Security: Bericht von der Front


Bei Rock und Pop stehen sie in der ersten Reihe. Sie retten dutzendweise hysterische Teenager vor dem sicheren Kollaps, ihr Ruf aber ist trotzdem unter aller Sau. ME/Sounds blickte den Security-Männern mit den massigen Muskeln über die breiten Schultern.

Thorsten Reuther ist nun wirklich nicht einer von der schmächtigen Sorte. Der 22jährige ist bullig, kräftig und kann mit seinem Bürstenhaarschnitt, an den Seiten hochgeschoren, und seinen fünf Ohrringen richtig gefährlich aussehen. Er hat einmal geboxt und ist als Türsteher in verrufenen Diskotheken streßerprobt. Aber gerade macht ihm eine kreischende und ungeduldige Horde von kleinen Mädchen den Job zur Hölle. Die Gören stehen zum Teil schon seit dem Vormittag vor dem ehemaligen Flughafen Riem. Sie müssen noch eine Weile warten, ehe sie zum Konzert von ‚Bed and Breakfast‘ in den Wappensaal dürfen, aber sie drängen schon gegen die Absperrgitter, was das Zeug hält. Sie wollen nur eins: als erste rein, ganz nah vor die Bühne, um den vier Buben von der Hamburger Teenie-Band möglichst nahe zu sein. Thorsten und seine Ordner-Kollegen sind ihnen dabei nur im Weg. „Laßt uns rein. Laßt uns rein. Aufmachen! Aufmachen!“, kreischen die Mädchen immer wieder in Sprechchören. Es klingt immer verzweifelter, immer kompromißloser. Und Thorsten flippt nun selbst aus. „Macht endlich die Tür auf. Die schieben schon die Gitter mit rein“, fährt er die anderen in der Ordner-Crew wütend an. Vergebens.

Die Absperrgitter vor dem Eingang sind im Dreieck angeordnet; zwei schmale Gänge führen zu den Glastüren. Gerade sind die Gitterstangen mit Plastikbändern noch aneinandergeschnürt worden, damit das Ganze nicht heillos auseinanderrutscht, wenn der Ansturm endlich losbrechen darf. Wieder gellt das Kinder-Gekreisch auf. Die Masse Mädchen wogt gefährlich hin und her. Spätestens jetzt ist den Security-Leuten klar, was ihnen an diesem Abend noch blüht. Selbst die routinierte Chefin wird da unruhig. Per Funk bedrängt sie das Band-Management: „Can we open the door? They are really pushing now.“ Sie müssen noch ausharren. Es ist erst 17 Uhr; noch ganze eineinhalb Stunden bis zum Konzertbeginn.

An diesem Freitagabend ist die Mannschaft von Monika Primas mit 25 Helfern draußen in Riem im Einsatz. Etwa ein halbes Dutzend von Ordnungsdiensten hat sich im Laufe der Jahre in den Münchner Hallen und Stadien etabliert. Zu den größten Unternehmen in der Branche zählen neben der Primas-Crew die Veranstaltungs- uns Sicherheitsdienste von Leo Raab, von Bruno und Kerstin Schmäling und von Phoeniy Fellner. Ihre Reviere haben sie untereinander schon abgesteckt. Oft arbeiten sie auch zusammen. Im Wappensaal zum Beispiel arbeiten Phoeniy- und Primas-Leute Schulter an Schulter. Junge Männer und auch auffallend viele Frauen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren stellen das Gros des Personals. Wie viele Ordner an einem Abend auf der Matte stehen müssen, bestimmt das Kreisverwaltungsreferat. Notausgänge müssen kontrolliert, Durchgänge müssen freigehalten werden. Oft genug reicht das vorgeschriebene Minimum an Personal aber nicht aus. Dann müssen noch ein paar mehr ran. Bei Großveranstaltungen wie der ‚Rave-City‘ oder ‚Technomania‘ mit über 10.000 Besuchern sind manchmal um die hundert Helfer im Einsatz. In der Regel kommt man auf Empfehlung zu den Teams von Monika, Kerstin oder Phoeniy. Eine Prüfung oder eine Ausbildung gibt es nicht. Die Chefs setzen bei der Auswahl auf ihre Menschenkenntnis. „Viele kann man gar nicht nehmen“, weiß Phoeniy. „Das merkt man schon am Auftreten oder im Gespräch.“ Nachwuchsprobleme gibt es offenbar nicht, obwohl die Helfer der Sicherheitsdienste oft keinen leichten Job haben. Sie müssen sich bei Disco-Partys halbe Nächte um die Ohren schlagen, dürfen während der Arbeitszeit keinen Trop fen Alkohol trinken und verdienen dabei nicht einmal viel. Zwischen 10 und 18 Mark beträgt der Stundenlohn für die Ordner der einfachen Dienstgrade. Die 21jährige Sabine Fey ist trotzdem seit über zwei Jahren begeistert dabei und jobbt im Schnitt einmal pro Woche bei einem Konzert oder Fest. „Mir macht das einfach Spaß“, sagt sie, „wir sind wie eine große Familie. Man erlebt ja auch einiges zusammen.“

