Schneesturm im Schlaraffenland


Der Rock 'n' Roll ist schon lange nicht mehr, was er mal war. Vorbei die rauschenden Feste, längst vergessen die legendären Exzesse. Wie's in den goldenen Tagen des Musikgeschäfts zuging, schildert der Saxophonist und Amon Düül-Manager Olaf Kübler in einem Buch, das in Kürze erscheinen soll. Im folgenden Kapitel erinnert er sich an seinen ersten Trip ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Gegen 14 Uhr kam ich auf dem LAX-Airport in Los Angeles an. Es war drückend heiß. In der einen Hand haue ich meinen Saxophonkoffer, in der anderen meine minimale Reiseausrüstung.

Zuerst einmal mußte ich durch die Immigration-Kontrolle. Die eigentlichen Paß-Formalitäten gingen flott vorüber, bis ich von einem Zollbeamten in ein kleines Zimmer gebeten wurde. Nun muß man sich das einmal bildhaft vorstellen: Ich hatte lange Haare und trug mein Cowboy-Outfit, war total übernächtigt, und in meinem Paß stand auch noch die Berufsbezeichnung“.Musiker“.

Musiker sind in Amerika, wenn sie nicht gerade berühmt und reich sind, in der Gesellschaft gleich nach den Nutten oder Zuhältern angesiedelt. Das amerikanische Wort „Artist“ hat mit dem deutschen Wort „Künstler“ absolut nichts gemein, denn „Artist“ ist ein Überbegriff für all die verschrobenen Leute, die sich auf eine Bühne wagen: vom aufgeblasenen Truthahn bis zum Gabelverbieger Uri Geller.

Im Untersuchungsraum zog sich der Zöllner dann ein paar durchsichtige Gummihandschuhe an, und ich dachte schon: „Der will mir hier doch wohl hoffentlich nicht den Blinddarm rausnehmen?“ Doch weit gefehlt! Ich mußte erst mal meine Hose runterlassen und mich dann im Winkel von 90 Grad nach vorne bücken. Der Zoll-Operateur mit den Gummihandschuhen nahm die Stablampe in den Mund, fingerte mir im Arsch herum und suchte dort nach den verborgenen Drogen. Gleichzeitig fragte er mich, ob ich denn berühmt sei und auch zum Monterev-Jazz-Festival fahren wollte. Genau in dem Moment ließ ich einen fahren. Der schwule Oberinspektor bedankte sich bei mir für die frische Luft aus Bayern, die ich ihm gerade ins Gesicht geblasen hatte. „Oh — thank vou, sir!“

Ich gab dem Zöllner dann noch eine handgeleckte Autogrammkarte von Amon Düül und ging weiter, in Richtung Ausgang. Draußen am Gate wartete mein Münchner Freund Gerhard Augustin, Manager von Ike & Tina Turner, mit dem silbergrauen Rolls Royce aus Ikes Rennstall. Der Wagen war voll klimatisiert, hatte schwarzgetönte Scheiben, Telefon, Fernsehen und natürlich eine Bar. Kaum hatte sich der Rolls in Bewegung gesetzt, zündete Gerhard schon den Panama-Red-Joint an und turnte mich erst mal richtig an. Es war wirklich ganz besonders potentes Gras, und bald fühlte ich mich „high“ wie auf einem Trip.

Draußen war es glühend heiß, und wir saßen hier stoned in einem klimatisierten Rolls Royce mit 65 Grad Fahrenheit — 17 Grad Celsius. Fast eine Stunde Fahrt — und alles sah gleich aus: Überall Bungalows mit den obligatorischen blauen Planschbecken, und je weiter wir nach Hollywood kamen, desto größer und prächtiger wurden die Swimming-Pools. Wir fuhren direkt in das Hauptquartier von United Artists Records am Sunset Boulevard und parkten den Rolls auf dem für Ike Turner persönlich ausgeschilderten Firmenparkplatz. Draußen herrschte brütende Hitze, und der ganze Parkplatz stank nach glühendem Teer.

