Kritik

„Sneaky Pete“ auf Amazon Prime: Darum hat die Ganoven-Serie eine 3. Staffel verdient


Seit dem 10. Mai läuft die dritte Staffel von „Sneaky Pete“ auf Amazon Prime. Hier sind fünf Beispiele, warum auch diese Staffel wieder einen sehenswerten Mix aus Spannung, Drama, Selbstreflexion und der Huldigung des ehrenhaften Taschenspieler-Gewerbes bietet. Achtung, Spoiler!

1. Wer ist Marius Josipovic, ohne sein kriminelles Ich?

Diese Frage stellt sein Bewährungshelfer James Bagwell (Malcom-Jamal Warner) direkt zu Beginn der dritten Staffel und äußert damit eine echte Grundsatzfrage. Immerhin zwei Staffeln haben wir Darsteller Giovanni Ribisi als den falschen Pete Murphy erleben dürfen, zum Ende der zweiten Staffel entdeckten einige seiner vermeintlichen Verwandten, dass er in Wirklichkeit Petes Ex-Zellenkumpel Marius Josipovic ist. Aber der möchte sein eigenes, angeborenes Ich selbst lieber nicht kennenlernen und fühlt sich in der Rolle des „neuen“ Pete längst viel wohler.

Ungewöhnlicher Twist dabei: Die Serie wurde zwei Staffeln lang von einem großartigen Hauptdarsteller getragen, über dessen Figur wir nur wissen, dass sie sich sehr geschickt als eine andere Figur ausgeben kann. Das unterstreicht vielleicht auch den sehr schmalen Grat zwischen Wahrheit und Fiktion – zumindest solange eine gute und glaubwürdige Geschichte dahintersteckt. Die neuen Kleider des Kaisers, einst ersonnen vom dänischen Schriftsteller Hans Christan Andersen, kommen eben irgendwie nie „out of fashion“.

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2. Home is where the heart is

Getrieben von der Angst vor Gangsterboss Vince Lonigan (Bryan Cranston) hat sich Josipovic anfänglich nur unter Petes Namen bei dessen Großeltern in Bridgeport, Connecticut eingeschlichen, weil er während der gemeinsamen Zellenzeit so viel Details über Petes Familie erfuhr, dass die Maskerade eine sichere Sache schien. Was für ein Glück, dass Opa und Oma ihren Enkel so lange nicht mehr gesehen hatten und die Täuschung nicht bemerkten. In der dritten Staffel wird wieder deutlich, wie sehr ihm die längst gar nicht mehr fremde Familie, und auch das abgelegene, hübsche und gepflegte Farmhaus der Großeltern Otto (Pete Gerety) und Audrey Bernhardt (Margo Martindale) ans Herz gewachsen sind. Hier findet er die nie aktiv herbeigesehnte, kleinstädtische Idylle, die zwar zu keiner Zeit der harten Realität entspricht (die Großeltern betreiben ein Kautionsbüro in dem es mitunter auch wild zugeht), aber deren schöner Schein von allen dort verkehrenden Familienmitgliedern aufrecht erhalten wird. Was angesichts der idyllischen Lage, direkt an einem See, unterstützt durch klischee-schwere Landleben-Details wie dem Weidekorb voll mit knackigen, roten Äpfeln auch nicht so schwerfällt. Umso größer sind die Verlustängste, als ihn Cousine Julia (Marin Ireland) am Anfang der dritten Staffel wutentbrannt vom Grundstück jagt, weil sie hinter seine wahre Identität gekommen ist.

3. Heute schon nicht die Wahrheit gesagt?

Statistisch gesehen lügt jeder Mensch mehrmals am Tag. Erst im Januar 2019 durch eine Metastudie zum Thema Unehrlichkeit des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin und dem „Technion – Israel Institute of Technology“ frisch untermauert. Sie trugen 565 Einzelstudien mit 44.050 Probanden zusammen und bestätigen, dass der Mensch nicht nur gegenüber anderen Mitmenschen lügt, um sich Vorteile zu verschaffen, sondern sich auch durchaus mal selbst betrügt. Das kann mit Höflichkeit und Bequemlichkeit zu tun haben, oder mit der Angst, dass die eigene Unsicherheit in bestimmten Situationen auffällt. Es steckt also nicht immer Vorsatz dahinter.

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Von diesen empirischen Fakten wissen die Protagonisten bei „Sneaky Pete“ natürlich nichts, sie haben das Lügen und Erfinden von alternativen Fakten zur neuen Kunstform erhoben. Denn nicht nur Marius muss für seine Doppel-Identität ständig neue Details erfinden oder umdeuten, auch die Familie des echten Pete verstrickt sich stets wieder in unvorteilhafte Situationen, aus denen nur die Lüge ein (vorläufiges) Entkommen zu bieten scheint. Das macht die Serie nicht nur spannend, sondern mitunter auch reichlich komplex – zum Glück sind clevere Formate, die den Zuschauer geistig ein wenig herausfordern, derzeit total angesagt.

4. Steht mir dieser Trenchcoat?

Klassischerweise ist ein speckiger, beigefarbener Trenchcoat ja der Umhang des ikonischen amerikanischen Kriminalbeamten, etwas behäbig, nachsichtig, am Ende aber immer total korrekt. Wir erinnern mal kurz an Inspector Gadget, Detective Mike Stone (die legendäre Rolle von Karl Malden in der Fernsehserie „Die Straßen von San Francisco“) oder Inspector Columbo (gespielt von Peter Falk in der gleichnamigen Serie, die gefühlt seit 1968 im Privatfernsehen in Dauer-Wiederholung läuft). Auch in der dritten Staffel trägt Julius den etwas moderner geschneiderten Kurzmantel (von dem es im Kostümfundus anscheinend ein grünes und ein blaues Exemplar gibt), den der Brite natürlich als „Mac“ für sich reklamieren würde. Gute Tarnung, die vielleicht der Tatsache geschuldet ist, dass dieses Outfit bei Amerikanern automatisch Vertrauen generiert, weil es unterbewusst immer mit einer ganzen Reihe von berühmten Fernseh-Polizisten assoziiert wird? Wer die Wirkung im nächsten US-Urlaub einmal ausprobieren möchte, diverse Threads bei reddit.com befassen sich mit der Frage, welches konkrete Modell Giovanni Ribisi da wohl von der Kostümabteilung verpasst bekommen hat.

5. Kleinkriminelle waren schon immer die charmanteren Verbrecher

Marius ist nicht nur mit allen Wassern gewaschen und kann sich spontan in jede Situation einfühlen (z.B. ohne Bargeld und Kreditkarte Juwelen im Wert von über 5.000 Dollar bezahlen), er hat auch einige sehr gute Taschenspielertricks auf Lager, die er zwischendurch seinen „Azubis“ Gina (Jasmine Carmichael) und Tate (Max Darwin) mit beiläufiger Souveränität beibringt. Zwar geht es in Staffel zwei letztlich doch um einen großen Coup, dessen stilistische Anbiederei bei der legendären „Oceans“-Reihe etwas bemüht wirkt, aber die wahre Sympathie sammelt Marius mit den kurzen Momenten, in denen sein Rollenspiel als waschechter und ehrenhafter Ganove der alten Schule Fahrt aufnimmt. Ohnehin hegt man schnell Sympathie für den smarten wie unaufdringlichen Marius/Pete, gepaart mit ein bisschen Mitleid – eben genau der unwiderstehliche Charme, den ein Weltklasse-Ganove vermitteln sollte.

„Sneaky Pete“, Staffel 3 seit 10. Mai 2019 auf Amazon Prime im Stream zu sehen.

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