Rock Am Ring


Wir wollten ein Wochenende im Grünen mit Musik veranstalten“, sagte Mama Concerts-Mann Marcel Avram. Und das war’s dann auch. 70.000 (statt der erhofften 100.000) füllten das zur Konzertarena umfunktionierte Fahrerlager des Nürburgrings und harrten zwei Tage lang unter sommerlich schwülen Temperaturen einem 18 Gruppen starken Aufgebot, das ohne sonderliche Risikofreudigkeit zusammengestellt wurde. Warum auch? „Give the people what they want“ hieß das interne Motto der Veranstaltergemeinschaft Mama Concerts/Nürburgring G.m.b.H.; und sieht man von Kinderkrankheiten im organisatorischen Bereich einmal ab (ungenügend sanitäre Anlagen, schlechte Sichtverhältnisse im hinteren Teil), muß man beiden Partnern zugestehen, daß sie einen guten Job leisteten.

Erstaunlich wenig Reibereien auch im Publikum: Selten hat man soviel zufriedene Besoffene und anders Zugeknallte derart friedlich nebeneinander erlebt.

3,2 Millionen Mark kostete der Spaß insgesamt; zusammen mit einigen Sponsoren und den Fernseh-Rechten (ZDF-Rockpop in Concert. Sendetermin voraussichtlich Ende Juli) kam aber wohl genug Knete zusammen, um den Großteil der Beteiligten zufrieden nach Hause gehen zu lassen.

Zehn Uhr vormittags fällt der Startschuß mit einer Formation, die schon jetzt in Kritikerkreisen als „next big thing“ gehandelt wird. Doch der Job des Openers ist der undankbarsten einer: LONE JUSTICE hätten mit ihrem saftigen Westernstiefel-Rock’n’Roll einen besseren Platz verdient, denn was die blondgelockte Sängerin Maria McKee eine Frau, die klingt wie eine mit Amphetaminen vollgestopfte Madonna – zu bieten hat, ist nicht von schlechten Eltern.

Anschließend drohen die auferweckten Massen wieder hinwegzudösen, als eine unsägliche Formation namens MERLE & THE RING sich anschickt, gestandene Rocksongs von Tina Turner, Bruce Springsteen und Kenny Loggins in Grund und Boden zu mördern. Die mit beachtlichen optischen Vorzügen ausgestattete Front-Frau schien ihr Engagement wohl eher „persönlichen Beziehungen“ als musikalischen Argumenten zu verdanken…

„The Chant Has Just Begun“ lassen dann THE ALARM verlautbaren. Und die Stachelfrisuren aus Wales sind dann auch die ersten, die mit kompakter Gitarrenkraft tausende Hände in die Höhe reißen können. (Wie weit die Menschenmassen reichen, kann man nun anhand der Schallverzögerung beobachten: Die hintersten Reihen klatschen genau auf Off-Beat!) Ansonsten nicht viel Neues im Alarm-Lager; ihre Aufgabe den Kessel anzuheizen, erfüllen die Waliser allerdings mit Bravour.

Es folgen SHAKATAK – jene Funk-Jazz-Rock-Band um Bill Sharpe, die Kollege Teddy Hoersch so trefflich mit dem Terminus „James Last für Erwachsene“ bedachte. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Mit Spannung wird RICK SPRINGFIELDS erster Gig in deutschen Landen erwartet. Das Ex-Teenager-Idol und – wir mir holde Weiblichkeiten versicherten – eines der schönsten Mannsbilder unter der Sonne, fegt mit einer Vitalität über den Platz, die so manche Kiefer runterklappen läßt. Die Wende des Rick Springfield vom schmalztriefenden „Hard To Hold“-Kinohelden zum substanziellen Singer/Songwriter der Edelklasse ist schlichtweg bewundernswert. Die Hände zu Fäusten geballt, stürmt er an die Rampe, ermahnt die Menge zu „Celebrate Youth“ und läßt zu „Dance The World Away“ einen aufblasbaren Flugmarschkörper vom Typ Cruise Missile ins Publikum schubsen. Erste Begeisterungsstürme.

