The Beach Boys :: Pet Sounds – 40th Anniversary Edition Good Vibrations

Vom Surfbett zur Psychose ein Pop-Quantensprung, der seinen Macher in den seelischen Abgrund stürzte.

Es gibt kaum eine Album-Bestenliste, in der pet SOUNDS nicht unter den ersten Rängen zu finden wäre. Der am 16. Mai 1966 erschienene Klassiker der Beach Boys liegt nun in der „40th Anniversary Edition“ vor – als Doppel-CD/DVD sowohl im Stereo/Mono-Mix, zusätzlich aber auch im 5.1-Surround-Sound inklusive Doku, Interviews und diversen raren Video-Clips. Im Gegensatz zu dem in etwa zeitgleich veröffentlichten Revolver der Beatles, das die Pole Position der Charts beiderseits des Atlantiks einnahm, belegte PET SOUNDS „nur“ Platz 2 in Großbritannien und eine enttäuschende Position in den USA. Ein Umstand, der den hochsensiblen Brian Wilson stets wurmte, wie er noch Dekaden später zu Protokoll geben sollte, als sein Werk 2002 erstmals komplett öffentlich zur Aufführung gelangte.

Wilson fühlte sich in gleich mehrfacher Hinsicht unter Druck gesetzt: Da gab es zum einen im fernen England den in anspornender Freundschaft verbundenen Mitbewerber Paul McCartney. Die softe US-Fassung des REVOLVER-Vorgängers RUBBER SOUL (siehe ME 6/2006) löste bei dem ehrgeizigen Brian einiges an künstlerischen Sachzwängen aus. McCartney wiederum sollte sich von den revolutionären „Haustier-Klängen“ zu SGT. pepper inspirieren lassen. Wilsons radikal-ambitioniertes, monatelang in akribischer Tüftelarbeit entstandenes Projekt stieß bei seinen Beach-Boys- Kollegen auf wenig Gegenliebe. Die taten bei jeder Gelegenheit ihre Meinung kund, dass es wohl doch besser gewesen wäre, auf locker-luftige Strand-Party-Hits wie „Help Me, Rhonda“, „California Girls“ und „Barbara Ann“ zu vertrauen. Vielleicht am gewichtigsten von allen wog das Urteil von Wilsons ultrastrengem Vater Murry: ein frustierter Gelegenheitskomponist, der die drei Wilson-Brüder seit früher Kindheit massiv dominierte und immer, wenn ihm danach war, handgreiflich mit dem Ledergürtel züchtigte. Dummerweise managte er „seine Jungs‘ seit Karrierebeginn und ließ seinen „missratenen“ ältesten Sohn bei jeder Gelegenheit wissen, was er von dessen „kunstbeflissenen Unsinn“ hielt.

Dass in Brian Wilson mehr steckte als der Fließband -Kreateur diverser, vorwiegend von Chuck Berry entliehener Zwei-Minuten-Pop-Vignetten für Transistorradio, Jukebox und Partyabende, hatte er schon mit dem erstaunlich komplexen und psychologisch tiefblickenden „In My Room“ bewiesen – ein balladeskes Meisterwerk der Arrangierkunst mit mehrstimmigem Arrangement und einer harmonischen Melodik, die den Dirigenten und Komponisten Leonard Bernstein an den jungen Mozart erinnerte. Tatsächlich wollte Brian mehr. Als seit kurzem von öffentlichen Auftritten zurückgezogen lebender Chef der Beach Boys zeichnete er für elf Alben und über 80 Songs in rund vier Jahren verantwortlich. Schweres Lampenfieber auf Tourneen hinterließen zwei intensive Nervenzusammenbrüche, intensive Flirts mit legalen und illegalen Stimulanzien sowie die Erkenntnis, dass pubertär-hedonistische Liedchen über die Freuden von Surfen, Sonne und Sommer und Herumcruisen im Buick-Cabriolet keine Option für ein ganzes Künstlerleben sind. Er wollte definitiv nicht nur als Urheber von drei, vier Hits auf einem von mehreren im Abstand von wenigen Monaten mit links aus dem Ärmel geschüttelten Alben in Erinnerung bleiben. Wilson klimperte versonnen in seiner neu bezogenen Villa in Los Angeles auf dem Flügel herum, scharrte mit nackten Füßen wohlig im Sandkasten seines im geräumigen Wohnzimmerüppig aufgeschütteten Privatstrandes, bis ihm eines schönen Frühlingtages 1965 die Erleuchtung kam: Ein Konzeptwerk musste her.