Das Bürohaus von United Artists war ein riesiger, langgestreckter Bungalow mit Spiegelglas-Scheiben. So konnte man von draußen nicht in die Büros reinschauen, aber die Angestellten konnten von innen aus alles beobachten und sahen jeden kommen und gehen. Über den Eingängen hingen Sicherheits-Kameras, und auf einem Monitor beobachtete der Security-Guard jeden Fremden.

Unangemeldet kam man normalerweise gar nicht rein. Aber das hier war schließlich Augustins Arbeitsplatz, und er führte mich direkt in das Büro von Bob Scare. bei dem alles für den Kopf zu haben war. Der war der Chef des Anturn-Centers.

Da die damaligen Popstars alle auf irgendwelchen Drogen waren, hatten die Plattenfirmen schnell erkannt, wie sie die Laune ihrer Zöglinge, steuerlich abschreibbar, heben konnten. Das klingt heute zwar unglaublich — aber genauso war es damals. Zu Beginn der 70er Jahre habe ich in Los Angeles nicht einen einzigen Menschen getroffen, der hundertprozentig clean war. Selbst der Zeitungsjunge, der vom Fahrrad aus seine Zeitungen zielsicher in die Briefkästen warf, war high und hatte rosarote Augen.

Im Anturn-Center von United Artists hatte Bob Scare auch schon Amon Düül H-Spiegel herstellen lassen und reichte mir darauf zwei Riesen-Lines.

Während ich stoned rumsaß und immer wieder mal den Spiegel prüfte, kam alle halbe Stunde irgendein Angestellter oder eine Sekretärin rein und schaute mit wichtiger Miene. Sie bedienten sich kurz aus der „Hausapotheke“ und gingen danach schnurstracks — die Nase hochziehend — in das nächste wichtige Meeting. Damals kam mir die Idee, eine Popgruppe mit dem Namen „In A Meeting“ zu gründen — als Alternative zu all diesen Pappnasen in den Plattenfirmen, die nie zu erreichen sind, weil sie ständig in irgendwelchen blöden wichtigen Meetings sitzen müssen.

Mein wichtiges Meeting mit dem Obermeister und Präsident von United Artists — mit Mike Stewart — sollte aber erst einige Tage später stattfinden, weil die Juden gerade ihren großen Feiertag Barmitzva hatten. Mike Stewart war wie 90 Prozent aller entscheidenden Leute des amerikanischen Music-Business Jude. Er saß dann mit seinen vier Zentnern in der Synagoge und betete fromm vor sich hin.

Ich hatte Mike Stewart bereits in München kennengelernt und mich sofort mit ihm bestens verstanden. Er sagte immer zu mir „Olaf Motherfucker!“ und „Amon Düül — worldwide“. Irgendwie war dieser Mike Stewart mir immer so eine Art Vater-Ersatz, denn bei ihm wußte ich genau, daß er mich nicht hängen lassen würde. Wir waren aber mit Amon Düül nun schon drei Jahre bei United Artists unter Vertrag und hatten die Hitparadenplätze immer noch nicht gestürmt. Deshalb mußte irgendetwas passieren.

Bei meinem wichtigen Meeting mit Mike Stewart sollten nun wieder Vertragsverhandlungen geführt werden, denn wir brauchten für die geplante LP WOLF CITY einen etwas längeren Scheck, und außerdem mußte unser Dollar-Vertrag neu angebunden werden, weil der Dollar ständig weiter in den Keller fiel und wir mit den Kurseinbußen automatisch täglich mehr Geld verloren.

