Von Rolf Dieter Brinkmann: Worter Sex Schnitt :: Pop-Lit Starts (and ends) here – Intermedium, 5 CDs + Booklet, 49,90 Euro

€Er wäre heute 65, der „größte Lyriker und unangenehmste Stänkerer des deutschen Literaturbetriebs“ (Alex Rühle, und da steht wirklich nichts von Nachkriegszeit oder 20. Jahrhundert). Wenn er immer so gearbeitet hat wie hier, wollen wir uns gar nicht vorstellen, wie sein Gesamtwerk aussähe, wäre er nicht vor 30 Jahren auf eine Londoner Straße getreten, ohne an das zu denken, was von links kommt (ein Auto, der Tod und mit ihm eine äußerst bizarre Ironie). Das Projekt: Im Herbst 1973 beauftragte der WDR den damals seit fünf ]ahren literaturcircusabstinenten Grenzgänger (zwischen den imaginären Sphären von „E“ und „U“), für die Sendereihe „Autorenalltag“ eine Stunde Band vollzusprechen. Brinkmann nahm das Motto beim Wort und tat mit der Zeitvorgabe, was man damit tut (nicht mal ignorieren). Am Ende waren elf Stunden mit Gespräch und Geräusch gefüllt, mit ebenso beharrlichem wie letztlich natürlich vergeblichem Herandrängen und Hineinbohren an/in die Wirklichkeit (des Bewußtseins) und das Bewußtsein (der Wirklichkeit), wie immer man das bezeichnen will, in atmosphärischem O-Ton, als Alltagsprotokoll inkl. inquisitorischer Befragung regelmäßig wie zufällig Vorbeirauschender („Wann haben Sie denn das letzte Mal gefickt?“), mit Besessenheit, Wut und so unmittelbar im Schmalraum der Gegenwärtigkeit, daß Korrekturen nicht umsetzbar sind („Das ist doch alles nur noch Schwachsinn“, meint der Fließende selbst). Selbstverständlich war der Wust „unsendbar“ und verschwand unter einer Staubschicht. Wo ihn Katharina Agathos und Herbert Kapfer vom Bayerischen Rundfunk wieder hervorgezogen haben, samt einem Mitschnitt vom Poetry Festival in Cambridge, nach dem der „gehetzte Lebensläufer“ (noch mal Alex Rühle) nach London weiterreiste und auf jene unheilvolle Straße trat. Warum muß man das entdecken, edieren, hören, 32 Jahre später, wo das Hirn der Rezeption gerade noch für das Gebrabbel der Popliteraten reicht (deren „Gegenwart“ und „Bewußtsein“ Markennamen tragen und deren Sprache nicht mehr ist als Altöl, in dem sie Konsummüll fritieren)? Weil das so ist. Und weil es so unglaublich faszinierend, fremd und spannend ist.

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