Sit-ups bis ans Lebensende


Er firmiert unter zwei Marken, als Teil der Neptunes und von N.E.R.D., und ist der einzige Top-Producer mit öffentlich diskutiertem Sexappeal. Willkommen in der eigenartigen Welt des Pharrell Williams, Pharrell? Ist das nicht der, der in den Hiphop-Videos immer das T-Shirt auszieht? Der, der so hoch singt?“, fragt eine Freundin. „Genau der!“, antworte ich. Und schon kommt das: „Nimmst du mich mit?“ Kann man als Produzent berühmt werden? So richtig berühmt? Man kann. Den Namen Pharrell Williams kennt heute fast jeder, und die Hits, die er zusammen mit Chad Hugo unter dem Markennamen Neptunes produziert hat, sowieso. Irgendein Track, den die Neptunes verarztet haben, steht eigentlich immer in den Charts. So geht das seit Jahren.

Die Kundenliste füllt mehrere Seiten und reicht von Nelly über No Doubt und Pink, bis hin zu Britney, Jennifer Lopez und Justin Timberlake. Pharrell Williams hat sich zudem als „Featuring“-Sänger mit Surfer-Charme und Waschbrettbauch in die Herzen der Damenwelt gefistelt und kann es in punkto Beliebtheit inzwischen mit Duettpartnern wie Snoop oder Jay-Z aufnehmen. Weil sich das Gespann Williams/ Hugo anscheinend vor guten Ideen kaum retten konnte, nahmen die beiden 2002 ein Album mit eigener Musik auf und nannten sich in ihrer Eigenschaft als Band fortan N. E. R. D. (übersetzt so etwas wie „Streber“). Dritter Mann war Shay Haley, ein Schulfreund der beiden Whiz-Kids aus Virginia Beach. Wie nicht anders zu erwarten, war das Debüt IN search of mit seiner Mischung aus Rock, Psychedelik, Rap und Soul ein voller Erfolg.

Inzwischen sind zwei Jahre vergangen. Pharrell Williams ist dem Superstar-Status ein ganzes Stück näher gerückt. Er soll, so heisst es, nicht gerade sehr gesprächig sein. Ich bin gespannt. Das Saint Martin’s Lane Hotel in London hat den Charme einer Philippe-Starck-Zitronenpresse. Dreibeinige Designermöbel, Videokunst, Menschen mit Headsets. Virgin Records hat sich hier zwecks Promotion des neuen N.E. R.D.-Albums eine Woche lang eingemietet und nimmt ein halbes Stockwerk in Beschlag. Die Sofas sind bequem und über die Stereoanlage, auf der wir Journalisten die erste Single vorgespielt bekommen, kann man auch nicht meckern. „She Wants To Move“ beginnt mit Hundegebell und klingt nach einem Hit. Prima Handclapping, astreine Latino-Rhythmusgitarre. Ein guter Einstieg! Als ich die Suite 601 betrete, sitzt Pharrell mit gesenktem Kopf am Tisch. Unter seiner Kapuze sieht er aus wie ein Mönch, der sich gerade entschlossen hat, einem Schweigeorden beizutreten.

Der Mann, dem Amerikas Superstars zu Füßen liegen, trägt ein Kleidungsstück, das eine Mischung aus Armee-Schlafsack und Trainingsanzug zu sein scheint. Das Ding würde sich vermutlich gut als Nistplatz für Birkhühner eignen. Auf Pharrells Brust schwebt an einer Halskette ein Astronaut aus Gold und Diamanten. „24 Karat“, sagt er und lässt mich das mächtige Schmuckstück anheben. Überraschenderweise wirkt Pharrell trotz der Brillant-Ohrringe und des funkelnden Rings am Finger nicht allzu protzig. Irgendwie ergibt der Look einen stimmigen Stil. „Billionaires‘ Boys Club“, der Name seines Fashion-Labels, trifft es ganz gut. Kein Wunder, dass Shay neben seinem Kollegen etwas, nun ja, blass aussieht, obwohl er mit seinem Bart an Orson Welles in der Rolle des Othello erinnert. Chad Hugo sitzt nicht mit am Tisch. Der dritte Mann muss – gemäß seinem Image als perfektionisrischer Tüftler – nachsitzen, um das Album fertig abzumischen.

ME: Ich habe den Namen Pharrell Williams in die Suchmaschine Google eingegeben, und wisst Ihr, was ich gefunden habe ? Hunderte von Sites, auf denen man Klingel töne runterladen kann. pharrell (schaut kurz auf): Echt? Das ist verrückt.