Da hat’s unsere „sizilianische Schwester“ GIANNA NANNINI natürlich schwer. Zudem fehlt bei ihrem Gig jegliche Art von Neugier: Zuoft spielte sie ihr zweifellos rundes Programm schon vor deutschem Zuhörerkreis.

Ähnlich ergeht es JOE COCKER, der sich zwar in guter Form präsentiert, doch erst mit der 2465. Auflage des krächzenden „With A Little Help From My Friends“-Schreies die Massen aus der Reserve lockt.

Wohl für den amerikanischen Teil des Publikums verpflichtet, süizen sich anschließend die Herren von R.E.O. SPEEDWAGON durch ihren Set. Da sieht man diese schrecklich originellen Bühnen-Manierismen der Westküste – Lehrstücke, wie man als Rockstar eine Gitarre zu halten hat und die extrem neuartige „Do-you-feel-allright?“-Mentalität. Fazit zwischen Schmalz und Metal: Plastik soweit das Auge/Ohr reicht!

Eindeutig als Tagessieger gehen – wie könnte es anders sein – U2 hervor. Mit der untergehenden Sonne stürzen sich die irischen Kreuzritter in einen Gig, den sie wahrscheinlich selbst nicht so schnell vergessen werden. Bono reißt sich wirklich alles aus der Seele und irgendwie kann man sich des makabren Eindrucks nicht erwehren, als warte er geradezu darauf, auf der Bühne gekreuzigt zu werden. Keiner hat mehr Pathos, keiner zieht die Zuschauer so in seinen Bann. Und selbst wenn man Bonos Mimik mit Distanz verfolgt, einige seiner heroischen Posen gar belächelt, kann man einfach nicht umhin, von seinem charismatischen Auftreten gepackt zu werden. Er schleppt sich zum Mikro, erklimmt waghalsig das Dach der Bühnenkonstruktion, läßt unter maximalen Körpereinsatz nichts unversucht, um die Barrieren zwischen Künstler und Publikum niederzureißen.

Und es gelingt. Insider schmunzeln zwar über die zum x-ten Mal erzählte Reeperbahn-Nuttenstory zur Einleitung von „Bad“, doch hebt unser Reserve-Christus sein mächtiges Organ zum Credo „Pride/In The Name Of Love“, kann auch die frigide Fraktion der Musikjournaille die Gänsehaut nicht mehr verhindern. U2 ist die aufregendste, motivierteste – einfach die beste S-h-o-w-Band dieser Tage!

Nach dieser emotionsgeladenen Darbietung muß CHRIS DE BURGH auf die Bühne. Nicht gerade das, was man eine ruhige Kugel nennt, hier als Abschluß des ersten Tages noch eins draufsetzen zu wollen.

Doch der alte Profi weiß die Mentalität seiner ach so treuen deutschen Fans zu treffen. Ein Bilderbuch-Finale mit Feuerwerk und dem Iren allein an der Akustikgitarre – sein „Where Peaceful Waters Flow“ schmetternd – geleitet die Menge zur verdienten Ruh’…

Kurz nach 10 Uhr morgens eröffnen die bis dato relativ unbekannten FACE 2 FACE mit knalligem Up-to-date-Rock den zweiten Durchgang. LONE JUSTICE können durch den Ausfall der Immaculate Fools noch einmal auf die Tube drücken, doch dann wird man genervt durch die einzig längere Umbaupause und dem endlosen Soundcheck der kalifornischen Band NIGHTRANGER.

Als die Musiker dann endlich zum großspurig angekündigten Germany-Debüt loslegen, beginnt das hastig verschlungene Frühstück zu rebellieren. Hard Rock-Entertainment der untersten Schublade, das seine heftigsten Publikums-Reaktionen normalerweise dann erfährt, wenn der Sangesbruder das Wörtchen „Jack Daniels“ in den Mund nimmt. Und das Sonntags um zwölf…

Kurz nach Eins stolziert dann WILLY DE VILLE im eierschalfarbenen August Darnell-Outfit und in Begleitung seines frischangetrauten Eheweibes in Richtung Bühne. Sein R&B-Gemix paßt erfahrungsgemäß perfekt in jeden verrauchten Club und so ist es nicht allzu überraschend, daß sein an sich präzise gespieltes Programm irgendwo zwischen Lautsprechertürmen und Publikum steckenbleibt.

