Short Cuts :: Weltspiegel – Wahres Leben auf der Leinwand

„Wenn in ein paar hundert Jahren mal Außerirdische auf der Erde landen sollten und sie eine präzise Vorstellung von der menschlichen Gesellschaft Ende des 20. Jahrhunderts haben wollen, dann brauchen sie sich nur ‚Short Cuts‘ ansehen,“ schrieb der Rolling Stone.

Robert Altman („The Player“) liefert mit seinem neuesten, größten Wurf in der Tat eine verblüffende Bestandsaufnahme unser aller Existenz. Der Kunstgriff im Detail: „Short Cuts“ verknüpft die Geschichten von etwa zehn Paaren. Sie verlassen, betrügen und finden sich, und es ist mehr als reizvoll, zu verfolgen und zu vermuten, wann sich wessen Wege kreuzen. 22 Hauptfiguren umfaßt die Leinwand-Anthologie, erschaffen wurden sie vom Novelisten Raymond Carver, die Darstellung übernimmt ein Ensemble ausnahmslos phänomenaler Darsteller.

Eine Inhaltsangabe läßt die Komplexität der Ereignisse nicht zu: Da ist Tim Robbins als neurotischer Cop zu sehen, der seiner Frau Modeleine Stowe die absurdesten Gründe auftischt, warum er die Nacht wieder nicht daheim verbracht hat. Sie kennt das Spielchen und amüsiert sich gerade prächtig mit ihrer Schwester Julianna Moore darüber, als deren Mann Matthew Modine eintrudelt und unbedingt einen alten Seitensprung aufwärmen will. Verständlich vielleicht, hatte doch der Arzt einen harten Tag im Krankenhaus und mußte unter anderem das verunglückte Kind von Andie McDowell behandeln. Doch was hat Lyle Lovett als sadistischer Bäkker damit zu tun? Und warum gehen die Herren Fred Ward, Huey Lewis und Bück Henry lieber fischen als einen Leichenfund der Polizei zu melden …?

Am Anfang des Filmes fliegt eine Hubschrauber-Flotte über das nächtliche Los Angeles und versprüht Pestizide, am Ende bebt die Erde. Dazwischen liegen drei Stunden Kino der Extraklasse. Jede der Figuren hat Dreck am Stecken, hat mit dem Alltag zu kämpfen und sucht irgendwo ein Schlupfloch zum Glück. Den wenigsten sind Erfolgsmomente vergönnt, Altman spart in seinem Überblick nicht an Tragik. Doch auch Hoffnung und Humor kommen nicht zu kurz. Und genau das ist die Kunst dieses Filmes: Die Kurzweiligkeit des massiven Stoffes, das ganz natürliche Nebeneinander von Leben und Tod, Liebe und Einsamkeit, Lachen und Weinen. „Short Cuts“ wird uns noch lange beschäftigen. Denn schließlich sind es wir alle, von denen da oben auf der Leinwand erzählt wird.