Public Image Ltd. – Metal Box / Plastic Box :: Stockhausen auf Punk

Als Relikt einer längst vergangenen Ära mag John Lydon heutzutage wahrgenommen werden; ein verquerer, widersprüchlicher Geist, der mit einem seltsamen Hang zu peinlichen Auftritten – wie in der britischen Version des TV-Reality-Formats „Dschungel Camp“ („l’m A Celebrity, Get Me Out Of Here!“) – sein Image als nihilistischer Rebell konterkariert und in Interviews seine Funktion als Impulsgeber der Popkultur gerne herunterspielt. Als Frontmann der Sex Pistols gilt Lydon in der Rolle der Kunstfigur Johnny Rotten noch immer als Ikone, die nachhaltig die Entwicklung der Popkultur verändert hat. Mit der Nachfolgeband Public Image Ltd. (Kurzform: PiL) legte der Sohn einer irischen Einwandererfamilie das Fundament zum experimenteller ausgerichteten Genre Post-Punk. Seine Pioniertaten fasst der 54 Jahre alte Veteran, der mit seiner deutschen Ehefrau Nora seit Jahren fern der britischen Heimat im kalifornischen Los Angeles residiert, in einer verblüffenden These zusammen: „I do not copy or imitate, but you are more than welcome to proereate“.

Fortgepflanzt haben sich die kreativen Spleens Lydons auf unterschiedliche Weise: Ein Heer an schicken Boutique-Punks macht den Nimbus der Sex Pistols auch jüngeren Generationen begreifbar. Aber auch der Einfluss von Public Image Ltd. ist nicht zu unterschätzen. Auf acht qualitativrecht unterschiedlichen Studioalben brachte es die von Lydon im Kerntrio mit Bassist Jah Wobble und Gitarrist Keith Levene 1978 aus der Taufe gehobene Band im Laufe von 14 Jahren. Die Neuauflage des 1999 erstmals erschienenen Vier-CD-Sets PLASTIC BOX bietet wichtige Albentracks, 12-Inch-Mixes, BBC-Sessions sowie A- und B-Seiten rarer Singles. In der Summe entsteht so ein Porträt, das perfekt den Zeitgeist der leweiligen Entstehungsgeschichte widerspiegelt: Frühwerke wie „Public Image“, „Annalisa“ und „Flowers Of Romance“ neigen zum Experiment. Nach dem Abgang von Levene und Wobble mutierte der von nun an von ständig wechselnden Musikern unterstützte John Lydon mit Songs wie „(This Is Not A) Love Song“, „Rise“ und „Seattle“ zum massenkompatiblen Pop-Populisten. Blechernen Elektro-Pomp liefern hingegen spätere Produktionen wie „Warrior“, „Dissapointed“ und „The Body“.

Ein Meilensteinalbum haben PiL hinterlassen: METAI. BOX, das im Jahr 1979 in 60.000er Erstauf läge (finanziert mit 35.000 Pfund aus dem Vorschuss der Band) in einer Filmdose aus Metall mit drei 12-Inches Name: Public Image Ltd. Ursprünglicher Name: Carnivorous Buttock Flies Genre: Post Punk, New Wave, Dub, Pop Aktiv von: 1978 bis 1992 Reformiert: 2009 Gründungsmitglieder:

John Lydon, Jah Wobble, Keith Levene Jim Walker, Miklos Toldi, Jeanette Lee Inspiriert von: Faust, Can, Neu!, Captain Beefheart, Van der Graaf Generator, Lee „Scratch“ Perry, King Tubby, Arnold Schönberg, Karlheinz Stockhausen veröffentlicht wurde und ein Jahr später noch einmal um einen Song erweitert als SECOND EDITION in ausklappbarem Cover als Doppel-LP erschienen ist. Das Album ist auch noch 31 Jahre später in der Neuauflage als Mini-Blechdose mit drei CDs ein Meisterwerk zwischen Kunst, Anspruch und Innovation. Von klugen Köpfen wurde METAI. BOX als atonale Hommage an Captain Beefheart im Disco-Zeitalter bezeichnet, als Punk-Interpretation von Arnold Schönberg und Karlheinz Stockhausen oder aber als radikale Antwort der Briten auf den innovativen Krautrock deutscher Musikpioniere wie Can, Faust, Neu! und Amon Düül II. Nach dem eher konventionellen Debütalbum FIRST ISSI’E beeindruckte die zweite Platte von Public Image Ltd. als Spielplatz für Improvisationen abseits von kommerziellem Kalkül. Die elf Tracks des Albums, die zwischen März und Oktober 1979 in diversen Sessions im hauseigenen Virgin-Studio „The Manor“ und vier weiteren Studios in und um London mit den Schlagzeugern Dave Humphrey, Richard Dudanski und Martin Atkins entstanden, faszinieren vor allem durch ihre Zeitlosigkeit.

Paranoia, Lebensangst und Resignation kennzeichnen die für jene Ära typische Grundstimmung auf dem Album – ausgelöst durch Lydons immensen Alkoholund Amphetaminkonsum, Keith Levenes schwere Heroinabhängigkeit sowie Jah Wobbles Weigerung, mit der Sucht und Disziplinlosigkeit seiner beiden Kollegen umzugehen. Kompensation fanden die sozialen Spannungen in grobkörnigen Klanglandschaften, die von Jah Wobbles verschachtelten Basslinien im improvisierten Dub-Reggac-Stil und Keith Levenes metallischen Gitarrenwänden dominiert wurden. „Careering“ thematisiert den Bürgerkrieg im nordirischen Ulster, der in der rhetorischen Frage „Is this Irving?“ mündet. Um eine Entführung mit anschließender Vergewaltigung kreist das soziapathische „Poptones“. In „Swan Lake“ (als Single auch unter dem Titel „Death Disco“ veröffentlicht) schildert John Lydon düster und poetisch den langsamen Tod seiner Mutter- mit deutlichen Anklängen an Tschaikowskis „Schwanensee“. Das fast 13-minütige Finale ist als Medley konzipiert, mit den kakophonischen Teilabschnitten „Socialist“, „Chant“ und der Klangcollage „Radio 4“ von Keith Levene.

www.johnlydon.com

„Ich höre, also bin ich“ S: 114