Zeitkratzer feat. Lou Reed :: Metal Machine Music

Lou Reeds Avant-Noise-Album wird zur Hochkultur. Interpretiert von einem elfköpfigen Streicherensemble.

Eines der Top-5-Fehlurteile der Rock’n’Roll-Geschichtsschreibung: Lou Reeds 1975er Doppel-LP metal mach ine music sei eines der „schlechtesten Alben aller Zeiten“. Weil es nur Krach enthält. Weil es kein Rock’n’Roll ist. Zumindest kein Rock’n’Roll im Sinne von „Walk On The Wild Side“. Aber was kann mehr Rock’n’Roll sein, als die Rock’n’Roller mit einem Album wie metal machine music zu verstören? Lou Reed hatte für die Aufnahmen in seinem New Yorker Loft zwei ungewöhnlich gestimmte Gitarren vor zwei sehr großen Gitarrenverstärkern platziert. Durch das Feedback gerieten die Saiten in Schwingung, was wiederum andersgeartete Schwingungen erzeugte, die sich wie Loops vorn Verstärker über die Gitarrensaiten wieder in die Verstärker übertrugen. Die Gitarren haben sich quasi selbst gespielt. Angeblich, so geht die Mär, habe Reed gehofft, mit diesem Album aus seinem Vertrag mit seinem Label RCA herauszukommen, dem er noch zwei LPs schuldete, metal mach ine music wurde in den USA nach drei Wochen vom Markt genommen, verkaufte aber dennoch 100.000 Exemplare. Man kann diese Musik gerne als Noise-„Rock“ rezipieren, man darf aber auch gerne die Strukturen hören, die sich unter dem Noise herausschälen, sich verändern und durch die Veränderung wiederum neue Strukturen erzeugen. Reed, der mit dem Werk von experimentellen Mini mausten wie La Monte Young (zu dessen Ensemble in den mittleren 60er-Jahren zeitweise seine Velvet-Underground-Kollegen John Cale und Angus Maclise gehörten) durchaus vertraut war, schuf mit dem archaischen Rock’n’Roll-Instrument, der Gitarre, ein songfreies Album, das vielleicht stärker als jedes Songalbum den Hörer physisch fordert und damit in der Tradition aller „freien Musiken“ stand, die genreübergreifend in Rock, jazz und zeitgenössicher Klassik ihr Dasein als Randgruppe bestreiten, Metal Machine Music wurde nicht per se verteufelt-des Rockistentums Unverdächtige wie Sonic Youthfs Lee Ranaldo) und TV On The Radio integrierten Samples des Albums in ihre Musik. Ulrich Maiss spielte 2002 eine Solo-Cello-Version ein. Dass sich das elfköpfige Berliner Ensemble Zeitkratzer Metal Machine Music angenommen hat, mag ein weiteres Indiz dafür sein, dass diese Musik eben mehr ist als nur Krach. In der Aufnahme vom 17. März 2002 im Berliner Festspiel haus spielen (auf der beiliegenden DVD auch zu sehen) „richtige“ Menschen auf ihren „richtigen“ Instrumenten „richtige“ Noten vom Blatt. Die akustische Interpretation folgt der elektronischen Version Reeds, der am Ende des dritten Teils Gitarre spielt, Note für Note. Durch die Live-Musiker werden die leichten Strukturverschiebungen dieser angeblich strukturlosen Musik sehr gut herausgehoben. So oder so: Was bleibt, ist eines der größten künsterlischen Statements eines Rockmusikers in den 70er-Jahren.