Rock-Spezial

Stockholms Hells Angels schlagen zu: The Leather Nun sind eine absolute Einzelerscheinung, nicht nur unter schwedischen Bands: Jonas Almquists Gesang klingt wie die Kreuzung aus Iggy Pop und einem Tiefkühlschrank, erinnert an einsame Stunden in billigen Hotels, wo geisterhaftes Neonlicht das karge Interieur beleuchtet. Verzerrte Riffs und gediegene Melodien aber sorgen für ein Gegengewicht, harter Rock wechselt mit sanften Akustikpassagen, setzt Lebensfreude und individuelle Kraft gegen die Aussichtslosigkeit. LUST GAMES ist ein Wechselbad der Gefühle: Ein Teil ballt die Faust gegen die Sonne, der andere dämmert still im Basement. Kein Revival-Rock, sondern die Musik einsamer Außenseiter im ewigen Asphaltdschungel. (Vox/EfA. 6).

Eine heimliche Vorliebe für Krimi-Hefte? So richtigen Schund wie: „Geheimagent Rick Blade blieben noch genau 24 Stunden Frist, um Cynnamon, die schöne Tochter des Immobilien-Millionärs Pierpont Mauler, aus den Händen von Mr. Big zu befreien…“

Exit Out gefällt so was. So legen sie ihrer Debüt-LP ein herrlich übersteigertes, eigenproduziertes Groschen-Heft bei. Die Jungs sind aus Hannover, Sänger Jürgen Gleue war früher bei den 39 Clocks. Ihre Musik gehört in schmierige Nachtlokale, wo man bestenfalls Racke Rauchzart trinkt. Die von billigen, krächzenden Lautsprechern verzerrte Tanzmusik klingt so wie PERUSE PRANKSTER: Doors-Keyboards, kellerdumpfer Beat, undiszipliniertes Gitarrenspiel und dieser schimpfende, murrende Sänger. Wenn je eine deutsche Band psychedelische Musik hingekriegt hat, dann ist es diese (EfA,5).

Dagegen wirken die Psychedelic-Ambitionen der Londoner Band Zodiac Mindwarp & The Love Reaction wie das wilde Gemetzel fehlgeleiteter Hardrocker: ein dröhnender, wahnwitziger Farbenrausch, brutale Dröhnung, gnadenlos und ohne Pause der Exstase entgegen. Hawkwind sind nichts dagegen. HIGH PRIEST OF LOVE ist nicht so lustig wie Doctor & The Medics, aber laut genug, um Tote aufzuwecken. (RTD-Vertrieb, 3).

Der Sound von Death In June erinnert an entlegene Mönchskloster, wo die Geister der Vorfahren in dunklen Kammern gelegentlich zu Instrumenten greifen, um den Nachkömmlingen den rechten Weg zu zeigen. Wunderbar auf THE WORLD THAT SUMMER der warme, traurige Trompeten-Ton, der in dieser sparsam arrangierten Klangwelt von der Klagemauer herüberschallt. Der erste Teil dieses Doppelalbums stellt den Song-Charakter in den Vordergrund, der zweite bringt ein paar schöne Instrumental-Versionen plus die ganzseitige Klangcollage „Death Of A Man“. Ein mysteriöses Werk. (New European/RTD-Vertr.,5).

Membranes sind ein Power-Trio aus Nordengland. Ihre LP GIANT gibt einen Eindruck von der wilden, ungezähmten Energie, die das Trio auf der Bühne entfaltet. Beim ersten Hören schneidet das Werk noch in die Ohren, doch hinter all der Attacke steckt ein geschickter Songaufbau und sogar Melodie. Die Texte sind eine durchaus lesenswerte Mischung aus beißender England-Kritik und guten Witzen über die dortige Underground-Szene (Constrictor/EfA. 5).

Ex-Fall-Gitarrist Marc Riley läßt seine neuformierte Band The Creepers mit „Baby’s On Fire“ debütieren. Manch einer kennt diesen Heuler noch in der OriginaKersion von Brian Eno, der zu jener Zeit weniger auf Meditations-Musik festgelegt war als heute. Die neue Version verläßt sich weitgehend auf die Qualität des Originals, an dessen juxiger Power hier nichts verlorengeht (Constrictor-Maxi,5).

Kaliforniens Leavlng Trains, deren WELL DOWN BLUE HIGHWAY in Westcoast-Kreisen Kultstatus genießt, haben ihre Gun Club-Obsessionen über Bord geworfen und sich für straighten Rock ’n‘ Roll entschieden. KILL TUNES startet zwar mit „Light Rain“, wo ein schüchternes Streicherarrangement Schmuse-Stimmung verbreitet, doch dann kommt der Hocker nicht mehr zu Stillstand. James Moreland ist ein Rock-Songwriter im klassischen Stil, seine Geschmackssicherheit beweist er u.a. damit, „Private Affair“ von den Saints zu covern. (SST, 4).

