Van Morrison – Enlightenment
Der Grund ist simpel: In sprichwörtlich jedem der Songs liegt das pure Gold versteckt. Da sind wieder einmal diese hochqualifizierten Arrangements – wenn zum Beispiel in eine handgearbeitete Streicherwand urplötzlich eine Harmonika hineingreint. Da ist die Instrumentierung, in der diesmal ein nicht gerade alltägliches Vibraphon für den guten Ton sorgt. Und da sind unauffällig-auffällige Rhythmuskombinationen (flott patschendes Schlagzeug auf wabernder Synthetik-Watte). Nur drei Beispiele von diversen. Wer bereit ist, tief genug einzutauchen, swingt unmerklich bei einer jazzigen Hammondorgel mit – bis aus dem Off ein Massenchor einfällt, der wie Les Humphries für Fortgeschrittene klingt.
Die übliche Einzelvorstellung von Songs darf, ja, muß zwangsläufig entfallen. Der Grund: Neun der zehn Titel bilden einen dermaßen kompakten Qualitäts-Block, daß sie kaum voneinander zu trennen sind. Nur eine einzige Ausnahme sei gestattet: „In The Days Before Rock ’n‘ Roll“ – diese völlig ungewöhnliche Veranstaltung kippt aus dem Gefüge. Es ist vielleicht eine der schönsten und trefflichsten Hommagen an das Medium Rundfunk, die je auf einem Tonträger Platz gefunden haben. Ein Mensch rutscht auf den Knien vor dem Radioapparat herum und murmelt permanent etwas von „Luxemburg … AFN … Hilversum“. Währenddessen sendet eine Stakkato-Orgel aus dem Hintergrund so etwas wie Morsezeichen. Dazu verkündet Van die Litanei, von wem alles wir ohne Rundfunk nie etwas gehört hätten: Elvis, Fats, Jerry Lee, Muddy Waters, John Lee Hooker und all die anderen – schlicht faszinierend.
Wenn die rund 50 Minuten vorbei sind, sitzt du wie besoffen vor den Lautsprechern: Der Kerl hat es wieder einmal geschafft und dich in seinen Bann gezogen. Woran das liegt? Morrison selbst gab schon 1968 die beste, weil alles offen lassende Antwort in dem Song „Sweet Thing“: „It’s me. I’m dynamite – and I don’t knaw why.“
GESTERN
Wenn George Ivan Morrison im Text des Songs „In The Days Before Rock ’n‘ Roll“ mehrfach unsterbliche Namen aus der Geschichte dieses Genres einstreut, geht das über effekthaschendes „namedropping“ hinaus. Denn die Musik des 45jährigen aus Belfast wäre ohne permanente Rückgriffe auf die „days of old“ undenkbar. Und alles hat mit dem Rundfunk angefangen: „Mein Vater sammelte Blues-Scheiben. Nur Ray Charles habe ich zum ersten Mal im Radio gehört.“ Andere Einflüsse aus dem kleinen Kasten? „Sonny Terry, Muddy Waters, Josh White, Hank Williams. Oberhaupt Blues und Country & Western – was aus dieser Ecke kommt.“
Aus dem passiven Zuhörer wurde der Gitarrist Van Morrison, der Saxophonist und der Sänger: „Über die Songs der Carter Family und die von Leadbelly kam ich schließlich zum Gesang.“ Daß er heute Größen von einst zu sich auf die Bühne läßt (John Lee Hooker und auch den Organisten Mose Allison), unterstreicht Van Morrisons Besinnung auf die Gründerjahre.
Mit Bands wie den Thunderbirds oder den Four Jacks („Die Namen wechselten wie die Windrichtung“) legte er einst den Grundstein. „Wir orientierten uns an Johnny Kidd, Cliff Richard, Jerry Lee Lewis.“
Und während er die alten Helden Revue passieren läßt, wird er plötzlich wieder der Mr. Morrison, wie ihn die Gegenwart kennt:
„Aber die Reaktion der Leute war mir letztlich völlig egal. Ich habe schon damals nur für mich allein gespielt.“
HEUTE
Viel sagt er ja nie. Aber wenn, dann nimmt er kein Biatt vor den Mund. Hat ihm denn die Waterboys-Version von „Sweet Thing“ gefallen? „Meine war besser, oder?“
Leute wie U2 oder Springsteen, heißt es, wären ohne Morrison nie groß geworden. „Ich denk‘ darüber nicht nach. Bono ist so eine Art freund – netter Typ, aber über dieses spezielle Thema reden wir nicht mehr.“
Konzerte – noch Interesse? „Ich geh‘ manchmal hin. Aber nicht extra.“
Und die eigenen Auftritte? Macht’s noch Spaß? „Kommt auf die Mitspieler an. Mit der augenblicklichen Band läuft’s gut. Es funktioniert, also arbeiten wir ständig.“
Sein Verhältnis zu Plattenfirmen war nie störungsfrei – und nach dem Wechsel? „Alles okay. Zuvor wurden meine Platten sechs Wochen promotet, dann war Schluß. Da hattest du ein Jahr deines Lebens an etwas gearbeitet und schließlich saßen die auf dem Zeug. Zum ersten Mol in meiner Karriere habe ich es mit Leuten zu tun, die mit meinen Platten etwas unternehmen. Ich produziere sie und liefere sie ab. Und was ich da produziere, das bin letztlich ich selbst.“
MORGEN
Van Morrison und die Zukunft – eigentlich ein Buch mit sieben Siegeln. Gerüchte wollen allerdings etwas von einer Autobiographie wissen, die er plane: „Stimmt schon. Aber um was zu schreiben, müßte ich es erstmal Interessant finden. Nur: Was ich bisher alles gemacht habe, ist für mich absolut nicht mehr interessant. Weil ich’s ja schon hinter mir habe. „Schon öfter machte er Andeutungen, er wolle keine Platten mehr aufnehmen. „Das Ende ist absehbar. Ich habe ja schon so viele gemacht. Ich habe jetzt andere Wünsche und Bedürfnisse, und dafür muß ich kein Star sein. Ich brauche nur ein bestimmtes Quantum Musik – spielen und komponieren. Ich möchte eben in Ruhe gelassen werden und mein Leben leben.“
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