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„Sex Education“ auf Netflix: Come for the Tits, Stay for the Nostalgia


Ausgerechnet eine Serie über Sexualtherapie erweist sich in vielen Szenen als besonders verklemmt. Eine verpasste Chance.

„Come for the tits, stay for the story“ ist seit einigen Jahren eines der beliebtesten Konzepte für Serienneustarts. „Game of Thrones“ und „Westworld“ haben dieses Prinzip in Perfektion umgesetzt. Mit viel nackter Haut wurde das Publikum angelockt, es blieb aber für die Handlung dann doch noch länger dran.

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„Sex Education“ startet getreu diesem Prinzip mit einer ausgiebigen Sex-Szene, auf die erstmal jede Menge kinky Dialog folgt. Über größere Brüste nach den Sommerferien und große Schwänze in zu engen Hosen. Hübsche Teenager befeuern sich mit Gesprächen über Sexualität, mittendrin läuft der junge Otis (Asa Butterfield) umher und fremdelt als Jungfrau mit der Thematik.

Praktischerweise ist seine Mutter Jean, gespielt von Gillian Anderson, Sexualtherapeutin und löst sowieso schon die Bettprobleme der halben Kleinstadt, in der „Sex Education“ spielt. Als der Schul-Bully mit Ladehemmungen in die Dildo-Kollektion von Otis‘ Mutter läuft, formt sich langsam das, was hier nun die Handlung sein soll: Der Außenseiter wird langsam zum Sexualtherapeuten für die Teenager seiner Schule.

Sexualwissenschaften in Serie sind keine schlechte Idee, Lizzy Caplan und Michael Sheen formten daraus „Master of Sex“, ein anspruchsvolles Drama mit vier Staffeln. Die Produzenten von „Sex Education“ wollen aber nicht wirklich in die Tiefe gehen (pun intended) und beschränken sich eher auf Küchenpsychologie. Gleich in der ersten Episode muss Otis einem Klassenkameraden eine Erektion wegreden, schafft dies praktischerweise mit puren Floskeln.

Nostalgie als Verzweiflungstat

Asa Butterfield und Gillian Anderson.

Es folgt eine Szene, in der sich der „Patient“ auf den Tisch der Mensa stellt und seinen Penis präsentiert. In diesem Moment entscheidet sich „Sex Education“ sehr bewusst für Klamauk statt Cleverness. Aufklärerisch ist hier nichts, dabei könnte man via Netflix-Reichweite Millionen Zuschauer ein wenig enthemmen und vielleicht auch Intoleranz abbauen. Aber dafür sind die Macher der Sendung selbst zu verklemmt, was man allein schon an den aus Komödien bekannten Musik-Versatzstücken bemerkt, die über die vielen, vielen anzüglichen Szenen gelegt werden.

Die Regisseure und Autoren haben leider dafür gesorgt, dass hier wohl niemand für die Story bleiben wird. Weshalb der Serie in einer Art Verzweiflungstat noch ein Retro-Anstrich gegeben wurde. „Sex Education“ spielt zwar in der Gegenwart, sieht aber aus wie Anfang der 90er. Billy Idol läuft, ein Joy-Division-Poster hängt im Hintergrund eines in Brauntönen eingerichteten Zimmers. Wenn Leute schon nicht wegen der Handlung dranbleiben, dann ja vielleicht wegen dem Nostalgie-Geheische. Schade, dass die „sexy witch“ Gillian Anderson („Akte X“) darin untergeht.

„Sex Education“ läuft seit dem 11. Januar 2019 bei Netflix. Die erste Staffel umfasst acht Episoden.

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