Stephin Merritt hat viele musikalische Gesichter. Jetzt ist er im Fernen Osten gelandet.


Der Mann mit Kabuki-Make-up könnte Stephin Merritt sein. Und er ist es, wie das Booklet seines neuen Albums Showtunes zeigt. Das ist neu: auf Merritt-Platten ist sonst nie Merritt zu sehen. Mit dem Coverfoto bekennt der Songwriter von der New Yorker Lower East Side Farbe: Er hat sich von der Popmusik verabschiedet und schlüpft in die historische Theatermaske. Keine Chance auf ein zweites Super-Duper-Triple-Album mit Jahrhundertliedern? Nein, definitiv keine neuen 69 Love Songs.

Merritt musiziert untervielen Bandnamen: Magnetic Fields, Future Bible Heroes, Gothic Archies und 6ths (ein Projekt, das er seinen Lieblingssängern widmet). Er spielt so manches Instrument, ist Sänger und manchmal sein eigener Produzent. Merritt komponiert Soundtracks, schreibt Musik für Theaterproduktionen und zu Kinderbüchern. Die Songs auf showtunes entstanden in Zusammenarbeit mit dem chinesischen Theaterregisseur Chen Shi-Zheng: für die Bühnenstücke „The Orphan Of Zhao“, „Peach Blossom Fan“ und eine Hans-Christian-Andersen-Revue. Klingt mehr nach Fernost-Oper als nach Indie-Pop. Es ist und bleibt aber Merritt, sagt Chen Shi-Zheng: „Stephin hat Songs geschrieben, die sich auf verschiedene Traditionen beziehen, ober erkennbar seine eigenen sind. Ich bewundere seine Fähigkeit, so viel von der populären amerikanischen Musik in sich aufzunehmen und darin seine eigene Stimme zu finden.“

Interviews mit Merritt sind kein echter Spaß; er gibt sich oft wortkarg und wenig kooperativ. Wenn er sich äußert, erfährt man mehr über seine Favoriten als über ihn: „Als Produzent suche ich nicht nach einer realistischen Wirkung. Ich mag Phil Spector und Abba, gerade weil sie nicht realistisch klingen wollen. Ich kann auf ihren Platten nicht mehr die einzelnen Instrumente hören, nur noch die Noten.“ Kein Zweifel: Hinter der Kabuki-Maske steckt ein kluger Kopf. Merritt spielt mit Songformen und Instrumenten aus verschiedenen Kulturen, läßt uns im Ungewissen über seine Absichten. Der Operette hat er schon auf dem letzten Magnetic-Fields-Album ein Lied gewidmet; so entstehen Verbindungen, showtunes ist die nächste Etappe auf dem Weg zu einem Ziel, das Stephin Merritt vielleicht selbst noch nicht so richtig benennen kann.

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