Wegen Barmitzva mußte ich noch ein paar Tage in Los Angeles rumhängen. Gerhard wohnte in einem „Rieh Man“-Appartement-Building in der Poinsettia Street — mitten in Hollywood und nur fünf Minuten von seinem Büro entfernt. In diesem Appartement-Building wohnten nur verrückte Hippies, die die meiste Zeit des Tages am Swimming-Pool im Innenhof des Hauses verbrachten, sich dort in der Sonne grillten und davon träumten, in Hollywood entdeckt und berühmt zu werden. Von allen Hausbewohnern schien keiner „straight“ zu sein.

und in jedem Aschenbecher am Rand des Swimming-Pools lagen die Reste kleiner Grass-Joints. Also genau der richtige Platz für mich.

„Relaxing At The Camarillo“ ist ein Song von Charly Parker, den Charly als Hymne für die Drogenklinik in Camarillo komponiert hatte. Aber Camarillo war zum „abcleanen“ und nicht, wie das Haus hier in der Poinsettia Street, zum „anturnen“. Nach drei Tagen Sonnenbaden hatte ich den echten Hollywood-Teint. Wenn Gerhard abends blaß aus seinem Büro kam, sprangen wir sofort in seinen Sportwagen und mußten zur nächsten wichtigen Record-Business-Party. Von der langen Nase bis zum langen Bankett, von den langen Joints bis zu den langen Beinen der Hollywood-Starlets — alles war umsonst, und auch hier hörte man verschiedentlich den Spruch: „I don’t give a damn. Put it against my royalties!“

Gerhard warder richtige Mr. Pleasure von Hollywood geworden. Er kannte fast alle berühmten oder wichtigen Leute — und die kannten ihn auch. Die richtige Wahrsagerin, die großen Produzenten und natürlich die Künstler — er kannte sie alle:

Brian Wilson von den Beach Boys, Mick Jagger, J. J. Cale, Jesse Ed Davis, Johnny Rivers. Canned Heat. Paul Anka und natürlich Ike und Tina Turner. Das war nicht nur eine Party, die man da an einem Abend aufsuchte, sondern es wurden gleich fünf bis sechs Feste auf einmal gefeiert. Eine Party ging in die andere über, und wenn der Morgen kam. dann fuhren fast alle „Nasenkönige“ nach Inglewood, in Ike Turners Bolic Sound Studio.

In diesem Studio, einem Betonklotz ohne Fenster, residierte Ike Turner — als wahrer „Neger-Nasenkönig“. Hier waren sowohl seine Studios als auch seine Privatgemächer, deren Türen sich allerdings nur Ikes engsten Vertrauten öffneten. Da Gerhard einen Schlüssel, einen Master Key, zum Bolic Sound Studio besaß, standen wir plötzlich mitten in den heiligen Hallen. Ich wurde den einzelnen Leuten dort als „Olaf Motherfucker from Germany“ vorgestellt und hatte damit auch gleich schon den ersten Lacher auf meiner Seite.

Im Anturn-Zimmer, dem Billard-Room. saßen die Bodyguards von Ike. Auch Joe Shermie von Three Dog Night lernte ich an diesem Abend dort kennen sowie Little Richard, Bobby Womack und dann all die geilen Weiber, die Ike Turner extra aus San Francisco eingeflogen hatte. Solche Surprise-Parties machten Ike immer besonders viel Spaß, denn er konnte von seinen Privaträumen aus alle Zimmer des Komplexes über einen Monitor beobachten. Wenn die Orgie so richtig abgefahren war und jeder jeden leckte, dann saß unser Spanner Ike vor seinem Monitor und lachte sich halbtot, wenn jemand einen nicht so einen langen Schwanz hatte wie er.

Gern zeichnete Ike diese Orgien in seinem Studio per Video auf, und wenn einer mal frech wurde und nicht parierte, dann drohte er, dieses Video in Graumans „Chinese Theater“, dem berühmten Kino auf dem Hollywood Boulevard.

vorführen zu lassen, um ihn nötigenfalls damit zu erpressen. Die Gipsabdrücke der nackten „Footprints“ würde er dann dem Staatsanwalt persönlich überreichen, denn den kannte Ike sehr gut. Der kam auch öfters mal auf eine „Nase“ vorbei, wie auch der Hauptkommissar, Sergeant Kelly, von der Junglewood Police Station. Ike hatte alle diese Leute mit Koks und Sex im Griff.