Allerdings. Diesmal sind es eben lauter kleine, zarte Mädchen, die mit voller Kraft dafür sorgen, daß der Job nicht langweilig wird. Diesen ungestümen Haufen, der kaum noch zu bremsen ist, soll sie nachher kontrollieren. Viele sind erst 13 Jahre alt oder noch jünger. Keine Skins mit Schlägervisagen, keine martialisch aussehenden Punks, keine besoffenen Heavy-Metal-Fans. Aber genau diese kleinen, zarten Mädchen sind für die Münchner Ordnungsdienste das legendär schlimmste Publikum.

Phoeniy, 37 Jahre alt und schon seit 20 Jahren im Geschäft, kennt diese Sorte nur zu gut: „Die Kiddies sind sehr schwierig. Da geht nichts mehr. Die sind wie eine Mäusehorde. Die wuseln sich überall durch.“ Genauso die Berufskoüegin Kerstin Schmäling: „Mit denen kannst du nicht mehr reden. Die schreien nur noch.“ Genauso ist es. Ein Alptraum. Monika Primas hat die sechs kräftigsten ihrer Leute als „Bremser“ abgeordnet, um die Horde Mäuse zu bändigen. Die Burschen kämpfen mit dem Rücken zur Wand. Mit den Beinen fest in die Absperrgitter eingespreizt, müssen sie aufhalten, was sonst über sie hereinbrechen würde.

Die Veteranen unter den Security-Leuten kennen sämtliche Kategorien von Konzertbesuchern und ihre Eigenarten. Die enthusiasmierten Mächen, die zu ‚Caught In The Act‘ oder ‚Bed and Breakfast‘ rennen, sind ein Kapitel für sich. Die Hardrocker, so könnte man meinen, kommen in der Unbeliebtheitsskala bald danach. Stimmt aber nicht. Eine viel größere Geduldsprobe stellt das „intellektuelle Diskutierpublikum“ dar. Kerstin: „Die diskutieren mit unseren Leuten, warum der Ordner Ordner ist und, warum er jetzt von dem Notausgang weggehen soll.“

Zurück zur Mäusehorde: Die Eingangstüren sind auf. Die wilde Hatz beginnt. Knallbunte Plüschtiere jeder Größe und Form fest unter den Arm geklemmt, stürmen die Mädchen aufgeregt zur Bühne. Etliche von ihnen werden das Konzert nicht durchstehen, werden die Hilfe der Ordner noch dringend brauchen. Frank Pohlmann (29) und Michi Fütterer (29) haben vorerst die undankbare Aufgabe, die Bagage dazu zu bringen, sich hinzusetzen, um den Ernstfall des totalen Gedränges wenigstens etwas hinauszuzögern. Sie könnten genausogut versuchen, mit einem Suppenlöffel ein Loch in die Isar zu schaufeln: Wenn sich fünf hinsetzen, stehen ein paar Meter weiter zehn schon wieder auf. Mit einer Engelsgeduld versuchen sie es trotzdem weiterhin.

