Rock-Spezialitäten
Ein neues Gesicht in der Reihe stilvoller Kahlköpfe: Mit blaugetönter Haut und nicht-von-dieser-Welt-Blick posiert Bill Carter, Sänger/Gitarrist und Mastermind der Screaming Blue Messiahs, auf dem Cover von GUN SHY (WEA). Doch das Marsmenschen-Image verfliegt sofort, wenn Carter und seine Mitstreiter in klassischer Trio-Besetzung loslegen. Nach zwei mehr oder weniger live eingespielten Mini-LPs fällt das Studio-Debüt zwar etwas ruhiger aus als die furiosen Konzerte, doch die eigenwillige, zeitgenössische R&B-Grundlage der Carter-Komposition sowie seine virtuose, manchmal schräge Gitarrentechnik sorgen für gradlinigen Hörgenuß. (5)
Mit Ausnahme von Schlagzeug und wenigen Piano-Parts spielt Ex-Saints und Ex-Laughing Clowns-Leader Ed Kuepper auf seiner ersten Solo-LP alle Instrumente selbst. ELECTRICAL STORM ist weniger ein Gewitter als eine Sammlung schmuckloser Songs mit trockener Arrangements. Kueppers Stimme wie auch sein Gitarrenstil sind nicht zu imitieren: gewollt ausdrucksloser Gesang treffen auf hektisch übereinandergespielte, verwirrende Gitarrenspuren, deren Grundelemente aus dem Folk-Rock stammen. So erinnert diese LP (Hot Records) an das Solo-Werk des Wipers-Gitarristen Greg Sage.
Einen überzeugenden Einblick in das Schaffen des australischen Hot-Labels bringt der Sampler THIS IS HOT TOO mit Ed Kuepper,Celibate Rittes, Triffids, Chad’s Tree u.a. Viele der gesammelten Tracks waren bislang nur als kaum erschwingliche Import-Singles zu haben (Hot Label mit Rough Trade Vertr.,beide 5).
Als The Cramps einmal auf die Frage nach ihrer Lieblingsband Blood On The Saddle nannten, hatte hierzulande kaum jemand von dieser Band gehört. Heute, gut zwei Jahre später, erscheint die zweite LP dieser Band, die wohl als einzige das Etikett „Cow-Punk“ in Anspruch nehmen kann. Die rasend schnelle Square-Dances ihres Erstlines sind auf POISON LOVE (Stiff) etwas langsamer und damit verdaulicher geworden, während das musikalische Konzept sich kaum verändert hat. Sänger/Gitarrist Greg Davis (der Mann mit dem Filmstargesicht) und Sängerin Annette Zilinskas (auch nicht schlecht) sind in diesem Team konkurrenzlos. Ideal für Texas-Parties. (5)
In Europa nun endlich erhältlich ist der LP-Erstling der Droogs: STONE COLD WORLD gehört zum feinsten, was kalifornische Bands in der letzten Zeit zu bieten hatten, auch nach zwei Jahren Verspätung. Sind auf dieser LP noch Einflüsse von Dream Syndicate und Hüsker Dü zu hören, so verfolgt die Band auf aktuellen Aufnahmen einen eigenen, runderen Stil, wie die ihrem neuen Album ACID BEACH PARTY vorausgeschickte Single „Webster Field“ (US-Import only) recht eindrucksvoll belegt (Making Waves/UK-Import. 5).
Mask For hinterließen auf der letzten Alien Sex Fiend-Tour im Vorprogramm einen sehr guten Eindruck und erhielten prompt einen Plattenvertrag. Ihr Debütalbum zeigt Einflüsse britischen Post-Punks mit guten melodischen Einfällen und einem Schlagzeuger, der gekonnt jeden Stampf-Beat vermeidet. Diese Platte darf als Beispiel für einen gelungenen Versuch gelten, den Geist einer elektrisierenden Live-Band im Studio optimal auf Band zu bannen (EfA.5).