Nachdem es allen Gästen der Party im Bolic Sound gekommen war. hörte man Ikes tiefe Stimme über die Hausanlage: „Gerhard, who is ihm guy with pu oui ihere?“ — „Ike, it’s mv friend Olaf from Germany‘,“ — „Ahhh — Olaf Motherfucker! Bring him up to my place!“

Gerhard führte mich durch das Studio zu einer großen getäfelten Holzwand, die sich automatisch vor uns öffnete. Per Telefongeheimcode konnte Ike die Türen von seinem Bett aus öffnen. Wir traten in ein pseudobarockes Zimmer ein. das mit merkwürdigen Möbeln ausgestattet war. Der Tisch war eine acht Meter lange Glasgitarre, und die Lehnen der Sessel und Couch waren vergoldete Penisse. an denen man sich stundenlang einen abreiben konnte. Ike war immer noch nicht zu sehen, denn er lag in seinem wie Ford Knox gesicherten Paranoia-Schlafzimmer, vor dessen Tür noch ein extra Bodyguard stand.

Entweder hatte Ike damals schon soviel Dreck am Stecken, oder der Nasenpuder hatte ihn soweit gebracht, daß er Angst hatte, nicht mehr durchzublicken und daß man ihn vielleicht umlegen könnte. Absolute Paranoia!

Als ich Ikes Schlafzimmer betrat, lag er auf einem güldenen Bettgestell, darüber hing ein großer Baldachin aus Brokat, wie ihn auch die indischen Maharadschas haben. Ike lag auf einer blauen, gestickten Brokatdecke und manikürte seine Nägel: „Und wenn du denkst, du bisi allein, dann mach dir deine Nägel rein“ — aber davon hatte Ike noch nie was aehört. und sowas Banales hätte den auch nie interessiert. Für ihn gab es Wichtigeres. Seine Etikette beschränkte sich nur auf seine Öffentlichkeitsarbeit, wenn er sich seinen Faas als „Artist“ präsentierte, und darin war er ein echter Profi.

Während er so an seinen Nägeln rumfeilte, trank Ike zwischendurch immer wieder ein Gläschen von diesem schweren, süßen Pflaumenlikör, den er sich eigens in Jugoslawien brennen ließ. Von diesem Pflaumenlikör bekam ich auch ein Glas, und ich konnte ihm nur bestätigen: ..() wie süß ist deine Pflaume!“

Da Gerhard noch ein paar geschäftliche Dinge mit Ike zu besprechen hatte, bat Ike mich, doch in der Zwischenzeit in seine goldene Badewanne mit dem Whirlpool zu springen, um dort eine der engagierten Tussis aus San Francisco zu treffen. In diesem Bade-Mausoleum war alles bespiegelt — man konnte sich auf der einen Seite als Walroß sehen und auf der anderen als nackter Fakir. Die Handentspannung der Schönen aus San Francisco war vollkommen, und ich ruhte danach wie in Marias Schoß und schlief für einen Moment ein.

Als ich erwachte, wußte ich nicht mehr, ob es Tag oder Nacht war. denn es gab im Studiokomplex keine Fenster. Außer morgens um sechs gab es bei Ike nichts zu essen. Er selbst aß immer nur eine Tomatensuppe mit diesen geschmacklosen Crackers. Nur die Bodyguards beharrten auf dem von der Gewerkschaft vorgeschriebenen „Harn & Eggs“-Frühstück. Gerhard erzählte mir. daß sich dieses Ritual im Studio mitunter fünf Tage lang, ohne Schlaf und Unterbrechung, abspielte. Das ging natürlich nur mit dem ständigen Nasenpuder — zum Wachhalten! Am fünften Tag kam dann Dr. Thomas mit seinem Arztkoffer, aus dem er die unterschiedlichsten Heilmittel hervorzauberte. Zuerst bekam Ike in jede Arschbacke einen Vitamin B 1 2-Shot, vermischt mit Valium 500. dann die sprudelnden Kalziumtabletten und obendrauf ein Aspirin. Meist schlief Ike im Arm von Dr. Thomas ein und schnarchte dann wie das Ungeheuer von Lochstreß. Dann mußten alle Ikes Privatgemächer verlassen und die Türen geräuschlos hinter sich schließen.