Hinter die schwere Absperrung mit einem Fundament aus Doppel-T-Trägern ist mittlerweile Verstärkung gekommen, seit das Chaos an der Eingangstüre vorbei ist. Mit etwas skeptischer Miene bereiten sie sich auf die heiße Phase vor. Auf einer Bank stehen mit Wasser gefüllte Sprühflaschen bereit zum Abkühlen. Ein Service des Ordnungsdienstes. Man tut, was man kann, damit die Konzertbesucher fit bleiben. Wo aber sind die Muskelmänner, die brutalen Wichtigtuer, die vor allem Kraft haben? Frank vielleicht? Er ist immerhin alles andere als schmächtig, eher der Typ, den man gemeinhin als mehr breit als hoch beschreibt. Wenn es Not tut, kann er schon hinlangen. Trotzdem Fehlanzeige. Frank ist die Ruhe selbst, freundlich und zuvorkommend. Hauptberuflich verdient er sein Geld bei einer Münchner Versicherung. Und der Ex-Boxer Thorsten? Der trägt gerade auf den Armen eine völlig erschöpfte Konzertbesucherin zu den Sanis.

Daß die Security vor der Bühne sich sogar mit den Musikern der Einstürzenden Neubauten angelegt hat, ist schon lange her. Die Rambo-Typen muß man in dem Gewerbe mittlerweile mit der Lupe suchen. Die tough guys, die schon durch ihr Auftreten einschüchtern, stellt der Hallenbetreiber in Riem zum Beispiel bei Disco-Veranstaltungen an die Türe. Die kommen zum großen Teil aus einer Kampfsportschule. Das Thema paßt ihnen aber gar nicht in den Kram. Das sei schon lange her, nur noch wegen der Fitneß gehe man ins Training, heißt es oft. Weg mit dem Schläger-Image. „Meine Jungs sind die netten“, sagt Kerstin Schmäling, ein Credo, das jeder in der Branche mittlerweile gerne hochhält. „Wenn einer mit Gewalt auf das Publikum losgeht, ist das ein Grund für die fristlose Kündigung.“ Sie legt bei ihren Leuten Wert auf psychologisches Geschick. Je nach Musikstil setzt sie das dazu passende Personal ein, so daß nicht ausgerechnet die Männer aus einem Motorradclub bei ‚Haindling‘ eingesetzt werden. Oder andersherum: Bei einem Auftritt von Adriano Celentano kamen Italiener in ihrer Crew mit Landsleuten, die sich über einen schlechten Platz ziemlich geärgert hatten, wunderbar zurecht.

Diesmal ist zunächst pädagogisches Geschick gefragt. Und dann pure Kraft und Ausdauer. Der Hexenkessel vor der Bühne brodelt schon. Keine der Teenagerinnen sitzt mehr. Sie drücken nach vorne, als ginge es dort noch irgendwohin weiter. Die ersten, die unbedingt von Anfang an ganz, ganz weit vorne sein wollten, haben schon schlapp gemacht. Sie wurden aus dem Pulk herausgezogen, ehe überhaupt ein Musiker auf der Bühne zu sehen war.

Dann aber geht es los. „Auf die Barrikaden“, sagt Michi, noch grinsend. Es ist 18.35 Uhr. Die vier Sänger von ‚Bed and Breakfast‘ kommen in Pyjamas auf die Bühne. Die Mädels sind ob dieses Anblicks hin und weg. Das gellende Schreien aus tausend Kehlen wird ohrenbetäubend. In Minutenschnelle ist die Bühne übersät von hunderten Plüschtieren, Teddys, einigen Kilopackungen Gummibärchen und ein paar Liebesbriefen. Hunderte Augenpaare himmeln Daniel und David an. Minderjährige Mädchen üben sich in verführerischen Blicken. Andere haben offenbar alte Filmaufnahmen von Live-Auftritten der Beatles gesehen und haben daraus gelernt, daß es nun höchste Zeit ist, vor Begeisterung hysterisch zu weinen. Einige Augen werden aber auch komisch verdreht, entsetzt wie in Panik aufgerissen. Ein Alarmzeichen für Michi, Frank,

