Suicide – Suicide
Ich weiß nicht, ob das junge New Yorker Red-Star-Label von Marxisten betrieben wird. Ich weiß über die Coverdaten hinaus auch nichts von seinem Debüt-Duo Suicide. Eines aber ist gewiß: eine reichlich übergeschnappte Rotte von Großstadt-Neurotikern war da schon am Werk. Herausgekommen nämlich ist die erste mir bekannte Kreuzung aus dem Rock’n’Roll der fünfziger, der psychedelischen Musik der sechziger und der Kraut-Elektronik der siebziger Jahre – versehen mit einem zeitgemäßen Schuß Zivilisationsmüdigkeit, Lebensüberdruß und Dekadenz. Thematisch paßt Suicide exakt in jene New-Wave-Gefühlswelt, die Gruppen wie Ultravox! Devo oder Pere Ubu jüngst abgesteckt haben. Formal allerdings stehen sie Gruppen wie Cluster oder Kraftwerk hierzulande und der verblichenen West Coast Pop-Art Experimental Band drüben näher.
Die Unterschiede sind nichtsdestoweniger unüberhörbar. Wo unsere germanischen Elektronik-Avantgardisten z.B. vornehmlich relaxte Schönklänge produzieren, schürt Suicide immer wieder nervöse Spannung und ängstliche Atemnot. Martin, der Instrumentalist des Duos, erzeugt mit synthetischen Klangquellen, Keyboards und Perkussionswerkzeug monoton pulsierende Strukturen, deren unterschwellige Agressivität von Sänger Alan mit gehauchtem Sprechgesang bisweilen exzessiv übersteigert wird.
Am nachdrücklichsten geschieht das im längsten (und zugleich einzig schwachen) Stück der LP: „Frankie Teardrop“, Opener der zweiten Seite, erzählt auf holprig-naive Weise die immer aktuelle Moritat vom ausgebeuteten Fließbandarbeiter, der aus materieller und psychischer Verzweiflung sich und seine ganze Familie auslöscht. Alan und Martin sind sich sicher: „We’re all Frankies, we’re all lyin‘ in hell.“ Die quälende zehn-Minuten-Musik versucht die Ausweglosigkeit der Situation einzufangen, den Wahnsinn der Tat in akustischen Wahnsinn umzusetzen. Was Pink Floyd in „Careful With That Axe, Eugene“ zum überzeugenden Spannungsbogen montierten, verkommt hier allerdings zum höhepunktlosen Auf und Ab einer nur vordergründig grausligen Geisterbahnfahrt. Wer auf rünstiges Blutgeschrei kann, wird übrigens immer noch von White Noise besser bedient.
Der Rest der Platte allerdings macht das „Teardrop“-Thema mehr als wett. „Che“ als Plattenausklang etwa ist eine melancholische Hommage an den erschossenen Polit-Messias der Dritten Welt. Die umseitige LP-Hälfte wartet mit bizarren Elektronik-Rock’n’Roll auf. Man kennt jede Note von Stücken wie „Ghostrider“ oder „Johnny“, hat aber Schwierigkeiten, ihre naiven Klangfiguren exakt zuzuordnen. „Cheree“ etwa hört sich an wie ein über’s „Jet’aime“ -Streckbett gezogenes „Wild Thing“, und Alan säuselt dazu aufreizend-nasal wie sein geistiger Ziehvater Lou Reed. Genauso auf „Girl“, einem psychedelischen Donna-Summer-Double:
ähnlich orgiastisch und discohaft-stupide, aber um genau einen Fix rauschhafter als deren schwüle Plüsch-Erotik. Spätestens hier tritt übrigens auch eine bedeutsame stilistische Nähe zum 1976er Debütalbum der Modern Lovers auf. Wo Richman & Co. anschließend einen rabiaten Bruch mit John Cales Produktionsambitionen vornahmen, macht Suicide heute weiter.