Ike schnarchte dann oft drei Tage lang, und alle seine süchtigen Musiker und die Angestellten schlichen wie tote Hunde durch das Studio, weil keiner was für den Kopf hatte. Ike verwahrte das Nasenpuder natürlich unter seinem Kopfkissen, und da kam keiner ran. Alle mußten warten, bis „King Ike“ erwachte, denn ohne ihn und das Puder lief im Studio gar nichts.

Mit Ike habe ich dann noch einige witzige Geschichten erlebt. Eines Tages kündigten die Zeitungen ein größeres Erdbeben im Raum Los Angeles an. und alle verrückten, paranoiden Reichen packten ihre Siebensachen und flohen nach Las Vegas, nur 500 Kilometer von Los Angeles entfernt — mitten in der Wüste. Dort sollte das Erdbeben nicht mehr zu spüren sein.

Als wir in Los Angeles von dem drohenden Erdbeben hörten, kommandierte auch Ike seinen ganzen Clan für ein verläiiüertes Wochenende nach Las Vegas. Ike und Tina und Anne. Ikes Zweitfrau, nahmen das Flugzeug, ich fuhr mit Gerhard in seinem MG. Im Hilton hatten [ke und Tina für sich die gesamte 23. Etage belegt, und als Gerhard und ich dort ankamen, war kein einziges Zimmer mehr in Las Vegas aufzutreiben. Die Musiker aus Ikes Band schliefen mit zehn Leuten in einem einzigen Motelzimmer — auf der Couch, auf dem Fußboden und mit sechs Personen quer übereinander im Doppelbett. Da Ike tatsächlich eeglaubt hatte, daß das Ende aller Tage gekommen sei und halb Kalifornien im Meer versinken würde, nahm er reichlich Geld mit nach Las Vegas. Er war nicht nur ein großer Musiker, sondern auch ein großer Spieler — bekannt in allen Casinos der Welt, ein echter Gambler. Ike hatte 240.000 Dollar in bar und Schecks in Höhe von 1.4 Millionen Dollar dabei.

Als wir mit Ike in seiner Penthouse-Suite wieder zusammentrafen, gab er Gerhard erst mal ein goldenes Ei an einer goldenen Kette, an der auch der 18karatige Goldlöffel in Form eines Skorpions hing. In das goldene Ei paßten lokker 20 Gramm Nasenpuder, und es war randvoll. Dieses goldene Ei konnte man sich um den Hals hängen, damit auch jeder sehen konnte, daß wir die echten Goldjungs waren und bei uns nicht nur von goldenen Eiern geredet wurde. Dann stellte Ike uns auch noch seinen Bodyguard zur Verfügung, damit wir auch ungestört eine schöne Zeit in Las Vegas erleben konnten.

Es gibt wohl keinen Platz auf dieser Welt, wo man so müde Musiker wie in Las Vegas trifft. Die Jungs kommen nur zum Schlafen, wenn der letzte Exzess beendet und die letzte Nummer gespielt ist. Oft genug mußten sie schon morgens um Sieben wieder die Instrumente heben, weil irgendein Super-Millionär sein Slevie Wonder-mäßiges“.Happy Birthday“ hören wollte. Das war dann ein schnelles Zubrot, das umsehend in

