Sanfte Revoluzer


L Keine Angst vorm schwarzen Mann, Die humanen HipHopper aus Georgia singen das Hohelied auf Freundschaft, Familie und ein Leben auf der Farm

Das amerikanische HipHop-Kollektiv ist eine der innovativsten Formationen, die das Genre derzeit zu bieten hat. Das gilt mit Blick auf sein vielbeachtetes Debüt „3 Years, 5 Months & 2 Days In the Life Of Arrested Development“ (1992) und wird durch das aktuelle Album „Zingalamaduni“ erneut unterstrichen. Eine Platte, die ihren Vorgänger an Souveränität und innerer Geschlossenheit noch um einiges übertrifft. „Zingalamaduni“, was auf Suaheli soviel wie „Bienenkorb der Kultur“ bedeutet, schafft es auflässige, swingende Art und Weise, unterschiedliche Musikrichtungen unter einen Hut zu bringen . Das Ergebnis ist ein Sound, der mal an Gil Scott-Heron oder Bob Marley, mal an Stevie Wonder oder Public Enemy erinnert und dabei auch noch erstaunlich eigenständig klingt.

Kein Wunder, denn Arrested Development sind seit ihren Anfängen vor fünf Jahren eine eigene Kategorie. Musiker, die mit selbsternannten oder tatsächlichen Ghetto-Gangstern ebensoviel zu tun haben wie mit tumben B-Boys, denen die Turnschuh-Marke wichtiger ist als der Inhalt ihrer Texte – nämlich gar nichts. Die Mitglieder der achtköpfigenKreativkommune sehen sich als Revolutionäre des Alltags. Mit gewissen Einschränkungen allerdings, wie der 25jährige Speech, Hauptsonglieferant und Sprecher von Arrested Development, betont: „Revolutionär zu sein, bedeutet nicht zwangsläufig, mit grimmigem Blick durch die Welt zu rennen. Revolution steht in erster Linie für Veränderung. Wir träumen von einer Welt, in der Kinder aller Hautfarben gemeinsam im Sandkasten spielen. Wir wünschen uns glückliche Familien und fröhliche Menschen. Doch idiotischerweise schlagen die Menschen sich nach wie vor die Köpfe ein. Gegen diesen Wahnsinn singen wir an.“

Was oberflächlich betrachtet wie das Statement eines hoffnungslosen Idealisten klingt, gewinnt bei näherem Hinsehen eine zusätzliche Dimension. Denn im Gegensatz zu vielen ihrer radikalen Rap-Kollegen versuchen Arrested Development, im täglichen Leben positive Zeichen zu setzen. So schreiben sie regelmäßig konstruktive Beiträge für Afroamerikanische Magazine und bewirtschaften – es gibt nichts Gutes, außer man tut es – seit fünf Jahren eine Farm in der Nähe von Atlanta. Was alles weitgehend unbekannt bliebe, wäre da nicht der Erfolg der aufrechten Acht aus Georgia.

„Weil unsere Musik überall ankommt, wird zwangsläufig auch unsere Botschaft in der ganzen Welt ausgebreitet“, freut sich der eloquente Speech. Und diese Botschaft lautet: Misch dich ein, lebe Positives vor. Arrested Development, die soften Revoluzzer. 13 Monate lang reiste das bäuerliche Kollektiv – sechs Männer und zwei Frauen – um den Globus, um die frohe Botschaft von einer besseren Welt, die durch vorbildliches Handeln entstehen soll, rappenderweise zu verkünden.

Doch auch ohne diese missionarische Tour de Force sorgten die musikalischen Farmer aus dem amerikanischen Süden für reichlich Furore. Das einflußreiche US-Blatt „Rolling Stone“ kürte Arrested Development zur Band des Jahres. Und auch bei der medienwirksamen „Grammy“-Verleihung ging der artige Achter nicht leer aus – was im übrigen auch mit Blick auf den Tantiemenfluß gilt. Doch der schnöde Mammon, so möchte es scheinen, hat im Leben von Arrested Development keine allzu herausragende Bedeutung: „Ich bin nicht stolz auf die Kohle, die wir im Laufe der Zeit gemacht haben“, betont Speech. „Denn dieser Aspekt spielt für uns keine große Rolle.“ Glücklich, wer sich übers Geld nicht zu grämen braucht.

