Rock-Spezialitäten

Die monatliche Perle kommt von der New Yorker Gruppe The Golden Palominos: Bill Laswell (Baß), Anton Fier (Drums). Chris Stamey (der Gitarrist der legendären DB’s) und Michael Stipe (von R.E.M., Gesang) haben sich den Song „Omaha“ von einer der größten Rock’n’Roll-Bands, die Los Angeles je hervorgebracht hat (nämlich Moby Grape), vorgenommen und sich bei ihrer Interpretation eng an das psychedelische/frenetische Rock-Original gehalten. Diesen hervorragenden Song (Moby Grape spielten ihn auf ihrer ersten LP, 1967) gibt es nur als USA-Import (Celluloid) in der Form einer Single. (5) Bonzo Goes To Pitsburg heißt die nur in England erschienene Maxi-Single der Ramones, die vom ehemaligen Plasmatics-Bassisten Jean Beavoir produziert wurde (Beggars Banquet). Die Ramones haben Präsident Reagans Besuch in Bitburg zum Anlaß genommen – Ramones Go Politti -, um ihren bewährten Minimal-Rock herauszujagen. (Man kann eine schöne Sex-Pistols-Gitarre hören!) (4) Der gute/alte Sänger Roy Orbison, bekannt durch seinen Herzreißer „Only The Lonely“, ist wieder aufgetaucht: im bombastischen, Phil-Spector-artigen Sound singt er romantisch & tragisch die Ballade „Wild Hearts“ aus dem neuen Nie Roeg-Film „Insignificance“ (in dem sich Monroe & Einstein die Hand geben). Neben Cassidys“The Last Kiss“ ist dieser Orbison-Song das Schönste, was Schmalz & Pop momentan zu bieten haben! (ZTT/ Ariola) (5) Die 10 000 Maniacs kamen mit ihrem kühlen Popsong „My Mother The War“ überall bestens an. Auf ihrer neuen Maxi „Can’t Ignore The Train“ (WEA) spielen sie leichten Beat-Swing und noch leichteren Calypso-Pop. Der eigenwillige Gesang klingt nach Debbie Harry, der Trance in der Musik nach den Cocteau Twins – eine überraschende Mischung! (4) Die 400 Blows haben sich seit längerer Zeit von ihrem ursprünglich düsteren Electronic-Beat ä la Cabaret Voltaire getrennt. Im Zeichen der Zeit (und des Trends) vergnügen sie sich mit „Movin“, dem Tanzklassiker der Brass Construction, auf dem bläserdurchnäßten Soul-Rasen. (Illuminated/ Ariola) (4) Jim Thirwell alias Foetus alias Clint Ruin stürzt sich zusammen mit dem Swans-Schlagzeuger Roli Mosimann unter der Flagge Wiseblood in den apokalyptischen Dampfhammer-Exzeß „Motorslug“ (K. 422/Rough Trade). Der Songtitel ist dem gleichnamigen Südstaatenroman von Flannery O’Connor entnommen und zitiert den Doors-Klassiker „Roadhouse Blues“ ebenso wie die zersetzende Stooges-Hymne „Death Trip“. Thirwell singt so quälend wie Iggy Pop; der treibende Electronic-Sound könnte vom D.A.F.-Duo kommen. (5) So weit die Maxis & 7-incher. Talking Head David Byrne geht auf seinem dritten Soloalbum Music For The Knee Plays (EMI) seltsame Wege: geschrieben für Robert Wilsons gigantische Oper „The Civil Wars“ (die ursprünglich zur LA-Olympiade aufgeführt werden sollte), besteht The Knee Plays aus instrumentalen und gesungenen/gesprochenen Stükken. Die Bläser-Parts haben ihren Ursprung bei den Prozessionen in New Orleans, während die atmosphärischen Klänge in der Nähe Popul Vuhs schwingen. Obskur & doch volkstümlich, (4) Vom San Francisco-Label Subterranean, das uns schon den Comic-Punk-Rock von Flipper bescherte, kommen zwei neue Alben: Cat From Fab 00 von der Mädchengruppe Frightwig attackiert mit rotzigem Punk und lustigem Flipper-Schlag: die hysterische Sängerin hört sich wie eine kreischende US-Hausfrau an, die in der Mülltonne herumturnt, um den vermißten Ehering zu suchen. (3) Das andere Werk, Grr Huh Yeah, präsentiert eine pulsierende Fusion aus rhythmischen Jazz-Elementen, primitivem Neandertal-Rock, asiatischen Voodoo-Percussion-Exkursionen und Beatnik-Poesie. Die Band heißt Longshoremen und wird bei ihrem interessanten Ausritt ins Elementare von diversen Jazz-Persönlichkeiten aus dem Frisco-Gebiet unterstützt. (5) Sakral & melancholisch sind die Songs der holländischen Formation Xymox. Auf dem Album Clan Of Yxox (4.A.D.) hämmert düster & monoton der Electronic-Rhythmus – zur hellen Freude der schwarzen Struwelpeter. Als Vergleich müssen hier Namen wie X Mal Deutschland und New Order erwähnt werden. Xymox bieten einen bombastischen Schwarzen Tanz für Wagner-Fans. (3) Immigrant (Situation Two/Intercord) ist das zweite Album, mit dem sich die Zwillinge Michael & J. Aston alias Gene Loves Jezebel ihrem finsteren Schlepp-Rock hingeben. Die tonnenschwere Ballade „Stephen“ überrascht durch wirkliche Tiefe. Leider werden die von John Cale produzierten Aufnahmen der Band noch weiterhin unveröffentlicht im Schrank dahinschmoren, weil sie