Auf dem kleinen englischen Label Hotwire ist eine LP mit Aufnahmen erschienen, die Nikki Sudden mit seinen alten Freunden Johnny Fean (Ex-Horslips) und Simon Carmody 1985 in Dublin eingespielt hat. Drei Songwriter in Lagerfeuerstimmung, zwischen Folk und Blues, im Geiste die Stones mit „Wild Horses“, akustische Gitarren, inspiriert von der tödlichen Mischung aus Rotwein und Guinness. (5)

The Jesus & Mary Chain, die als Bürgerschreck mit quietschenden und schreienden Gitarren-Rückkopplungen die Pop-Szene terrorisierten, geben sich auf ihrer „Some Caridy Talking“ E.p. schon wesentlich braver als gewohnt. Doch da ist dieser Text, der verführerisch von Drogenexzessen schwärmt und ihr Rebellen-Image aufrechterhält. (WEA, 4).

Speedig und geladen wie immer klingen Australiens Celibate Rifles. die wohl vielseitigste Rock-Band von down under. Freunde dynamischer Hacker-Gitarren kommen voll auf ihre Kosten, langsame Songs mit mystischer Stimmung sorgen für Abwechslung. Titel der LP laut Cover: THE TURGID MIASMA OF EXISTENCE. Laut Rücken: HAPPENING SOUNDS FOR THE YOUNG DEGENERATION. Parallel erscheint ein Sampler mit alten Aufnahmen aus Australien, darunter das gesuchte „Darlinghurst Confidential“. unter dem Titel MINA MINA. (Hot/RTD-Vertrieb, beide 4).

Ex-Shockabilly-Leader Eugene Chadbourne hat sich für seine neue Produktion mit Brian Ritchie und Victor De Lorenzo, der Rhythmusgruppe der Violent Femmes, zusammengetan. Herausgekommen ist mit CORPSES OF FOREIGN WAR, ein humoriges Album mit einigen Cover-Versionen bekannter Protestsongs der 60er Jahre. Musik, die den Musikern im Studio sehr viel Spaß gemacht haben dürfte. Aber: Wird das europäische Volk den Witz verstehen? Und: Sind die Songs in dieser Form noch Protestsongs? (EfA-Vertr., 3).

The Legend!, eifrigen Lesern des New York Musical Express als engagierter Kolumnist bekannt, ist jetzt auch auf Platte erhältlich: EVERYTHING’S COMING UP ROSES ist sei:) kämpferisches Statement für eine bessere Musikszene, für mehr Underground und Gefühl. Seine Songs sind brüchige Fragmente zwischen Folk und Rock, zu verschroben, um wirklich gefallen zu können (RTD-Import, 3).

Wem die staubige Italo-Western-Atmosphäre von Stan Ridgways „Camouflage“ zusagt, der dürfte auch an „Mexico Sundown Blues“ Gefallen finden. James Ray & The Performance sind zwar Engländer, doch sie haben Gespür für den langen Wüstenritt. Produziert von Andrew Eldritch, durchaus tanzbar zu nehmen (Merciful Release, 4).

Auf der neuen Maxi „A Screw“ haben Swans ihren Dampfhammer-Beat aufgelockert. Mittels Computer-Sample-Technik mutierte Soul-Bläsersätze ergänzen schweren Zeitlupen-Funk, dazu beschwört Sänger Michael Gira den Geist des heiligen Dollars. Ungewohnt lyrisch die B-Seite „Blackmail“, wo eine elfenhafte Frauenstimme zu lyrischen Piano-Tönen entschwebt (Vox/EfA, 4).

Cassandra Complex aus Leeds/ England spielen Trash-Elektronik; ihre Songs drehen sich um Sex und Fernsehen. Die neue Maxi „Datakill“ konzentriert sich auf den zweitgenannten Bereich und ist somit nicht ganz so lustig wie der Vorläufer „Moscow Idaho“. Aber die Mischung aus schnellem Computer-Beat und billig verzerrter Fuzz-Gitarre kommt noch immer gut zusammen; auch diese Maxi bringt Bewegung, auch wenn der Sänger lediglich ein paar Schlagworte ins Getümmel streut (Normal/EfA, 4).

Schöner britischer 80s-Beat aus dem Umkreis der TV‘ Personalities kommt von der Band mit dem traumhaften Namen One Thousand Violins. Schnell und harmonisch laufen die sechs Songs des Mini-Albums PLEA-SE DONT SANDBLAST MY HOU-SE, musikalisch anzusiedeln zwischen Orange Juice und Aztec Camera. Für sanfte. nachdenkliche Menschen (Constrictor/EfA, 4).

Das Hagener Pastell-Label kümmert sich um deutschen Beat-Nachwuchs, lehnt aber reine Revival-Gruppen ab. Namentlich gesehen scheinen Gruppen, die sich Ferry Boat Bill oder Well! Well! Well! nennen, diesem Anspruch nicht zu genügen, doch auf musikalischem Gebiet machen beide Bands auf ihren Debüt-Singles einen durchaus selbstbewußten Eindruck: W!W!W! mit Spuren in Melodie gepreßter Aggression in „What Life’s About“; F.B.B, zwischen Coolness und Weltschmerz auf gleich vier Songs (Pastell, Bergischer Ring 93. 5800 Hagen, beide 4).

Auch nicht schlechter klingen The Chud aus Berlin, mit dabei der nimmermüde Sandy Hobbs (Ex-Beatitudes, Ex-Black Carnations). „Don’t Call Me Batman“ klingt für eine Underground-Produktion schon verdächtig sauber (Twang, Birkbuschstr. 47. 1 Berlin 41,4).