Spielchips und Nasenpuder umgesetzt wurde. Fats Domino etwa mußte zehn Jahre seines Lebens in Las Vegas abspielen, weil er kein Glück im Spiel hatte. Fats war damals mit über zwei Millionen Dollar in Las Vegas eingeschwebt und hatte dann den ganzen Koffer voll Geld in einer Nacht beim Spiel verloren. Die mafiosen Geschäftsführer vom „Cesar’s Palace“ liehen ihm am nächsten Morgen zwei weitere Millionen, die dann Fats am nächsten Tag ebenso verspielte. So mußte er noch am gleichen Abend, auf Anweisung der Mafia, im „Cesar’s Palace“ auftreten. Die zwei Millionen hat Fats dann in den folgenden zehn Jahren abgespielt, und wenn er mal unerkannt zum Flughafen wollte, um nach New Orleans zu fliegen, wo er seine Diamanten-Sammlung sehen und auf Hochglanz polieren wollte, dann saß im Taxi neben ihm plötzlich der Abfangjäger von Don Corleone. Er stellte am Flughafen sicher, daß die Maschine ohne Fats abflog.

In Las Vegas traten die Superstars im Dutzend auf: Im“.Stardust“ war Dusty Springfield mit Aretha Franklin, im „Hilton“ trat Bill Cosby im Vorprogramm von Elvis Presley auf, im „Flamingo“ spielte Wayne Newton. Ich wollte natürlich unbedingt Elvis sehen, zumal der mir bereits in meiner Frühjugend, in „Shanghai an der Lahn“ (Gießen), mal durch den Film gegangen war. Die Konzerte waren seit einem halben Jahr ausverkauft, und man konnte nur noch über die allerheißesten Drähte an Tickets kommen. Unser Bodyguard, an sich so dumm wir fünf Pfund Ostbrot, kannte den Chef von Elvis‘ Security Force, Larry Geller. Die beiden hatten sich zufällig getroffen, als Gerhard und ich mit den einarmigen Banditen spielten. Ich überlegte verzweifelt, wo ich diese Visage vorher schon mal gesehen hatte.

Es stellte sich bald heraus, daß wir uns aus der Casanova-Bar in Gießen kannten, wo er damals schon für Elvis tätig gewesen war. Larry hatte natürlich die Möglichkeit, uns baekstage mitzunehmen — und das tat er dann auch.

Backstage befand sich eine kleine Bar. Wir setzten uns und bedienten uns am Whiskey. Die Bühnenglocke klingelte zum dritten Mal. und die Musiker rasten an uns vorbei auf die Bühne, wo sie sofort mit dem lntro der Show begannen. Das lntro war so arrangiert, daß bestimmte Teile ständig wiederholt werden konnten; erst in dem Moment, in dem Elvis auf der Bühne gesichtet wurde, begann die eigentliche Show. Nach dem 94. Takt der zehnten Wiederholung stand Elvis dann schließlich auf der Bühne.

Von meiner Backstage-Position aus konnte ich deutlich sehen, daß seine Figur aus allen Nähten platzte. Man hatte ihn doch tatsächlich in ein Korsett gezwängt, damit der Bauch nicht so fußballmäßig raushing.

Elvis schwitzte wie die Sau. Auf einem Extra-Notenständer lagen seine handgestickten Schweißlappen, die er nach Gebrauch — noch tropfend – ins entzückte Publikum warf. Die Show dauerte etwa 45 Minuten, inklusive drei Zugaben. Danach wurde der Grand Bailroom geräumt, weil die nächste Show eine halbe Stunde später begann.