Wir haben ja leider nur einen Track Eures neuen Albums zu hören bekommen. Wann ist ein Track eigentlich fertig?

pharrell: Wenn ersieh gut anfühlt.

Steckt hinter deinen Produktionen also nur Intuition?

pharrell: Ich weiss es nicht, Mann. Es ist halt ein Gefühl. Und ich denke jeder hat diese Fähigkeit. Man weiß es einfach. Genug ist genug. Das gleiche, wenn du ein Mädchen zum ersten Mal triffst und dich mit ihr unterhältst. Da darfst du nicht zuviel labern. Man muss auf den Punkt kommen. Das ist mein Motto.

Gilt das im Allgemeinen, nicht nur für deine Musik?

pharrell (lacht): Ja. Ist vermutlich auch der Grund, warum ich noch keine Freundin habe.

War es von vornherein klar, dass „She Wants To Move die Single werden würde?

pharrell: Ja. Es gab andere Tracks, die dich noch schneller packen und deine ganze Aufmerksamkeit auf sich lenken, aber dieser Song ist so etwas wie der Richtungspfeil für das Verständnis des ganzen Albums. Er soll deine Seele öffnen.

Was hat dich beim Songwntmg beemflusst?

pharrell: Geschichten von Freunden. Die meisten Tracks auf dem Album handeln nicht von mir. Ich schreibe gerne über Sachen, die Leute mir erzählen: Telefongespräche, Mädchen, die mich anquatschen, Leute, die mich um Rat fragen.

Euer Bandnamen N.E.R.D. steht für „No one ever really dies“. Da steckt ja auch die Technik drin, wie man mit Musik Erinnerungen, Traditionen, Kulturen, Rhythmen und Menschen im Umlauf hält.

SHAY: Chad und Pharell sind wirklich spirituell, verstehst du? Das steckt tief in ihnen drin.

Wie wichtig ist dir das Thema Außerirdische?

PHARRELL: Sehr wichtig. Sie sind wichtig für die ganze Welt. Die Begegnung mit außerirdischem Leben ist das einzige, was uns tatsächlich aufrütteln würde. Alles von der Wissenschaft bis zur Religion würde sich verändern. Daher finde ich, dass wir das Thema ruhig etwas ernster nehmen könnten. Wir sollten uns stärker auf die Dinge konzentrieren, die wir lieben und an die wir glauben. Ich möchte jetzt nicht zu religiös werden, aber ich denke, wenn du an dich selbst glaubst und wenn du an Gott glaubst – und ich glaube an ihn, ich bin Christ – dann musst du wirklich aufpassen. Es werden sich Dinge in der Zukunft ereignen, die dich zweifeln lassen. Man muss sich informieren. Es gibt so vieles da draußen.

Der Jazzkomponist Sun Ra hat ja ganze Sonnensysteme in seine Musik gepackt…

pharrell: Ich kenne ein paar von seinen Sachen. Verdammt komplexes Zeug. Earth Wind & Fire und Stevie Wonder waren ja auch von solchen Dingen beeinflusst. Planetarische Konstellationen, Astrologie. Ich habe mich mal mit Quincy Jones über Sternzeichen unterhalten. Der kennt sich da wirklich gut aus. Dann hatte ich ein Gespräch mit Roy Ayers, in dem es auch um Astrologie ging. Es ist schon deep, aber man sollte sich andererseits nicht zu sehr in sowas verlieren. Das wichtigste ist, richtig zu leben und mit den Menschen, die du liebst, glücklich zu sein.

Wie ist eure Heimatstadt Virginia Beach eigentlich so? Wolltet ihr je wegziehen? Jetzt mit dem ganzen Erfolg…

PHARRELL: Es ist ganz normal. Wir Finden es gut da.

SHAY: Wir reisen ja so viel. Es ist der ideale Ort, um wieder zur Ruhe zu kommen.

Euer Sound ist leicht erkennbar, obwohl er sie aus so vielen Quellen speist. Wie schaffst man es, sich überalt zu bedienen und dabei etwas Eigenes entstehen zu lassen?

PHARRELL: Es ist schwer für mich darüber zu sprechen, weil ich sehr gefühlsmäßig vorgehe. Wenn ich das in Worte fassen soll, muss ich es eingrenzen und dann geht es verloren.

Was hältst du von Beck?

PHARRELL: Beck is dope. Ich finde es großartig, wie er Sachen mischt, er ist ein Hybrid-Denker wie wir.

Gibt es einen besonderen Code, wie ihr in der Band über Eure Musik redet?