Sabine und Co. Da kriegt jemand keine Luft mehr, hält den Druck nicht mehr aus, muß dringend raus aus dem erbarmungslosen Gedränge. Die Helfer in den roten T-Shirts hinter der massiven Bühnenabsperrung haben nun keine ruhige Minute mehr. Immer wieder hechten sie nach vorne, versuchen die dünnen Ärmchen in der wogenden Masse zu fassen zu bekommen. Eine nach der anderen wird über die Absperrung gehievt. Das geht wie am Fließband. Zu zehnt rackern die Security-Leute zwischen Publikum und Bühne. Und jeder muß hinlangen. „Du glaubst ja gar nicht, wie schwer die sind“, stellt Sabine keuchend fest. Ihr und ihren Kollegen steht der Schweiß glänzend auf der Stirn. Sandra Zoppelli hat schon Kreuzschmerzen.

Auf die Dauer ist das reine Knochenarbeit. Auf einer Bank stehend müssen sich die Ordner mit den Schenkel oder den Knien an der Stange abstützen und weit nach vorne beugen, um die Erschöpften zu erwischen. Dabei kommt es auf die Technik an. Sobald man eine der um Hilfe Ringenden erwischt hat, wird sie auf den Brustkorb gezogen, und man läßt sich nach hinten kippen. Die Kollegen müssen dann bereit stehen, um einen aufzufangen. Anders geht es nicht. Die erschöpften Konzertbesucherinnen werden in einen separaten Raum nach hinten getragen, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, selbst zu gehen. Dort ist ein wahres Lazarettlager aufgebaut. Fast 20 Tragbahren haben die Sanitäter dort aufgestellt; und die reichen bald nicht mehr aus. Auch die 13jährige Kathrin Nadler ruht sich dort aus. „Ich wollte zuerst nach hinten raus. Aber das war unschaffbar“, erzählt sie noch etwas atemlos. Das Gedränge war einfach zu groß. Als sie vor sich einen der kräftigen Helfer erblickte, hat sie dankbar nach der helfenden Hand gegriffen. Sie wußte, sie muß jetzt raus, „sonst bin ich bald am Boden“. Um Kathrin herum wird geschluchzt und geweint. Nach all der Aufregung versäumen da ein paar fast das ganze Konzert. Das wichtigste medizinische Instrument sind einfache Plastiktüten. Eine Weile hineinzuatmen, hilft gegen das Hyperventilieren. Anderen müssen die Sanitäter nur eine Weile zureden, damit sie wieder zur Ruhe kommen, während draußen der Irrsinn weitertobt. Nach genau eineinhalb Stunden ist der Spuk vorbei. Ein bißchen dauert es noch, bis die Mädchen einsehen, daß es nun wirklich keine Zugabe mehr gibt, aber dann leert sich die Halle sehr schnell. Jetzt müssen zwei Ordner raus zum Parkplatz hinter der Halle, wo der Bandbus abgestellt ist. Noch lange harren dort zwei Dutzend Fans aus. Sie wollen noch einmal ihre Stars von der Nähe sehen, ein Autogramm ergattern. Doch sie werden auf Distanz gehalten. „Räumen“, befiehlt drinnen die Dienstleiterin Jutta Riemann resolut.

Bald soll der Wappensaal wieder umgebaut werden für die nächtliche Disko. Thorsten macht sich bereits auf den Weg zu seinem nächsten Job. Er arbeitet heute noch als Türsteher in einer Diskothek. Sandra aber ist vorerst fertig mit der Welt. „Beim nächsten Punk-Fest helfe ich euch wieder“, stöhnt er, „aber bei sowas nicht mehr.“