Salif Keita


Als Vater Keita vor Jahren seinen Albino-Buben samt Mutter aus der Hütte warf, ahnte er nicht, daß Salif der wichtigste Musik-Botschafter der Sahel-Republik Mali werden sollte. Mit ME/Sounds-Mitarbeiter Philip Sweeney kehrte der Sänger in sein Heimatdorf zurück.

Dienstag nacht in Badialar, einem Rotlicht-Bezirk in Bamako, der Hauptstadt von Mali. In einem Hof hinter der „Bar des Sports“ sitzen Frauen um einen Holzkohlegrill und rösten brochettes. Auf der Mauer ringsherum reihenweise kleine schwarze Hände und große weiße Augen – die Kinder des Viertels, aus der Dunkelheit angelockt von den außergewöhnlichen Ereignissen. Drinnen kichert Barkeeper Brehima Telli ungläubig, als zwei 500-Watt-Scheinwerfer seit Jahrzehnten unbeachtete schmutzige Winkel in gleißendes Licht tauchen: die langsam abbröckelnde gekachelte Bar, ein Fliegenkadaver-übersätes Plakat mit der malinesischen Verfassung und das Regal mit dem aus vier Flaschen bestehenden Getränkeangebot: Pastis 51, Rum Negrita, Johnny Walker und – wenig authentisch klingend – W. O’Patrick’s French Gin.

Auf einem Blechstuhl im Hinterhof, eine weiße Gitarre auf den Knien, die ihm Jackson Browne geschenkt hat, sitzt der Mann, dem die „Bar des Sports“ ihre Viertelstunde des Ruhms verdankt. Salif Keita, Albino von altem Adel und heute Malis berühmtester Sänger, ist Mittelpunkt eines Films der BBC.

Salif, Kaugummi zwischen den Zähnen, teilt Bier an die Crew aus und erklärt, warum wir hier sind.

„Diese Bar war eine der ersten, in denen ich vor 20 Jahren spielte. Ich halte meine Ausbildung als Lehrer aufgegeben und war auf der Suche nach einem Job. Ich war sehr arm, schlief auf dem Markt unter freiem Himmel. Die Leute hier waren sehr nett, sie warfen Geld in meine Gitarre.“

Die große Sahel-Republik Mali ist in fast jeder Hinsicht bettelarm – aber unendlich reich an Musik. Die Sängerkaste der Mandinkas, die griots, singen auch heute noch, ihrer traditionellen Rolle gemäß, das Lob ihrer adeligen Herrschaften, während sich gleichzeitig seit den frühen 70ern eine neue Generation moderner Gruppen entwickelt hat, die Mandinka-Rhythmen und -Melodien mit kubanischen und amerikanischen Einflüssen vermischen und in bescheidenem Maße von der Regierung unterstützt werden.

Die beiden bekanntesten Bamako-Gruppen, die Super Rail Band und die Les Ambassadeurs, waren die Plattform, auf der Keita mit seiner ätherischen Stimme und seinem seltsamen Äußeren landesweit bekannt wurde. Seine 1987 erschienene LP SORO, aufgenommen in Paris und mit einer verkaufsfördernden Euro-Funk-Politur versehen, war die erste malinesische Platte, die den Durchbruch auf dem internationalen Markt schaffte und damit Keitas Stellung als kultureller Botschafter seines Landes im Rest der Welt festigte.

Derzeit scheint ein nicht unbedeutender Teil vom Rest der Welt in Mali nach Musik zu schürfen. In Bamakos einzigem Hotel mit internationalem Standard, dem „Amitie“, logieren gleich drei englische Kamerateams; diverse Produzenten sollen Gerüchten zufolge bald eintreffen.

Salif, der seit 1984 in dem Pariser Vorort Montreuil lebt, residiert ebenfalls im „Amitie“, steht so spät wie möglich auf und fährt des öfteren in sein 50 Kilometer entferntes Heimatdorf Djoliba. Djoliba besteht aus ein paar verstreuten Gruppen niedriger Gebäude, die älteren rund, aus Lehmziegeln gebaut und mit Stroh gedeckt, die neueren rechteckig und mit Wellblech-Dächern.

In einer Hütte, zur Verfügung gestellt von einem entfernten Verwandten der Keitas in Djoliba, stellen Gabriel Konate und Marietou Kouyate vom „National Theatre of Mali“ vor der Kamera die Szene nach, in der Salifs Vater seine Frau mit dem neugeborenen Sohn aus dem Haus wirft, da ein Albino nach altem Aberglauben die Frucht einer unerlaubten Beziehung ist und den nächsten sieben Generationen Unglück bringt.

Aus der Hütte dringt das Gebrüll von Gabriel Konate, der die unglückliche damalige Madame Keita verstößt — „Boh! Boh!“ – (Verschwinde! Verschwinde!) – gefolgt von der Stimme des Tonmannes Jim Greenhorn: „Kannst du den Kindern beibringen, daß sie den Mund halten sollen. Jedesmal, wenn er seine Frau rauswirft, fangen sie an zu lachen.“

Ich streife durch die Gebäude und betrachte ungewohnte Haushaltsartikel: Kürbisflaschen, Seile, Tongeschirr, Holzkohlegrills. Ob sich irgendwo ein Soro befindet – ein Fetisch, der den Haushalt beschützen soll – von dem Salif in seinem bisher bekanntesten Stück singt?

Als ich Salif später zu seiner Religion befrage – er ist Moslem – ist er wenig gewiUt, auf das Thema einzugehen. Worum genau handelt es sich bei dem Soro in seines Vaters Haus, von dem er singt?

„Das ist ein Geheimnis, sorry.‘ Haben seine Lieder unterschwellig mit dem Animismus zu tun, dem alten Geisterglauben, dem die meisten Westafrikaner neben der christlichen oder moslemischen Religion immer noch anhängen?

Ja“, gibt er zu, „aber darüber möchte ich lieber nicht sprechen.“

Obwohl er so erfolgreich an seinem eigenen Mythos bastelt, bewahrt sich Keita seinen Ruf als launischer Eigenbrötler. „In Paris lebe ich ganz zurückgezogen abwechselnd im Haus meiner Schwester und in meinem eigenen. Ich lebe wie ein Afrikaner, esse wie zuhause mit den Händen.“

Keita hat auch andere Seiten, aber selbst Parties genießt er auf seine spezielle Weise. Bei einem Abendessen anläßlich des Geburtstags von BBC-Regisseur Chris Austin röhrt sich Salif durch ein bizarres Undjetzt-alle-mitsingen-Repertoire („Clementine“, „Da Doo Ron Ron“, „A Whole Lotta Love“) und schenkt eimerweise Whisky aus, ohne selber einen Tropfen davon anzurühren.

Er ist ungeheuer interessiert am Filmen und hat Austin vorgeschlagen, sich an der Regie einer abendfüllenden Keita-Biographie zu beteiligen. “ Was wir im Moment drehen, ist nur der Clip zu einem großen Film, der noch gemacht wird“, sagt er mit ansteckender Begeisterung, „dem Film meines Lebens.“