PHARRELL: Nein. Wir verstehen uns einfach so. Wir wissen, wenn ein Akkord fehlt, wenn zu viele Noten rumflirren. Wir spüren, wie nah wir an einem Drum-Pattern sind. Und dann sagt einer: Lasst uns das nochmal versuchen, wir stehen knapp davor.

Habt ihr diese Statistik in THE FACE gelesen, nach der letzten Sommer 19 Prozent der Musik im britischen Radio von den Neptunes produziert wurde?

shay: Wow!

Wird das nicht eines Tages ein bisschen zu viel ?

PHARRELL: Ja, das ist schon zu viel.

Meinst du zuviel Arbeit oder einfach zu viel ?

pharrell: Nicht zuviel Arbeit, es macht ja Spaß. Aber ich möchte nicht… ich möchte kein Star sein. Jetzt haben wir Fans und Freunde. Wenn du ein Superstar bist, dann hast du kein Leben mehr. Ich möchte lieber einfach nur ein Künstler sein. Ich gebe gerne Autogramme, rede gerne mit meinen Fans, aber ich möchte kein Superstar sein.

Als ihr als Jungs angefangen habt, Musik zu machen, ward ihr da mehr die stillen Bastler oder die ausgeflippten extrovertierten Typen?

shay: Die Extremen, diejenigen, die keine Angst davor haben, sich dauernd neu zu erfinden, haben uns schon immer inspiriert. Denen sind wir gefolgt.

Es wirkt so, als hättet ihr Ihr euch nie darum gekümmert, ob ihr cool seid. Ihr habt gehört, was ihr hören wolltet, gemischt, was ihr mischen wolltet.

PHARRELL: Ja, aber es ist doch nur die Industrie, die behauptet, man dürfe dieses nicht mit jenem vermischen. Die gleichen Kids die „Smells Like Teen Spirit“ hören, hören auch „It’s All About The Benjamins“. Sag ich seit Jahren. So ist es.

Wie wichtig ist dir dein Körper?

pharrell: Wichtig.

Trainierst du viel oder wie kommst du sonst zu dieser-Figur?

pharrell: Ich mache täglich 675 Situps.

Ist das interne Band-Disziplin ?

shay: Nein.

pharrell: Ich möchte 1ooo Crunches schaffen. Jeden Morgen 1000 für den Rest meines Lebens. Das möchte ich machen. Es wird mich gesund halten.

Kann Sexyness langweilig werden? Wenn man MTV schaut, wird es einem ja manchmal fast zuviel.

pharrell: Wenn du mich fragst, möchte ich ja gar nicht dauernd solche Videos machen, mit diesen ganzen Million-Dollar-Chicks. Meine Frau ist irgendwo da draußen, und vielleicht sieht sie diesen Scheiß. Ich warte ja noch auf die Richtige. Die Richtige wird mich lieben. Und sich nichtan uns ranschmeißen, weil wir gutes Geld verdienen. Stell dir vor, was für Songs das sein werden, wenn ich in meinen Liedern über diese große Liebe sprechen kann! Was für Akkorde!

Nach den Interviews gibt es noch eine Listening Session mit Karaoke-Einlage. Als erste Europäer dürfen wir einige noch nicht fertig abgemischte Kostproben aus „Fly Or Die“ hören. Shay liegt dabei auf dem Teppichboden und bedient die Stereoanlage aus der Horizontalen. Pharrell kommentiert die Tracks und singt mit. Mal mit geschlossenen Augen, mal rhythmisch durchs Zimmer schreitend. Auf dem Großbildfernseher hinter ihm läuft ein stummgeschalteter Dokumentarfilm. Man sieht britische Soldaten in Schützengräben. Männer, die mit Maschinenpistolen auf Melonen zielen, Kindersoldaten. Der Gesamteindruck ist ebenso stark wie surreal. Dazu im Hotelzimmer Pharrell in seiner Tarnjacke. Singend. Wippend. Geschichten erzählend. „Waiting For You“die Geschichte eines geretteten Babys. „Eine wahre Begebenheit“, sagt er, „ich habesie in der Kirche gehört.“

Unter dem Einfluss seiner Musik wird der Mann angenehm gleichmütig. Sanft, irgendwie kindlich. Die Instrumente haben sie diesmal alle selbst gespielt, berichtet Pharrell und trommelt in die Luft. „I Love The Way She Dances“ – ein fröhlicher Track, klingt nach Steely Dan. Shay merkt, wie gut uns das gefällt und spielt die Titel länger an. „Don’t Worry About lt“. „Woiv“, sage ich, „habt ihr in letzter Zeit mal wieder eure Hendrix-Platten durchgehört?“ Pharell lächelt: „Du magst das wirklich, was? Thank you,sir!“