Dann MARILLION. Fish, nunmehr etwas sparsamer geschminkt, hat wohl die beinhärtesten Fans im Auditorium. Ein Stück aus ihrer kommenden LP (aufgenommen in den Berliner Hansa Studios) mit dem voraussichtlichen Titel MISPLACED JOKER gehört neben dem obligatorischen „Fugazi“ zu den eindrucksvollsten Momenten ihres Sets.

Tagessieger Numero Zwo wird kein Geringerer als MARIUS MÜL-LER. Kein Spaß! Als WESTERNHAGEN mit „Menschenfresser“ startet und schon bald eine enorme Resonanz bei den Massen ausmachen kann, steigert er sich zu seinem vermutlich bislang besten Konzert. Mit markigen Sprüchen („Ich hoffe, daß heut‘ abend viel gebumst wird!“) und fast schon genialer Kaltschnäuzigkeit hinterläßt er schließlich eine johlende Menge, deren Geräuschpegel nur mehr mit dem von U2 am Vortag zu vergleichen ist. Nachdem „Geiler is‘ schon“ als erste Zugabe nicht ausreicht und die Band nochmals rausmuß, sorgt der überglückliche Marius („Ihr wißt gar nicht, wie glücklich ihr mich macht…“) mit einer an Intensität nur so berstenden Version von „Laß uns leben“ für die zweite Gänsehaut des Festivals. Endlich! Man glaubt es kaum, ein richtiger deutscher Rockstar!

Die restlichen drei Acts können solche Gefühle nicht mehr über die Bühne bringen. Besonderes Pech hat dabei HUEY LEWIS, der von einem aufdringlichen, mit Handkamera bewaffneten ZDF-Mann verfolgt wird und eine besondere Art der Nahaufnahme kennenlernt: Während die Band einen neuen Song präsentiert („Power Of Love“), knallt Huey durch eine plötzliche Körperdrehung mit dem Metallgehäuse der Kamera böse zusammen.

Vollprofi, der er nun mal ist, zieht er vorerst noch etwas benommen die Show durch ist aber verständlicherweise nicht mehr bester Laune.

Die Kanadier von SAGA glänzen zwar backstage mit den langbeinigsten Groupies, können aber auf der Bühne nur die eingefleischten Fans überzeugen. Da kann lan Crichton noch so viele Sturmläufe an der Gitarre zeigen, Mittelstürmer Michael Sadler als Möchtegern-Zampano noch so grimmig aufs Spielfeld blicken das gleichzeitig stattfindende deutsche Pokal-Endspiel ist einfach spannender.

Abschließend sollen dann FOREIGNER für den beeindruckenden Ausklang sorgen. Für viele gelingt ihnen das auch. Doch wieviel mehr wäre da drin gewesen! Foreigner haben heute mit Sicherheit das beste Hit-gespickte Mainstream-Rockprogramm und da steht dann so ein winselnder Rehpinscher auf der Bühne, der mit absolut Null-Ausstrahlung niemals auch nur im Ansatz einen Kontakt zum Publikum herstellen kann. Natürlich jagen sie einen Hit nach dem anderen durch ihre (Juke-) Boxen, natürlich feiert man die Band mit erhobenen Händen doch wieviel besser könnten Foreigner sein, hätten sie wirkliche Persönlichkeiten in der Band.

Welche Ausstrahlungskraft sie tatsächlich haben, läßt sich am bestens inszenierten Abgang der Band ersehen: Als die Musiker von der Bühne direkt in die mit Champagner ausstaffierten BMW-Limousinen eilen, können sie mit dem gerade losbrechenden Feuerwerk nicht konkurrieren. Die versammelten Groupies, Roadies und die sonstige Backstage-Prominenz blickt gen Himmel und völlig unbeachtet brausen die Herrschaften von dannen…

Nächstes Jahr wird’s wieder ein Rock am Ring geben. Datum: 15.-16. Juni, dann aber in der Südkurve, wo bessere Sichtverhältnisse gegeben sein werden.