Rock in Rio


Rio infernal! Selbst beinharten Haudegen wurde weich in den Knien: Nicht nur die Dimensionen dieses Festivals waren atemberaubend, auch das exotische Ambiente trieb den Adrenalinspiegel steil in die Höhe-selbst wenn nicht alle Akteure so gefährlich lebten wie Rudolf Schenker (r.). Der ME/Sounds-Reporter beispielsweise nahm seine . journalistische Verantwortung überaus ernst, machte um Drogen und Bordelle einen weiten Bogen, um so der nackten Wahrheit zum Sieg zu verhelfen. Unsere Foto-Crew mit Robert Ellis, Volkmar Walter und Ross Halfin schoß aus allen Lagen.

Unerbittlich nagelt die Mittagssonne auf seinen wehrlosen Körper. Bei 37 Wärmegraden dreht sich die Welt nun mal langsamer, behutsamer. Selbst die kaffeebraune Brasilianerin streicht im Zeitlupentempo ihre sonnenölverschmierten Hände über seinen Rücken. Es gibt keine Chance gegen diese gottverdammte Hitze. Man muß cool bleiben. Cool am Pool! Unser Mann weiß das. Die erste Nacht an der Copacapana war lang und heiß – und die nächste wird es nicht minder sein.

Da streift ein Windzug seine sonnenverbrannten Gliedmaßen. Es ist der livrierte Kellner.

der mit den Worten: „… a phone call for you“ geübt den Apparat am Kopfende der weißen Liege placiert. Langsam hebt der Mann sein Haupt, führt ermattet die Hörmuschel an sein Ohr: „… Mr. Coverdale, we are ready for Whitesnake-Soundcheck… „

So filmreif diese Szene auch wirken mag. so und ähnlich verliefen die Tage zwischen 11. und 20. Januar in und um Rio de Janeiro. Zehn Nächte lang setzte ein enormes Staraufgebot, von 3000 Scheinwerfern bestrahlt, ein 300000 Quadratmeter großes Gelände unter 70000 Watt P.A.-Schalldruck – und niemand wird sich mehr am Gelingen der Monsterveranstaltung erfreut haben als ein gewisser Roberto Medina. Seine Idee, ein Woodstock der 80er Jahre aus dem Boden zu stampfen, dürfte mit Sicherheit in die Annalen der Rockgeschichte eingehen.

Satte 33 Millionen Märker wurden in das Unternehmen investiert – und aller Voraussicht nach wird der 37jährige Werbeunternehmer mit Plus-Minus Null abschließen können. Allein der Erlös der Eintrittskarten brachte 6,6 Millionen Dollar; Lizenzzahlungen diverser Firmen, die am Festivalgelände ihre Produkte anpreisen durften, garantierten weitere Milliönchen; die Verwertungsrechte für Schallplatte, T-Shirts, Film und Video schließlich komplettieren das Geschäft.

Der Ort des Geschehens befindet sich etwa 35 Kilometer südlich von Rio in Barra di Tijucca und liegt in der Nähe des Autodroms, wo Niki und seine Domestiken alljährlich ihre Pferdestärken um die Runden prügeln.

Der pfiffige Manager Medina ließ das ehemalige Sumpfgebiet mit 800 Kubikmeter Sand verfestigen und mit einer drei Meter hohen Mauer plus Drahtverhau umzäunen. Eine gigantische Bühne wurde errichtet -150 Meter lang. 20 Meter hoch und 50 Meter tief; Platz genug, um drei Sets nebeneinander aufzubauen und damit unangenehme Umbaupausen gar nicht erst zuzulassen.

Einkaufszentren. Springbrunnen, sanitäre Anlagen und McDonalds – für alles wurde gesorgt. Eine Brauerei legte gar Pipelines, um kostbaren Gerstensaft von Rio nach Barra cli Tijucca zu pumpen. So wurden die insgesamt fast zwei Millionen Besucher mit 3,6 Millionen Liter Bier abgefüllt – und McDonalds vermeldete den größten Umsatz seit der Konzerngründung 1955 – Stundenschnitt: etwa 7000 Portionen Junk-Futter!

Als erste internationale Gruppe (das Programm wurde zur Hälfte von brasilianischen Acts; bestritten) stieg Coverdale/Whitesnake vor die beeindruckende Menschenmenge von 300000 Zuschauern. Trot2 technischer Probleme legte Potenzprotz David samt Band, allen voran natürlich der wunderschöne John Sykes an der Klampfe, einen druckvollen Set auf die Bretter. Gewohnt gut.

Iron Maiden fielen mehr durch Lautstärke als durch musikalische Qualität auf, während Queen – als Headliner des ersten Abends – einfach königlich abräumten.