Schweißtriefend kam Elvis an die Backstage-Bar. Larry hatte ihm schon seinen“.Surprise Guest“ ins Ohr geflüstert, und Elvis erkannte mich tatsächlich sofort wieder: „Crazv Olaffrom the Casanova Bin; in Shanghai an der Lahn. “ Er war wirklich grauenhaft fett geworden und damals wahrscheinlich schon krank von all den Pillen. Zu mir sagte er immer wieder: „Yes I remember, when we were young in Cerrnany.“ Und bekam dann feuchte Augen überall die Erinnerungen an Deutschland — an Friedberg und an Heidelberg, wo ja auch seine Frau Prescilla herkam. Er wollte mir beweisen, wie gut er noch immer Deutsch konnte und sang,. Muß i denn, muß i denn zum Siädelehinaus…“

Unser Zimmerproblem hatte sich noch immer nicht gelöst. Las Vegas war voll — bis zur letzten Besenkammer. Also entschlossen wir uns. raus in die Wüste zu fahren, um dort irrwitzigerweise ein Plätzchen zum Schlafen zu finden. Mit dem MG fuhren wir immer der aufgehenden Sonne entgegen. Als wir an einem Schrottplatz hielten, schlief unser Bodyguard gleich nach dem Stillstand des Wagens mit dem Kopf auf dem Steuerrad ein. Gerhard legte sich auf eine alte, verpißte Matraze, ich machte mir aus meiner Samtjacke einen Turban, damit ich bei der schnell aufgehenden Sonne keinen Sonnenstich bekam. Man kann sich das kaum vorstellen: drei Penner mitten in der Wüste, kurz vor dem Verdursten.

Schließlich zwängten wir uns alle wieder mit bleiernen Knochen in den MG und fuhren zurück nach Las Vegas — und anschließend gleich weiter nach Los Angeles. Auf das Erdbeben, das sich bis dahin ohnehin nicht ereignet hatte, pfiffen wir. In dem Zustand, in dem wir uns nach diesen drei wilden Tagen befanden, war uns sowieso alles scheißegal.

Bei Ike Turners Surprise-Party hatte ich auch den Bassisten der damaligen „Supergruppe“ Three Dog Night ¿

kennengelernt. Joe Shermie hatte hinter Gerhard hertelefoniert, um uns zu einer Party in seinem Haus im San Fernando Valley einzuladen.

Auf dem Parkplatz vor seinem Haus standen drei teure Autos: ein Cadillac, ein Mercedes und ein Bentley. Gehörten alle Joe. Sein Haus war von oben bis unten mit Gold- und Platin-Platten tapeziert. Im Hintergebäude wohnte der chinesische Koch. Der desinfizierte die Eß-Stäbchen, machte die süßsaure Soße und grillte die Chop Suey in seiner eigenen Wohnküche.

Joes wunderschöne New Yorker Freundin führte uns durch das Anwesen und zeigte uns, was man für Geld so alles anschaffen konnte. Die hatten sogar ein „Mozart-Zimmer“ mit einem blauen Plastik-Cembalo — derart kitschig, daß sich Mozart dreimal im Grabe gewendet hätte, wenn er dieser amerikanischen Geschmacksverirrung persönlich ausgesetzt worden wäre.

Joe hatte auch sein eigenes Heimstudio, und dort standen die teuersten Gitarren, die ich bis dahin auf einem Haufen gesehen hatte — von der goldenen Gibson über eine Hendrix-Fender bis zur Ovation Acoustic. Keine für unter 10.000 Dollar. Joe war ein gemachter Mann. Bei ihm hatte sich der amerikanische Traum voll erfüllt, er war vom Nichts zum Multimillionär geworden — und das als Bassist einer Rockband. Im Laufe des Abends erzählte mir Joe. daß er mindestens 25 Millionen Dollar auf der hohen Kante habe.

Three Dog Night gehörten damals zu den ersten Supergruppen in Amerika. Auf ihre Konzerte kamen mehr Leute als zu den Rolling Stones, und gleichzeitig hatte die Band hundertprozentig zwei Nummer-Eins-Hits pro Jahr. Red Foster Inc. war das Management von Three Dog Night und kontrollierte auch alle Gelder der Truppe. Die Red-Foster-Leute waren die reinste Nasen-Mafia. Ohne Nase lief dort überhaupt nichts, auch bei Thiee Dog Night nicht. Red Foster hatte die Gelder der Gruppe in Appartementhäuser in Hawaii. Ölquellen in Texas, Condominiums in Burbank und in allen möglichen windigen Investment-Fonds angelegt. Die 25 Millionen von Joe Shermie wurden treuhänderisch von Red Foster verwaltet, und als 25jähriger Jungmillionär vertraute Joe seinen Partnern voll.