Arrested Development haben andere Sorgen. Originalton Speech: „Schwarze wurden in Amerika von den Weißen seit jeher als Tiere angesehen. Und Tiere haben keine Identität, weil sie nach ihrem Instinkt leben. Deshalb ist das Wichtigste für einen Menschen zu wissen, wer er ist, und woherer kommt. Wenn du das weißt, kannst du anfangen, an einer Vision zu arbeiten. Und erst danach kannt du versuchen, andere Leute von dieser Vision zu überzeugen.“

Ein ehrenvolles Ansinnen, wenn denn nur die Botschaft stimmt. Was aber ist mit den rüden Reimen mancher Rapper, die nicht nur erfolgreich, sondern – genau wie Arrested Development – auch Schwarze sind? „Mit dem ganzen Gangsta-Gehabe kann ich nichts anfangen“, gesteht Speech. „Typen wie Snoop Doggy Dogg oder Ice-T halte ich für Großmäuler, die nicht erwachsen werden wollen. Sie spielen mit Aggression, mit dem Tod und einem Leben im Knast. Außerdem haben sie offenbar keine Ahnung, worauf sie sich eingelassen haben. Denn sie predigen den Kids einen Haß, den die dann prompt weiterverbreiten. Aber mit Haß löst man nun mal keine Probleme. Und seien sie noch so ernst.“

Arrested Development bauen auf die Kraft der Vernunft: “ Wir setzen auf Stolz und Selbstbewußtsein, auf Liebe und Respekt, auf Gleichberechtigung und soziales Verantwortungsbewußtsein“, verkündet Speech versonnen. „In Europa mag das zwar platt klingen, weil es hier eine Tradition für diese Werte gibt. Aber bei uns in Amerika spricht niemand darüber. Dort fährt jeder nur die Ellbogen aus, besonders gegen uns Schwarze.“ Als Transportmittel für ihr humanes Ansinnen benutzen Arrested Development, genau wie ihre ruppigen Gegenspieler, den Rap. Warum das so ist, liegt für Speech, den gedrungenen Denker mit dem undurchdringlichen Lächeln und der wahnwitzigen Wollmütze, auf der Hand: „Rap ist die Sprache der fugend. In ihr sind unsere Botschaften am besten vermittelbar. Ein wichtiger Aspekt. Denn wir wollen ja, daß die Leute uns zuhören, weil wir ihnen etwas zu sagen haben.“

Wohl wahr, denn die Texte auf „Zingalamaduni“ sind bei aller Gelassenheit noch konkreter als die des Debüts. Voll innerer Überzeugung singen Arrested Development das Hohelied auf Familie und soziales Verhalten. Sie verurteilen den Rassismus und blicken gleichzeitig verständnislos auf diejenigen Schwarzen, die sich selbst als Nigger und ihre Frauen als Bitches bezeichnen.

„Es dauerte eine ganze Weile, bis wir an diesen Punkt kamen , erinnert sich Mastermind Speech. „Denn wir hatten eine Höllenangst, das neue Album einzuspielen. Immerhin lastete ein gewaltiger Druck auf uns, weil die erste Platte so unglaublich gut gelaufen war. Dauernd spürten wir die Verantwortung, die wir gegenüber unseren Zuhörern haben.“

Doch Grandmaster Speech fand einen Ausweg: „Am Ende besann ich mich auf einen alten buddhistischen Kniff und füllte eine Vase, die nur in meinem Kopf existierte, mit all dem Scheiß, der mich belastete. Als die Vase bis zum Übersch wappen voll war, kippte ich den Inhalt einfach in den nächsten Gully. Danach fühlte ich mich in jeder Hinsicht vollkommen befreit, und die Arbeit an ‚Zingalamaduni‘ konnte beginnen.“