Das US-Trio Executive Slacks produziert eine Art Neo-Disco-Rock mit dominantem Kriegstanz-Getrommel und schweren Gitarren-Akkorden. Verzerrter Gesang und undefinierbare Keyboards füllen die Lücken. Störend wirken nur die vielen kurzen Füllsel-Stücke, auf denen überhaupt nichts passiert. Doch der Rest ist reine Energie (EfA.4).
Die französischen Bonapartes ließen ihre neue LP WELCOME TO THE ISLE OF DOGS von Lol Tollhurst produzieren und kommen damit ihrem Ziel, Frankreichs Cure zu werden, einen großen Schritt näher. Warum sie sich zugleich an Sky Saxons „Pushing Too Hard“ vergreifen mußten, bleibt ungeklärt. Ansonsten solide Mittelklasse (EfA. 3).
Notorische Reflexe liefern eine LP, die den Eindruck macht, als seien die letzten fünf Jahre spurlos an der Band vorübergegangen. Ein Song wie „Bresnjev Rap“ wirkt da symptomatisch: Breschnjew wie auch Rap sind längst Themen von Gestern, auch der Rest der LP klingt wie eine Zusammenstellung aus DAF-Outtakes und Experimenten der Berliner Dilettanten-Szene, auch alles von Gestern (SPV. 2).
Zwei empfehlenswerte Maxis für Fans englischen Düster-Pops im Stile von Red Lorry Yellow Lorry und Sisters Of Mercy: The Batfish Boys (mit Ex-March Violets-Sänger Simon D.) mit vier Songs auf der^CROCODILE TEARS E.P. – und The Rose Of Avalanche mit „Too Many Castles In The Sky“. Ebenso wie The Cassandra Complex, deren „Moscow Idaho“ lange an der Spitze der Indie-Charts zu finden war, kommen beide Bands aus Leeds. der neuen Hochburg des UK-Undergrounds. (Alle Rough Trade Vertr.. 4)
Wie nichts auf der Welt klingen dagegen die amerikanischen Butthole Surfers. Auf früheren LPs zerstörten sie amerikanische Musiktradition bis hin zum Hardcore-Punk, auf der neuen LP REMBRANDT PUSSYHORSE haben sie ihren eigenen Stil verfeinert. Während die verwandte Konkurrenz von Shockabilly beim subversiven Klamauk endete, frönten die B.S. der zahllosen Möglichkeiten primitivistischer Klänge. Die Musik ist extrem, aber nie penetrant, monoton, aber nie langweilig. Eine experimentelle Rockplatte, genau wie sie sein soll. Für Unvoreingenommene: (6, RT-Vertr.)
Dämon Edge und Helios Creed gründeten in San Francisco der mittleren 70er die Gruppe Chrome. waren mit ihren Experimenten der Zeit weit voraus und gelten neben den Residents als Vorläufer avantgardistischer Wave-Klänge aus Kalifornien.
Als Helios Creed die Band verließ, mutierte Chrome zu Dämon Edge & Band und erreichte größere Anerkennung mit eingängigerer Musik.
Alte Chrome-Freunde werden nun beim Hören von Helios Creeds X RATED FAIRTY TALES typische Chrome-Qualität entdecken: sägende Gitarren-Licks, unruhig wirbelndes Schlagzeug, verfremdete Stimmen. Eine insgesamt zu nostalgische LP (Subterranean/US-lmport. 3).
David Thomas, früher Sänger bei Pere Uhu, hat mit MONSTER WALKS THE WINTER LAKE sein insgesamt fünftes Solo-Album veröffentlicht. Er ist ein kompromißloser Musiker, der fernab von Trends und Massengeschmack eine eigene Welt mit Klängen und Bildern ausfüllt und dafür von einer Handvoll Fans vergöttert wird. Zu seiner Begleitband The Woodenbirds zählen drei weitere Ex-Pere Uhu-Mitglieder, doch die Musik funktioniert hier nur als Kulisse für Thomas‘ Textakrobatik, auch wenn die Kombination Akkordeon-Synthesizer einige Reize bietet. So klingt die LP wie eine Kreuzung aus Musical und Hörspiel (Rough Trade, 3).
