The Mars Volta – De-Loused In The Comatorium :: Die Platte des Monats

Es geht und ging Omar Rodriguez-Lopez und Cedric Bixler-Zavalas darum, über die Bedingungen des Musikmachens alle Kontrolle zu behalten, während es möglich sein muss, in der Musik selbst Grenzen zu sprengen, alle Freiheiten zu nutzen. Erkundungen und Erfahrungen, für die Formate selbst aus dem großzügig gefassten Hard- und Emocore-Genre nur sehr bedingt taugen. Deshalb Mars Volta. Deshalb At The Drive-In nicht mehr. Wie ernst es ihnen damit ist, zeigt die Tatsache, dass von At The Drive-In kaum bis gar keine Rede mehr ist – nicht im Presseinfo und auch sonst nicht. Wohl nur jene Sympathisanten der texanischen Wuscheldickköpfe, die sich nach diesem radikalen Vorbild lösen können von der schieren Allmacht des ikonisierten Erbes, sind bereit für The Mars Volta. Kann aber auch sein, dass sie dergestalt befreit schnellstens das Weite suchen. Weil es Progressive Rock doch immer wieder schafft, spätestens in der siebten oder achten Spielminute, im Mittelteil einer entrückten Improvisation, in Intros, in denen Gitarristen, die an den Saiten ganz oben an den Wirbeln herumzupfen, an denen es unter ordentlichen E-Gitarristen eigentlich nichts herumzuzupfen gibt, während der bandeigene Effektemacher fleißig Effekte macht, selbst die geneigteste Hörerschaft zum Teufel zu schicken. (Und der spielt dann Zweieinhalb-Minuten-Indierock-Nummern, und wir haben eine gute Zeit miteinander.) Jawohl und Schreck, The Mars Volta sind mit Leib und Seele Prog-Rock-Kapelle. Ein Ansatz, der aufmerksamen At The Drive-In-Hörern allerdings bereits im großartigen Finale Relationship Of Command nicht ganz verborgen geblieben sein dürfte.

Nun aber blicken wir in die Tiefen der Schublade mit dem ganzen Kosmos drin, jener mit King Crimson, Yes, Emerson, Lake & Palmer und Songs mit Titeln wie „Eria Tarka“. Die es verschmähen, an der Seite von in diesen Tagen progressiv genannten Rockbands wie Radiohead „Kaoss Pad“-Dekonstruktionen zu betreiben, um lieber mit Marillion Elfen streicheln zu gehen. Zudem versteht sich De-Loused In The Comatorium (co-produziert von Rick Rubin und mit dem Bassspiel von Chili Pepper Flea) in fast vergessener Genre-Tradition als „fully realized concept album“, das ohne Kurzgeschichten-Booklet nicht kann, weil es eben keine kurzen Geschichten erzählt, sondern eine einzige überwältigende, phantasievolle bis fürchterlich kryptische, in Konsequenz, Ausuferung und Gewicht nur schwer zu ertragende. Von einem engen Freund Omars und Cedrics, der nach missglücktem Selbstmordversuch im Koma liegt (und nach dem Erwachen sein Werk noch vollenden wird). „Nurse said that my skin will need a graft. I am of pockmarked shapes. The vermin you need to loathe. Now I’m lost.“ Cedric erzählt sie aus der Perspektive des Freundes – drüben von der anderen Seite aus.

Kommt diese Frage wieder: Kann Rockmusik solche Inhalte vermitteln? Und: Kann dem jemand folgen? Die Antwort bleibt wohl den Fans überlassen, die The Mars Volta dank Haltung und Ernsthaftigkeit in ansehnlicher Zahl findet. Die in nächtelangen Internet-Konferenzen darüber beraten werden, Literatur und Gedankenwelten wälzend, sich voll und ganz auf ein Werk einlassend, das beim Quercheck im Plattenladen sich weigert zu sagen: „Na los, kauf mich schon!“ Dabei hat De-Loused In The Comatorium auch diese Momente – At The Drive-In-Momente, Refrains, die über uns hereinprasseln, die Sinne fluten. Stakkato, Donner, Hysterie. Und weil dieses Album bis weit ins Rote aufgeladen ist mit Energie, Rhythmus und Körperlichkeit, weil es mit der Distanz der progressiven Rocklehre bricht, dem ganzen Prog-Theater im nächsten eruptiven Augenblick sogar hausgemachte Apokalypse sein kann, ist es bei allem Wah-Wah-Wenn und ambivalentem Aber ein großes und großartiges.

>>> www.themarsvolta.com

Discoqrafie:

2002 Tour Single (Split-Single mit The Apes und Les Savy Favl (Southern/EFA)) (Single)

2002 Tremulant EP (Gold Standard Labs/EFA) (EP)

2003 De-Loused In The Comatorium (Album)