Udo Lindenberg – CasaNova :: Platte des Monats

Sieh an: die Beschäftigung mit Friedrich Hollaender, Bert Brecht, Erich Kästner, Hanns Eisler und Theo Mackeben hat also für Udo Lindenbergs weiteren, künstlerischen Weg doch Früchte getragen. Der Exkurs zurück in die goldeneren Tage der deutschen Musikgeschichte mit HERMINE, dem Album für seine Eltern, hat Udo, so scheint es, seine eigene Rolle, seine Position, seine Person überdenken lassen. Und das Ergebnis dieser Überlegungen ließ ihn (die richtigen) persönlichen Konsequenzen ziehen.

„Lindi“, der in die Jahre gekommene Berufsjugendliche, hat seine über Jahrzehnte kultivierte Schnodderschnauze zugunsten einer frecheren, witzigeren und von Selbstironie (selten hierzulande) geprägten Wortwahl aufgegeben. Die gewollt lockeren Stabreime gehören damit der Vergangenheit an. Das Routine – Flapsige hat Udo abgelegt und dabei an Charme gewonnen. Udo steht nicht mehr wie früher immer drüber, sondern plötzlich mitten im Leben.

Die (selbstgeschaffene) Kunstfigur Lindenberg hat ausgedient. Striptease ist angesagt. Und so wird Lindenberg auf seine alten Tage noch als Mensch greifbar, persönlicher, ja fast intim, wovor der Künstler bisher immer zurückgeschreckt ist. Maskerade war angesagt. Und damit ist keineswegs nur der schmucke Hut auf dem Kopf gemeint.

In den Geschichten, die Udo auf CASA NOVA erzählt, schlägt er inhaltlich den Bogen von der Pubertät, feuchten Hosen, einer schockierten Mutter Lindenberg, dem ersten Ständer und der Klavierlehrerin mit dem barocken Hintern, die seinen Fingern den rechten Weg weisen, zum sehr gefragten, älteren Herrn, der noch immer auf dolce vita aus ist, der aber auch ein großes Herz voller Sehnsucht hat, dabei auch sentimental und – endlich mal große, echte Emotionen – vor allem eifersüchtig sein kann. Und Udo singt das alles so engagiert (wie es eben seine Un-Stimme zuläßt), nicht einmal im Ansatz schnodderig, ohne falsche artistische Schlenker, daß man keinen Moment daran zweifelt, daß all das Vorgetragene autobiografisch ist.

Musikalisch kommt Udo Lindenberg dabei (HERMINE ausgeklammert) erstmals auf einem regulären Studioalbum ohne tumben Deutschrock aus. Vom Panikorchester ist dann auch nur Hendrik Schaper als Keyboarder mit an Bord. Klar sind auch die Ströer Brüder mit von der Partie. Sie haben zuletzt immer für frischen Wind gesorgt, auch als Co-Produzenten. Den Löwenanteil der Produktion hat diesmal aber Zeus B. Held, in London zu Ruhm und Ehr‘ gekommener Deutsch-Rock-Veteran (Birth Control), übernommen. Als Co-Produzent und Co-Texter fungierte Horst Königstein. In Chaz Jankels Studio wurde so von diesem Team, unterstützt von der Aswad-Rhythmussektion, den Kick Horns, den Soultones und schwarzen Rappern und Dee Jays, zwischen Chanson und Hip Hop fast alles abgedeckt, ja fast eine stimmige Fusion aus Rap und Chanson kreiert.

Udo, der ehemals Coole, ist heiß und brennt. Nicht nur in seiner zu spanisch-arabischer Haremsmusik intonierten Liebeserklärung oder seinem gemeinsam mit Nina Hagen vorgetragenen Duett an einen „Vopo“. „Nimm‘ die Maske ab, zeig‘

mir Dein Gesicht“, singt Lindenberg eine geheimnisvolle Frau im Agententhriller „Bist Du vom KGB?“ an. Dieses Gesicht mag Falten haben. Aber das ist menschlich und sympathisch. (CD und MC simultan mit LP, CD mit 1 Bonus-Track)

Udo Lindenberg über den frischen Wind auf seiner CaiaNova-lP

„Ich fühle mich immer schon dem musikalischen Forschergeist verpflichtet. Deshalb habe ich diesmal sowohl in englischen als auch deutschen Studios aufgenommen, wollte ich partout mal was mit den Reggae-Experten von Aswad machen, die auf ,Dirty Old Man‘ zu hören sind. Mir ging es einfach darum, mal wieder mit anderen Musikern zusammenzuspielen, seien’s nun Scratcher, Hip-Hopper oder Rapper, Hauptsache es wehte ein frischer Wind durch meine Songs. Die Panik-Leute sind auf vielen meiner Album nicht mehr vertreten. Sie sind vor allem für Live-Konzerte und die Hardrock-Schiene zuständig. Musik ist für mich eine riesengroße Wundertüte, in der ich immer wieder herumgrabschen muß. Dabei geht es mir darum, mit neuen Leuten Neues zu versuchen, stilistisch differenzierte Stimmungen zu kreieren. Nach fast 30 LPs lasse ich mich immer noch gern auf Abenteuer ein.“

ZEUS HELD BRACHTE UDO ZUM RAPPEN

„Durch meinen Remix zu Udos Single ,Ein Kommen und ein Gehen‘ haben wir uns kennengelernt und seitdem Kontakt gehalten. Udo war für mich immer schon der Repräsentant der deutschsprachigen Musik und zudem stets ein Garant für gute Lyrics. Andererseits hatte ich aber auch das Gefühl, daß es in seinem Fall an der Zeit sei, mal wieder musikalisch ins Extreme zu gehen. Wobei man natürlich schon darauf achten mußte, daß die Balance zwischen seinem seit Jahren loyalen Publikum und neuen Experimenten gewahrt bleibt.

In dem Zusammenhang möchte ich vor allem eins erwähnen: Udo Lindenberg ist ein Super-Rapper, das stellte sich zu meiner Überraschung spontan heraus. Nimm zum Beispiel nur den Gesang zu Beginn von ,Dirty Old Mann‘: Udo hatte bereits den Mantel an, um zu gehen, da drehte er sich plötzlich um und meinte zu mir: ,Laß uns noch schnell einen machen, so Rap-mäßig…‘. Und so geschah’s dann auch. Auch unser Team aus Udo, mir und Horst Königstein funktionierte blendend. Am Ende bin ich richtig froh, daß wir’s geschafft haben, Udo in seiner Heimat zu lassen und trotzdern. neue Einflüsse zu verarbeiten.“ ¿