Vic Godard versucht seit Jahren, die perfekte Schlager-LP zu machen, bei der seine Liebe zum Bar-Jazz ebenso zum Tragen kommt wie das internationale Flair von lateinamerikanischen Rhythmen, coolen Bläsern und dem Lebensstil des Swing. Auf T.R.O.U.B.L.E. läßt sich der Sänger von Musikern aus dem Dunstkreis von Working Week begleiten. Nur zwei Wochen Studiozeit sorgten für eine spontane LP. deren Arrangements die Geschichte des easy listening illustrieren. Heute auf Cocktail-Parties, morgen als Supermarkt-Muzak (Rough Trade, 2).
Unter dem Künstlernamen Fad Gadget einst Pionier in Sachen Elektropop, sucht Frank Tovey heute ein neues Publikum. Statt der lange versprochenen LP SNAKES & LADDERS kommt nun erstmal die Single „Luddite Joe“. Tovevs zweiter Versuch, mit aller Macht die Charts zu erreichen. Vermutlich ein guter Live-Track. aber als Single viel zu monoton (Mute. 2).
Sonntag im städtischen Sanierungsviertel. Vogelgezwitscher über Asphalt und Ascheimern. Die zugigen Fenster öffnen, Augen schließen und zum Klang der neuen Cocteau Twins-LP eine Weile entfliehen. VICTORIA-LAND, ausschließlich auf akustischen Instrumenten eingespielt, ist reiner, wunschlos schöner Klang, stimmungsmäßig ganz New Age statt britischer Dünsternis. Da vergißt man glatt die Miete (Virain. 3).
Charles Hayward, 1979-81 kreativer Mittelpunkt der Londoner Kult-Band This Heat, meldet sich nach langem Schweigen mit einer LP seiner neuen Band Camberwell Now. Beim Hören von THE GHOST TRADE (Ink) erinnert der gestandene Rock-Fan an das England der spaten 60er Jahre, wo Gruppen aus der englischen Universitätsstadt Canterbury wie Soft Machine, Caravan, Hatfield & The North mit ihrem typischen sanft-verspielten Sound Furore machten. Als Sänger und Schlagzeuger erinnert Hayward deutlich an den jungen Robert Wyatt, doch fehlt den langen, kompliziert aufgebauten Stücken das Quentchen Humor. (3)
Eine der besten UK-Art-Rock-Bands der 80er sind The Legendary Pink Dots, deren Leader Edward Ka-Spel den nunmehr dritten Teil seiner auf sechs LPs konzipierten China Doll-Serie vorlegt. CHYEEK, CHINA DOLL wird geprägt durch die Mitwirkung des Violinisten Patrick Wright, der den minimalistischen Kompositionen einen Hauch von populärer Klassik verpaßt. Vielleicht zuviel des Guten, aber Ka-Spels Stimme und seine aberwitzigen Texte machen auch diese LP zu einem Muß für L.P.D.-Fans (Torso/ NL-Import. 5).
Eine ganz andere Art von Minimal-Kunst praktizieren die ausgeflippten Briten Alien Sex Fiend. „I walk the line between good and evil“, verkündet Sänger Nik Fiend, und man glaubt ihm aufs Wort. Mit Ein-Ton-Synthi, Zwei-Akkord-Gitarre und drei Zeilen Text sind A.S.F. musikalischer Haupteinfluß von S.S. Sputnik, nur waren A.S.F. zuerst da und sind obendrein besser. Dies ist die Trash-Ausgabe von Depeche Mode, ihre Version von Alice Coopers „School’s Out“ schlägt das Original in Stücke (SPV, 6).
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