Seal


Mitte des Monats war es wieder mal soweit: MTV zeichnete einen weiteren Unplugged-Abend auf. Diesmal mit Seal und diesmal im New Yorker Majestic Theatre. Hier hat -— aller Stromfeindlichkeit zum Trotz -— erst mal ein elektrisierender Einpeitscher das Wort. Keine Frage: Der Mann ist ein Könner. Im steil aufragenden Halbrund des Majestic läßt er die Zuschauer jubeln, was Hände und Hälse hergeben. Dann, kurz nach acht, kommt der Künstler aus den Kulissen. Seal ist sichtlich nervös, fast flatterhaft, bringt kaum ein Wort zur Begrüßung heraus, windet sich auf seinem Hocker, erstickt fast an Konzentration und Anspruch. Kein Wunder. Denn hier in Amerika gilt die Gleichung Seal = ‚Kiss From A Rose‘. Weswegen das Publikum jeden einzelnen Song der Show an Seals Megaseller mißt. Der kommt dann auch ganz prima. Als achter Song des Abends zwar nicht gerade prominent plaziert und trotz viel Klavier nur bedingt unplugged-fähig, dafür aber mit höchstem Wiedererkennungswert. ‚Kiss From A Rose‘ mögen alle, lieben alle. Frenetischer Beifall bereits, als die ersten Takte ertönen, Jubel gar, als die ‚Rose‘ zu voller Schönheit erblüht. Doch da sind ja auch noch die anderen, weniger bekannten, trotzdem bemerkenswerten Songs von Seal. In der Unplugged-Version, also entschlackt und demnach frei von studiotechnischem Firlefanz, vermitteln sie einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits sorgt ein achtköpfiges Streicherensemble samt Dirigentin dafür, daß ein Stück wie ‚Quicksand‘ auch unplugged noch recht üppig klingt. Andererseits gelingt es Seal, den Charakter von Hochglanzproduktionen wie ‚Crazy‘, ‚Violet‘ oder ‚Future Love Paradise‘ auch in der Akustikfassung zu erhalten. Maßgeblichen Anteil am Gelingen dieser Gratwanderung hat Seals exzellente Band. Earl Harvin (dr), Hamie Muhoberac (keys), Reggie Hamilton (b) sowie Gitarrist Chris Bruce und Trompeter John Hassel glänzen durch Flexibilität und ihre einfühlsame, unaufdringliche Art, Seals schöne Songs live umzusetzen. Sie bringen Leben in die Lieder, lassen sie atmen, treiben sie zur Blüte. Klasse auch das Hendrix-Cover ‚Stone Free‘ mit hinreißender Schweineorgel und der ‚Blues in E“. Ob genau diese Songs jedoch den MTV-Konsumenten an den Bildschirmen erreichen, ist zumindest fraglich. Von den zwölf Tracks, die an diesem Abend im Majestic Theatre aufgezeichnet werden, gelangen maximal sechs -— mit Rücksicht auf die Werbung sauber in Zweiergruppen zurechtgeschnitten —- zur Ausstrahlung. ‚Kiss From A Rose‘ ist ganz sicher dabei. Denn seinen massentauglichen Megaseller lassen die MTV-Macher Seal in New York zur Sicherheit gleich dreimal spielen.