier weniger an politischen Aufsätzen gearbeitet, sondern vor allem aus persönlichen Konflikten und Zwiespältigkeiten heraus getextet wird. Wo einem die manchmal noch etwas unschlüssig wirkenden Lyrics dann vielleicht nicht ganz kriegen, erledigt das der sehnsuchtsvolle, aus engem Herzen hervorquellende Gesang von Katie Greer.

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Diese Stimme, G. L. Jaguars exponierte Gitarre und das Talent dieser Band, auf Grundlage der oft deutlich hervorscheinenden Vorbilder aus dem Postpunk, New Wave und den Girl-Punkrock-Bands der 90er sehr plausible, hook-straighte Songs zu schreiben, gaben den nächsten konsequenten musikalischen Schritt vor: Mit Hilfe des dauerbeschäftigen Produzenten John Congleton (St. Vincent, Blondie, Future Islands usw.) nahmen sie ein Album auf, das betont poppiger, ja new-waviger (den Titelsong hätte man 1982 nicht mehr von der Tanzfläche gelassen!), gleichzeitig noch atmosphärischer und stimmungsreicher ausgefallen ist als sein Vorgänger.

Die fünf besten Songs: 1. I’m Clean 2. The Seduction Of Kansas 3. Good Time Charlie 4.  Texas Instruments  5. Jesus‘ Son 

Klingt wie: Siouxsie And The Banshees: KALEIDOSCOPE (1980) / Au Pairs: PLAYING WITH A DIFFERENT SEX (1981) / Wild Flag: WILD FLAG (2011) / FRIGS: BASIC BEHAVIOUR (2018)

Hier THE SEDUCTION OF KANSAS von Priests im Spotify-Stream hören:

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