noch unbearbeitet sind. (4) Besser als die letzten Culture Club-Produktionen klingt die Debüt-LP des Boy George-Busenfreunds Marilyn! Auf Despite Strange Lines (Mercury/IMS), produziert von Don Was und Clive Langer, überrascht Herr Marilyn mit modischem Show-Biz-Soul. Der Mann scheint viele Motown-Platten im Gedächtnis zu haben! (4) Die Abteilung Meditative Musik umfaßt die beiden Werke Regular Music (Rough Trade) und Douzieme Journee (Crammed/Normal); Regulär Music nennt sich die Gruppe um den ex-This Heat-Percussionisten Charles Hayward. Es gibt Musik für Streicher, Percussion und Sopran-Gesang, wobei der Akzent auf sich wiederholenden Klangstrukturen (Phil Glass ähnlich) liegt. Die andere LP, von Tuxedo Moon-Gründer Steven Brown in Zusammenarbeit mit dem Elektroniker Benjamin Lew erstellt, hängt mit ihren vielfältigen/ruhigen Instrumentalpassagen mehr in einer sphärischen Romantik. (Beide: 3) Der magische Bassist Jah Wobble hat mit dem Multi-Instrumentalisten Ollie Marland ein fließendes Funk-Jazz-Rock-Album eingespielt, mit beeindruckenden Bläser-Parts von Harry Beckett. Titel: Neon Moon (Ariola Import). (4) Überzeugende Blues-Gitarristen gibt es heute nur noch wenige – der Amerikaner Duke Robillard gehört mit seinen Pleasure Kings dazu; den Beweis liefert Too Hot To Handle (Demon/TIS/Wishbone). (4) Die Größen des Chicago Blues (Muddy Waters, JB Hutto, Junior Wells etc.) sind auf einem Doppelalbum – Chicago Blues (Red Lightnin/TIS) versammelt, das anläßlich eines Dokumentarfilmes über diese Musik erschienen ist. Ein Muß für alle Nick Cave-Fans! (5) Die Pushtwangers aus Schweden machen auf ihrer gleichnamigen Mini-LP melodiösen Power-Rock im Stil der amerikanischen Garagen-Rock-Bands der End-60er. Dynamischer und schmutziger ist das von Chris D. (Flesh Eaters) produzierte Live-Album Mesmerizer der australischen Lipstick Killers: Trash-Rock im Stil der New York Dolls. Aufnahmen der australischen Sunny Boys aus den Jahren 1981/’82 sind auf der Doppel-LP Days Are Gone zu finden: angenehmer, traditioneller Gitarren-Beat im Stil der swingenden alten Zeiten (60er Jahre). (Alle: Closer/Wishbone) (Alle: 4) Hartnäckig und intensiv haben sich die Meat Puppets aus Arizona mit ihrem dritten Album Up On The Sun (SST) dem Folk-Rock hingegeben. Ihre Songs tragen den naiven Charme der Velvet Underground ebenso wie das melodiöse Rockempfinden von R.E.M. (5) Das quirlige New Rose-Label aus Paris spuckt mal wieder interessante Neuigkeiten heraus: schnellen Rock ä la Dickies von den schwedischen Bangsters auf The Scarlet Plauge (5); schlichten Rock’n’Roll von den Kingsnakes auf Round Trip (3); ein mitreißendes Psycho-Potpourri durch die Voodoo-Musikgeschichte mit der Kim Fowley-Inkamation Dino Lee aus Austin/Texas – Albumtitel: The King Of White Trash (4); wüste Western- und Bluestöne mit The Band Of Blacky Ranchette aus Arizona – mit einer schwarzen Version des Neil Young-Hits „Revolution Blues“. (5) Doch zu den Höhepunkten des Monats gehören die Werke von zwei gestandenen Psycho-Rockern: Ex-13th Floor Elevators-Mentor Roky Erickson wurde im letzten Jahr wieder ins Studdio geschleppt, um fünf Songs zwischen Wahnsinn und Zombie-Rock einzuspielen: CLEAR NIGHT FOR LOVE (5) Alex Chilton, der Gitarrist aus Memphis, der die Cramps beeinflußt hat, zeigt mit seinem Album FEUDALIST TARTS, daß er zu den ganz Großen im souligen Rhythm & Blues-Morast gehört! (6) Bewegliche Polyrhythmen und schleichende Melodien bestimmen den Meta-Funk des neuen Albums von Shriekback – jene britische Band, die sich aus ehemaligen XTC- und Gang Of 4-Mitgliedern zusammensetzt. OIL AND GOLD (Ariola Import) knüpft ohne Lücken an den großen Vorgänger JAM SCIENCE an. (5) Aus AustinATexas melden sich Asleep At The Wheel mit einem neuen Werk zurück: PASTURE PRIME (DemonATIS), mit einem Gesangsauftritt von Willie Nelson, ist angefüllt mit herrlichem Country-Billy! Denn diese routinierten Cowboys wissen, worüber sie singen. (4) Morbiden Folk-Rock mit süßlichen Melodien spielt der Any Trouble-Gitarrist Clive Gregson auf seinem Soloausflug STRANGE PERSUA-SIONS (Demon/TIS): zwischen Richard Thompson und Scott Walker. (3) Angefeuert durch den Hiterfolg „Life In A Northern Town“ der Dream Academy, die das Stück Nick Drake widmet, bringt die Plattenfima des 1974 gestorbenen Drake das Album HEAVEN IN A WILD FLOWER (Ariola Import) auf den Markt: es ist ein Zusammenschnitt aus den Songs der drei Drake-LPs, die Genialität & Zerbrechlichkeit zugleich widerspiegeln. Zwingender Folk-Jazz für Jeden! (6)