Rockpop In Concert


Sade. The Cars. U2 und Talk Talk – das wäre die Festivalbesetzung des Jahres geworden. Aber schon zum zweiier. Mal hintereinander änderte das ZDF kurzfristig die Besetzungsliste für die traditionelle Rock Pop-Nacht in der Dortmunder Westfalenhalle.

Konnte man im Sommet das Fehlen von Pat Benatar durch cleneingesprungenen Herbert Grönemeyer mehr als wettmachen lagen die Dinge diesmal anders. Mit Sade und den Cars sagten zwei der wohl derzeit populärsten Gruppen überhaupt ab, beide dazu vorher in Deutschland kaum je live zu sehen und daher mit umso größerer Spannung erwartet.

Stattdessen sollten nun die Zweiund Drittligisten Spandau Ballet. Gianna Nannini und Bryan Adams ran, wobei die beiden letzteren ihre Jungfräulichkeit in puncto Rocknacht ohnehin schon verloren hatten: Sie waren vor Zeiten bereits bei den Kollegen von der ARD zu Gast. Eine Notlösung also, um sich die Blamage einer Totalabsage zu ersparen? Oder vielleicht doch Glück im Unglück?

Immerhin waren überraschend viele Leute nach Dortmund gepilgert. Ähnlich wie die Rockpalast-Nächte hatte auch Rock Pop in Concert in der letzten Zeit unter stetigem Besucherschwund zu leiden. Als im Juni 84 Simple Minds. Pretenders, Cocker u.a. für ein hochkarätiges Line-up sorgten, war die Riesenhalle (Fassungsvermögen über 15000) nicht mal zur Hälfte gefüllt.

Aber diesmal waren sowohl die Ränge gut besetzt als auch der eigentliche Schauplatz, das Innere der elliptischen Radrennbahn. Zwischen den beiden gegenüberliegenden Bühnen, die für einen reibungslosen Ablauf ohne große Umbaupausen sorgten, herrschte dichtes Gedränge – blaue Flecken und Atemnot im Eintrittspreis enthalten.

Ihrem Namen machten die schottischen Waterboys alle Ehre: Sie mußten ins kalte Wasser springen und das Festival um 17 Uhr eröffnen. Die hierzulande einem breiten Publikum noch relativ unbekannte Band um den Sänger/Gitarristen/ Songpoeten Mike Scott machten ihre Sache diesmal wesentlich besser als z.B. auf den Golden Summernight Festivals im September und legte vom ersten Ton an richtig los: stark gitarrenorientierter Rock, die Liebe zu elektrifiziertem Folk-Rock der ersten Dylan-Generation und ungeschliffenem Rythm ’n‘ Blues nie verleugnend. Neben Mike Scott sorgten vor allem die beiden Bläser für genügend Schmiß, um das Publikum wach- und warmzumachen. Keine Zugabe, aber ein Wiedersehen wäre nicht schlecht gute Band.

Kehrtwendung um 180 Grad: Die nächste Musi kam aus der entgegengesetzten Richtung – in jeder Hinsicht. Zu bombastischem Exerziergetrommel ein Gruß vom Band: „Welcome To The parade!“ Was man angemessen besser übersetzt mit:

„Herzlich willkommen zur Modenschau!“ -Karnevalsseide in allen Farben. Nein, da tut man ihnen unrecht, Spandau Ballet haben sicher genug Geld, um sich reine Seide zu leisten. Also Bassist Martin Kemp im Sherlock-Holmes-Paletot. knallblau mit Schottenkaro abgesetzt; Herr Hadley im Smoking. Trotzdem wird er es nie schaffen, so auszusehen wie Bryan Ferry – und zu singen wohl auch nicht. Dem Schlagzeuger war hinterher ziemlich schlecht, so daß ihn die Roadies von der Bühne führen mußten. Wahrscheinlich zuviel Haarspray benutzt. Für alle Farbfotografen auf jeden Fall die Gruppe des Abends.

Musik? Ach so, ja, gab es nebenbei auch noch. Wie Spandau Ballet so klingen: Aaaaalglatt.

Wenn schon einseitig und intolerant, dann auch weiter so. Diesmal ein zweihundertprozentiges Credo für die nächste Band. U2 lieferten für mich das Konzert des Jahres. Klingt vielleicht komisch – aber ich hab‘ im Publikum gestanden und geheult, wohl nicht als einziger.

Bonc hat eine Ausstrahlung, die auch in der letzten Reihe noch voll ins Herz trifft, und er läßt sich durch den abgezäunten Kamera-Korridor keine künstliche Distanz zum Publikum aufzwingen – er bricht einfach ?ur Seite aus und versucht, die spiegelglatte Steilkurve der Radpiste zum ersten Rang hochzuklettern. setzt sich ein paarmal wenig telegen auf den Hintern, egal, kommt schließlich doch oben an Dann zerrt er einen Kameramann am Ärmel an den Bühnenrand und zeigt s ihm: „Da, die Leute da unten mußt du filmen!“

Und schon wieder ein totales Wechselbad: Auf der anderen Seite steht der Kanadier Bryan Adams in Jeans und Turnschuhen zum Absprung bereit und macht seine Sache großartig. Good Time Rock n‘ Roll in allerbester Laune. Musik, wie ich sie eigentlich nicht ausstehen kann. Aber diesen ewigen Jungen mit seinem ansteckenden Lachen muß man einfach mögen, wie er über die fast leere Bühne fegt, wie er über den Kamera-Laufsteg flitzt und ein Bad in der Menge nimmt. Sicher, Routine, aber eine, die im Gegensatz zu den meisten seiner amenka nischen Kollegen hier nicht abgestanden und abgeschmackt wirkt. Keine Faxen, keine Gimmicks. keine Atempausen. Bryan faßt sich knapp, aber immer auf den Punkt. Bei der letzten Zugabe schreit er“.Ihr wollt mehr? Hier ist mehr!“, und weiter geht’s. Auch davon, bitteschön, jederzeit mehr, solange es live ist.

Kann man bei so vielen Highlights noch einen draufsetzen? Man(n) nicht, aber frau schafft es mühelos: Gianni Nannini dreht anschließend sis; auf und dann völlig durch, rockt alles in Grund und Boden. Von ihr noch eine weitere Variante, wofür TV-Kameras gut sind: Zum Draufreiten! Der Gedanke an Rodeo ist dabei die jugendfreie Variante.

Von den oft eher melancholischen und auf Atmosphäre zielenden Arrangements ihrer Platten ist hier nichts mehr zu spüren, hier werden nur die schwersten Rockkaliber aufgefahren und die letzten Reserven mobilisiert – auch beim Publikum.

Und das bekamen auch Talk Talk zu spüren, die zu mitternächtlicher Stunde das Publikum nicht mehr so recht in Fahrt zu bringen verstanden. An einem früheren Punkt hätten sie mit ihrer eher zurückhaltenden Art sicher alle Sympathien gehabt, aber zu so später Stunde führten allzu ausgedehnte Improvisationen von Piano und Percussion nur zu vermehrten Blicken auf die Uhr: die Reihen hatten sich bereits merklich gelichtet – immerhin war der nächste Tag ein Arbeitstag.

Hör‘ ich da immer noch was von Notlösung? Sade? Cars? Vergeben und vergessen. Glück gehabt.