Varius Artists – American Roots Music :: Rückkehr des Monats
Wer sich daran wagt, mit den richtigen Beispielen aus dem riesigen Fundus der nordamerikanischen Musiktraditionen ein ernst zu nehmendes und halbwegs repräsentatives Einstiegspaket zu schnüren, schultert ein gigantisches Vorhaben. Und so wurde „American Roots“ als CD-Box wohl auch nur deshalb möglich, weil es quasi ein „Abfallprodukt“ aus einer aufwändigen TV-Serie darstellt. Bedeutende US-Kulturinstitutionen wie die Library Of Congress, das Smithsonian Institute, die Rock’n’Roll Hall Of Fame und die Country Music Hall Of Fame waren in das Vorhaben der Produktionsfirma Palm Pictures eingebunden,die reiche Vielfalt der amerikanischen Volksmusiken in Klang und Bild für die Nachwelt zu dokumentieren und zu bündeln. Jenes Basismaterial also, aus dem sich die noch überwältigendere Vielfalt der (nicht nur amerikanischen) Popmusik des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. Die vier CDs enthalten viele zuvor noch nie auf Tonträgern veröffentlichte Aufnahmen, zum Teil stammen sie aus Dokumentarfilm-Archiven, zum Teil wurden sie für die Serie neu eingespielt. Bei insgesamt 68 Songs aus sieben unterschiedlichen Grundströmungen der amerikanischen Volksmusik kann die Auswahl zwangsläufig nicht alle Facetten der jeweiligen Strömungen einfangen, geschweige denn alle großen Klassiker umfassen. Dennoch wirkt die Zusammenstellung auf „American Roots“ nicht beliebig. So nimmt beispielsweise die dem Blues gewidmete CD den Hörer auf eine wohl geplante akustische Reise mit: Von archaischem Talking Blues über den Jazz-mäßigen Classic Blues einer Bessie Smith („St. Louis Blues“) und den First Generation Country-Blues eines Blind Lemon Jefferson hin zum Boogie-Woogie eines Albert Ammons, aber auch zum elektrischen Großstadt-Blues der Chicago-Helden wie Howlin‘ Wolf oder Muddy Waters, zu B.B. Kings bereits spürbar für den Popmarkt arrangierter „The Trill Is Gone“-Fassung von 1969 und schließlich zum neuzeitlich neo-traditionalistischen Akustik-Blues eines Keb‘ Mo‘. Toll, dass eine übliche Unterlassungssünde bei Roots-Compilations dieses eine Mal nicht begangen wurde: Hier ist die Welt der Americana nicht nur in Schwarz (Blues, Gospel, Cajun) und Weiß (Country, Folk, Zydeco, Tejano) gemalt, sondern auch in Rot – die sonst gern verleugnete Musik der indianischen Ureinwohner ist wenigstens mit sechs Tracks vertreten. Die beteiligten Tontechniker haben bei der Überarbeitung und gelegentlich auch Restaurierung der Aufnahmen zum Teil Erstaunliches geleistet (Sonny Boy Williamsons „Bye Bye Bird“ klingt beinahe, als sei es erst kürzlich eingespielt worden), dennoch ist die Tonqualität natürlich oft, na ja, eben „historisch‘. Dass da manches für heutige Hörer, sofern sie nicht ausgesprochene Roots-Experten sind, gewöhnungsbedürftig ist, versteht sich von selbst. Das bisschen Mühe beim Hören lohnt sich aber durchwegs. Beispielsweise ist es immer wieder beeindruckend, Robert Johnsons dämonischen „Cross Road Blues“ (der später von Cream unter dem verknappten Titel „Crossroads“ zu einem explosiven Bluesrock-Meilenstein umgearbeitet wurde) in der ganzen rauhen, ungeschminkten Intensität des Originals von 1936 zu erleben. Und bemerkenswert, wie selbstverständlich die Musikanten aus allen Lagern sich schon lange vor irgendwelchen „Crossover-Marketing“-Moden am stilistischen Brückenschlag versucht und sich über Kompositionen fremder Genres hergemacht haben – so findet sich hier etwa eine Aufnahme des Countrymusikers Bob Wills aus dem Jahre 1952, der den Bluesklassiker „Sitting On Top Of The World“ souverän in sein Idiom übersetzt. Das 56-seitige Booklet wartet neben zahlreichen Fotografien mit kompakten, aber informativen Biografien zu jedem einzelnen Act auf, die sich auch ohne das einleitende Essay zu einer lebendigen und anschaulichen Chronologie addieren. Das ist audiovisueller Geschichtsunterricht, der Spaß macht.
www.palmpictures.com
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