Was den Neuankömmling frappiert, ist die Tatsache, daß Hard’n’Heavy-Stoff in Brasilien momentan überaus gefragt ist. Ein Land, das für den unkundigen Europäer synonym für einen einzigen Samba-Rausch steht, sich eines Antonio Carlos Jobims oder Joao Gilbertos rühmen darf, sollte doch eigentlich andere musikalische Vorlieben pflegen?!

Doch nichts da! Hardrock ist King – und die Scorpions waren seine Propheten! Die Hannoveraner waren nämlich wieder einmal die Band, die den besten Eindruck hinterließ. Doch davon später.

Ebenso interessant – aus deutscher Sicht – war der Auftritt Nina Hagens, die sich in vier verschiedenen Sprachen artikulierte und eine besondere Faszination auf die Südamerikaner auszustrahlen scheint. Als sie zu Konzertbeginn die Titelmelodie von „Unheimliche Begegnung der 3. Art“ variiert und dazu die entsprechenden Lichtspiele aufleuchten, läuft das Publikum Amok.

Völlig daneben hingegen lagen Yes. die mit ihrer unterkühlten Bühnenshow nicht gerade auf übermäßige Publikums-Resonanz stoßen konnten. Brasilianern eine Show ohne Temperament vorzusetzen, ist wohl der dümmste Fehler, den man an diesem Ort überhaupt machen kann.

Unter solchen Gesichtspunkten war denn auch klar, daß ein Rod Stewart leichtes Spiel haben würde. Ebenso „Seine Fürchterlichkeit“ Ozzy Osbourne und die australischen Starkstrom-Elektriker AC/DC.

Die vorletzte Nacht sollte dann das absolute Glanzlicht werden. Whitesnake, Ozzy, AC/DC und die Scorps bliesen zum zweiten Phon-Angriff auf sage und schreibe 470000 (!) enthusiastische Fans. Und Schenker & Co. schössen eindrucksvoll den Vogel ab: Als Vollblut-Gitarrenheld Mathias Jabs einen dem Original-Emblem „Rock in Rio“ nachgebauten – Sechssaiter um die Schultern legte und ein brasilianisches Karnevalsstück anstimmte, war der Teufel los.

Man kann zu solchen Gesten stehen wie man will, aber in einem Orkan von fast einer halben Million brüllender Fans, umsäuselt von einer lauten Sommernacht, läßt das selbst den frigidesten Ober-Coolie aus den verschwitzten Socken kippen.

Die Fernsehzuschauer bekamen dann noch ein besonderes Spektakel vorgesetzt, als dem blutverschmierten Rudi Schenker (Rudi stürzte während des Gigs und schlug sich die linke Augenbraue auf) vom Arzt eine nette Naht verpaßt wurde – live im TV!

Das Apres-Show hatte es natürlich nicht minder in sich. Schon aufgrund der exotischen Umgebung versprach man sich seitens der Musiker ein paar bunte Abende. Zwar wurde an der Qualität der Drogen lautstark Kritik geübt (angeblich sollten zehn Kilo Koks [!] für Musiker und Anhang bereitstehen, doch hatten massive Razzien in Kolumbien diesen Plan wohl vereitelt), aber auch ohne derartige Hilfsmittel wurden die Feste gefeiert, wie sie fielen.

Der Zeitpunkt des Festivals war zudem gut gewählt – Sommer und Schulferien! – und so waren die Strände überfüllt mit den knackigsten Hinterschinken der Gegenwart, weiblich wie männlich, wohlgemerkt! Und da Rock’n‘ Roll-Musikanten für Brasilianerinnen immer schon eine bemerkenswerte Anziehungskraft ausübten, wurde die Avenida Atlantica zur wundersamen Stätte der Begegnung. Der persönliche Kontakt zum Publikum wurde groß geschrieben und anschließend über Sprachbarrieren hinweg so heftig kommuniziert, daß der Beton des Copacapana Palace-Hotels nur so ächzte (Hallo Hermann…).

Und so wurden sie alle zufriedengestellt: Künstler, Business-Haie, Veranstalter, Groupies, die Regierung (es kamen rund 100000 zahlungskräftige Touristen ins Land!) und Publikum. Keine Verletzten, Randale oder Verhaftungen – Friede war mit ihnen.

Lediglich ein paar verträumte Alt-Hippies verfielen in nörgelnde Melancholie. Sie beklagten den Verlust der ideellen Werte mein Gott, in Woodstock war das viel beeindruckender, nicht so „konsum-verdorben“, damals hatte man noch Pläne, die Welt zu verändern, seufz…

Auf Grund des großen Erfolges will Roberto Medina natürlich weitermachen. Das Festivalgelände wird bereits ausgebaut – und im Januar ’86 soll das nächste Spektakel über die Bühne gehen. Angeblich bemühen sich die Organisatoren bereits um so klingende Namen wie Michael Jackson, Diana Ross, Rolling Stones und Duran Duran. See you…