Da Three Dog Night schon einige Jahre lang in Amerika die Größten waren, wollten sie nun auch den Weltmarkt erobern. Es wurden Konzerte in England. Deutschland. Holland und Frankreich geplant, die unserem Joe dann zum Verhängnis wurden. Das erste Konzert in England sollte im Wembley Stadion stattfinden – vor 90.000 Leuten. Aber der Kartenvorverkauf war katastrophal, und folglich wurde die Gruppe in eine kleinere Halle für 2000 Zuschauer verlegt. Letztlich erschienen zu dem Konzert nicht einmal 600 Leute — die Katastrophe war vorprogrammiert. Das Management hatte sich total verkalkuliert, und das traf dann den Nerv der gesamten Band. Auch hatte man vor lauter Angst vor irgendwelchen Durchsuchungen nicht ein Grämmchen der wichtigen Drogen mitgenommen. Alle kamen auf einen Horror-Trip, und bei den ersten Entzugs-Erscheinungen wurde sich nur noch bis aufs Messer gestritten.

Bald wurden die meisten der in Europa geplanten Konzerte unter fadenscheinigen Gründen abgesagt. Nur in Frankfurt wollte man das entstandene Defizit ausgleichen, indem man dort eine Live-LP aufnehmen wollte. Das Konzert in der Jahrhunderthalle war ausverkauft, denn in Frankfurt wohnten schließlich die GIs. Vor dem Konzert gab es unter den Musikern wieder nur Streitereien. Die Band bestand aus drei Frontleuten; Joe gehörte zur Rhythmus-Gruppe. Die Streitereien nahmen derartige Formen an, daß Joe Shermie einem der Sänger die Nase plattklopfte, die sowieso schon zu lang war. Der Geprügelte landete sofort im Frankfurter Military-Hospital, damit die Gesichts-Chirurgen dort die platte Nase wieder stretchen konnten.

Der frisch operierte Sänger wurde noch am gleichen Tag nach LA zur Nachuntersuchung geflogen. Das Frankfurter Konzert wurde abgesagt. Die GIs bekamen ihre Eintrittsgelder zurück, und die technische Crew, die extra aus Amsterdam mit dem mobilen Studio angereist war, checkte noch den Sound, als die Künstler längst im Flieger saßen.

Als ich ein Jahr später Joe Shermie wieder in seinem Traumhaus besuchte, war seine schöne Freundin ohne Zähne. Die hatte Joe ihr rausgehauen. Er war jetzt so arm wie eine Filzlaus in der Unterhose eines Penners. Im Wohnzimmer, dessen Wände einst mit Ruhm bekleckert waren, waren überall weiße Stellen, weil der Gerichtsvollzieher die Platinplatten zum Einschmelzen gepfändet hatte. Der chinesische Koch hatte sich nach Hongkong gerettet, und von den teuren Autos stand nur noch ein verrosteter Dune-Buggy vor dem Haus. Und selbst den konnte keiner mehr fahren, weil Joe nicht mal das Geld für Benzin hatte.

Joe war 26 Jahre — und alles war vorbei. Das Management hatte ihn voll rasiert, und seine 25 Millionen Dollar waren weg. Das Management hatte den durch den Ausfall ihres Sängers entstandenen Schaden von 50 Millionen Dollar Joe Shermie in Rechnung gestellt, weil er die Prügelei in Frankfurt angezettelt hatte. Heute singt Joe in Sing Sing die erste Leadstimme im Anstalts-Chor.

Her sich über das Erscheinen des gesamten Buches informieren möchte, wende steh an: Gammarock, OetlingenslrJö. mm München 22. Fax: 089:29X39.