Sex und Sweeties


Mit "Sex And Candy" landeten Marcy Playground den Überraschungshit des amerikanischen Sommers. Ein Gespräch über schnellen Erfolg und andere Süßigkeiten.

DIE MOMENTAN ANGESAGteste Band Amerikas schlurft um die Ecke wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Mit dicken Augenringen und nassen Haaren bringt ein verschlafener lohn Wozniak gerade mal ein müdes“Hello, niceto meetyou“ über die Lippen. Nicht viel besser steht’s um Drummer Dan Rieser und Bassist Dylan Keefe. „Unser Flug aus Amsterdam hatte Verspätung, wir mußten das Auto nehmen“, relativiert der Manager das ungewöhnliche Auftreten der Band, während er nach einem Anschluß für sein Laptop sucht. Der Mann nutzt jede Sekunde zum Arbeiten, denn die Band in seinem Schlepptau ist das Heißeste, was die USA derzeit zu bieten haben. Ihre Single „Sex And Candy“ mausert sich zum Hitmonster, und das gleichnamige Debütalbum ging schon in eine Million Haushalte. Vom zehnjährigen Kid bis zum Althippie pfeift jeder in den USA die „Sex And Candy“-Melodie.

„Glücklicherweise waren wir ständig auf Tour, so daß wir von dem ganzen Rummel nur wenig mitbekommen haben“, erzählt der studierte Songwriter lohn Wozniak und verzieht sein rundes Gesicht: „Der Erfolg macht mir ein bißchen angst, denn jetzt wollen 16jährige Mädchen Autogramme von mir, auf ihren entblößten Brüsten!“ Da verzweifelt das Musikerherz, schließlich ist Wozniak verheiratet und stolzer Vater eines wenige Monate alten Sohnes. Außerdem schaut er eher aus, als hätte er mehr Süßigkeiten als Sex gehabt. Zumal die Jugend des 27jährigen in Minneapolis anders verlief als bei Gleichaltrigen. Da wäre zuerst die Angst des kleinen John zu nennen, den Schulhof der Marcy Open School zu betreten. „Es gab 120 Gründe, von den anderen gehänselt oder verprügelt zu werden. Ich kenne sie alle! Aber immerhin brachte uns die Schule unseren Bandnamen“, resümiert Wozniak. Im Klassenzimmer dachte er sich in Ermangelung sozialer Kontakte Geschichten zu seinen Mitschülern aus. Mit 13 kam die Liebe zur Musik, das Umsetzen der Stories in Songs. „So ist er heute noch“, gibt Bassist Dylan zu Protokoll, „sobald John einen Menschen beobachtet, fängt er an, über ihn nachzudenken.“

Wozniaks Eltern ließen ihn gewähren, waren aber auch Grund für viele Probleme ihres Sprößlings, der ständig zwischen zwei Polen schwankte: „Mein Vater ist Professor für Psychologie. Er umgibt sich nur mit alten Büchern und ist ein ziemlich analytischer Geist.“ Die Mutter dagegen probt den Ausstieg aus der Gesellschaft und residiert gegenwärtig in einer Kommune in New Mexico: „Sie lebt dort in einem Tipi“, sagt Wozniak, fast entschuldigend. Kürzlich erst trennten sich seine Eltern nach 26 Jahren Ehe, freundschaftlich und der Selbstverwirklichung wegen. Eigentlich hätte der Vater als Psychologe sehen müssen, wohin diese unorthodoxe Umgebung den introvertierten Sohn treiben würde. Der junge John wurde drogenabhängig, bekämpfte mit allen Mitteln seine Depressionen und Paranoia. Auf der High School und später auf dem College in Washington probierte er so ziemlich die gesamte Palette illegaler Stoffe, um schließlich selbst mit Acid zu dealen. Stets schrieb er sich dabei seine Vergangenheit von der zerrissenen Seele. Titel wie „Opium“, „Saint Joe On The School Bus“, „Sherry Fraser“ (eine Ex-Freundin von der High School) oder eben „Sex And Candy“ sind autobiographisch und liegen teilweise wie ein Schatten auf Mr. Wozniaks Seele. Er sitzt nun in der Zwickmühle, darüber singen, nicht aber reden zu können. Der jähe Erfolg kommt über ihn wie eine Welle.

Einen Halt im Chaos aus bedrückender Historie und Erfolg findet John in der eigenen Familie. Von einer kleinen Pille namens Zoloft mag er dennoch nicht lassen. „Sie erleichtert mir den Tag. Ich bin besser drauf, und es gibt bis jetzt keine Nebenwirkungen.“ Alle übermütigen Fans seien hiermit gebeten, vor dem medikamentösen Selbstversuch die CD-Hülle, die Packungsbeilage und ihren Arzt oder Apotheker zu konsultieren.

Wie hoch Marcy Playground gehandelt werden, verdeutlichen die Angebote für Jingles von Coca Cola und Pepsi. Doch John winkt ab. „Produkte sind tot und uncool. Die Typen wollen mit Lebendigem ihre Dinge aufpeppen und noch mehr Kohle machen. Dafür zahlen sie dir Unsummen, wenn du willst. Aber ich lasse midi nicht versklaven. So verkommt Musik zum Konsumgut. Ist das Produkt alle, schmeiße ich die Flasche weg und die CD gleich hinterher. Denn mit der nächsten Kampagne kommt auch der nächste Titel. Das ruiniert die Szene, dadurch läuft jeder ständig einem Hype hinterher“, ereifert Wozniak sich. „Ich liebe Musik und lasse mir den Spaß daran nicht nehmen. Sonst würde ich kaputtgehen! Mir hat schon gereicht, daß ich ‚Sex And Candy‘ im Radio zwischen Celine Dions Titanic-Track und der neuesten Janet Jackson Single hören mußte. Mein Gott, wie weit ist es mit uns gekommen!“