Als Brian Wilson schließlich PET SOUNDS im reichlich kitschigen Tierfutter-Cover auf die Welt los ließ, war er knapp 24 Jahre alt. Hinter ihm lagen nervenzermürbende Monate mit seinem Co-Autoren, dem Werbe-Jingle-Texter Tony Asher, aber auch zahllose Querelen mit der Plattenfirma Capitol. Während der sportliche Dennis, sein übergewichtiger Bruder Carl im Gespann mit dem stets ein wenig überheblich wirkenden Cousin Mike Love, Gruppen-Sonnenschein AI Jardine und Neuzugang Bruce Johnston ohne Brian auf Konzertreise gingen, rauchte dieser täglich hohe Dosen Marihuana, testete auch schon mal das gerade noch legale LSD, das ihm half, sich wenige Jahre später in ein psychotisches Monster zu verwandeln. Über Monate hinweg komponierte er an vertrackten Noten folgen, zu denen Asher tiefsinnig Gereimtes lieferte. Heraus kam Erstaunliches: „God Only Knows“ etwa, das in weniger als einer halben Stunde entstand. Der mit Harfengezirpe beginnende, dann mit Shanty-Akkordeon und Bach-Bläsersätzen illustrierte Opener“.Wouldn’t It Be Nice“. Mit unermüdlichem Elan und dem Willen zum anspruchsvollen Experiment erprobte Wilson surreale, vielstimmige Vokalarrangements und setzte nie zuvor genutzte Tonquellen in kaum mehr als Popsongs zu bezeichnenden Klanglandschaften ein: etwa ein Theremin in dem selbst reflektierenden „I Just Wasn’t Made For These Times“, eine Fahrradklingel in „You Still Believe in Me“ sowie das Bellen seiner Hunde Banana und Louiezum Albenfinale.

Bei genauerer Betrachtung ist pet sounds zwar kein Konzeptalbum, doch verbindet die 13 Songs durchaus ein roter Faden: der Reifeprozess vom unschuldigen Teenager zum verantwortungsbewussten Erwachsenen im Spiegel des Verliebtseins. Wilsons Intention, in jedem Song ein signifikantes Gefühl zu interpretieren, erfuhr in den Mittsechzigern noch keine besondere Aufmerksamkeit und wurde ob seiner anspruchsvollen Inhalte möglicherweise sogar absichtlich übersehen. Das prüde Amerika wollte sich nicht mit „Caroline No“, dem intensiven Porträt eines Mädchens, das durch reichlich schmerzliche Erlebnisse zur Frau wird, anfreunden.

Im Zuge der aufwändigen Produktion wurde das Aufnahmestudio monatelang zum Tummelplatz für die immer überspannteren Ideen von Musikern, Produzenten und Arrangeuren. Insgesamt waren über/o Leute, darunter Studiokoryphäen wie Glen Campbell, Carol Kaye, Al Casey und Jim Gordon, am Experiment der Stunde null beteiligt – die Ouvertüre des auf CD zwei und einer zusätzlichen 6-Track-EPzu findenden legendären Single-Meisterstreichs „Good Vibrations“ sowie einem noch gewagteren Alben-Projekt Brian Wilsons namens SM1LE. Doch das ist eine andere, noch seltsamere Geschichte.