Stop‘ n‘ go with The Cars


Selbst heimliche Popstar-Ambitionen? Träume von Ruhm und Reichtum? Das Demo womöglich schon in der Schublade? Nun, wer sich noch immer der Illusion vom süßen Popstar-Dasein hingibt, sollte diese Zeilen vielleicht besonders aufmerksam lesen. Denn ganz so rosig, wie es zunächst den Anschein haben mag, ist der Pop-Alltag auch wieder nicht. Vor allem dann nicht wenn man - wie unlängstdie Cars - auf den unvermeidlichen PR-Trip kreuz und quer durch Europa gehen muß. Martin Brem heftete sich für einen Tag an ihre Fersen.

Donnerstag, der 18. Oktober. Es ist einer dieser phänomenalen Herbsttage in München, wo nur die Düfte der Industrie das Blau des wolkenlosen Himmels über der Stadt mit gelbgrauen Farbtupfern verzaubern. Noch einmal darf man sich die Ray Ban ins Besicht drücken und den schulschwänzenden Teenies im Botanischen Garten nachgucken

11:05 Uhr. Draußen am Flughafen hat man andere Probleme. „Ich möchte eine Maschine aus London erleben, die pünktlich kommt“, meint Max Müller. Product Manager der WEA Schallplatten mit Sitz in Hamburg, bei einem Kaffee in der Bar der Ankunftshalle. Elfi Küster, Promotion-Chefin derselben Firma, zückt die sorgfältig geplanten Schedule und checkt eventuelle Termin-Improvisationen, die durch die 45minütige Verspätung der British Airways BA 754 notwendig werden könnten.

Noch mit dabei in der Runde: Willi Schlösser, stellvertretender Geschäftsführer der Chappell Musikverlage, Bravo-Haudegen Didi Zill, ein Team des privaten Kabelfernsehsenders Bauer TV und meine Wenigkeit. Ach ja, und ein Vertreter der Firma Renault schließlich warten wir auf die CARS …

Müde sind sie, die wackeren Recken um Ric Ocasek, als sie endlich durch die Paßkontrolle ins nichts beschönigende Licht der Ankunftshalle treten. Ben(jamin) Orr, Bassist und Sänger, scheint die längste Nacht gehabt zu haben, wenn man die Schatten unter seinen Augen als definitive Meßlatte heranziehen will.

Ric ist in natura ein einziges „noch“ noch länger, noch dürrer, noch beeindruckender. Bei den restlichen Dreien beginnt nun beim offiziellen Empfangskomitee ein peinliches Rätselraten; Wer ist wer 9 Die schwer erkennbaren, weil Nicht-Frontmänner David Robinson (Schlagzeug), Greg Hawkes (Keyboard) und Elliot Easton (Gitarre) werden nach den üblichen Begrüßungsformalitäten („Hi, nice to meet ya“ „Good to seej you“) dann doch noch identifiziert.

Manager Bill Gerber, smart und exakt so, wie man sich den modernen und geschäftstüchtigen Jung-Ami vorstellt, bittet nicht zu fotografieren: „Give them two minutes, okay?“ Er sagt „okay?“ so professionell freundlich/bestimmend, daß jede Ignoranz dieser „Bitte“ das Ende deiner geplanten Story wäre.

Die Cars befinden sich auf einer sogenannten Promotion-Reise durch Europa. Gestern London, heute München, morgen Paris. Interviews, Foto-Sessions. Werbeaktionen… es gilt den Kontinent zu erobern. Und das ist ein hartes Stück Arbeit, denn gehört die Bostoner Band in den Staaten auch zu den erfolgreichsten Gruppen dieser Tage – hier, im guten alten Europa, sind sie für viele nichts weiter als eine talentierte Nachwuchs-Band, von der man mal ein paar tolle Videos gesehen hat.

Schon einmal waren die Cars für ein ähnliches Vorhaben wie dem heutigen in deutschen Landen zu Gast. Sechs Jahre ist’s her, als in einem Hamburger Lokal die WEA zum Presse-Treff lud – und sich eine Abordnung germanischer Rock-Schreiber (darunter die „Sounds“-Größen Gülden, Schwaner, Gockel und Andresen) sofort an einen Tisch in die Ecke verzog, einen „Friesen-Geist“ nach dem anderen kippte, aber keiner so recht die aufstrebende Band aus Amerika interviewen wollte. Der damalige Promotion-Mann der WEA, Stefan Michel, schier verzweifelt über soviel Ignoranz, hatte keinen leichten Job. der Band das Desinteresse der deutschen Rock-Presse schonend halbstündig genaue Schedule kündigt eine Menge Interessenten an. Zuerst will „Bravo“ zusammen mit Renault ein Auto verlosen, dann Interview mit einem Video-Magazin, anschließend TV-Interview mit den Herren vom Bauer-Kabel. Gespräche mit „Stern“, „Playboy“, natürlich „ME/Sounds“, „Stereo“, dem Bayrischen Rundfunk – dazwischen immer wieder eingeschoben: Fotosessions für „Pop/Rocky“ und „Bravo“.

Als Location für diese Aktivitäten hat WEA das optisch reizvolle BMW-Museum gewählt was sich nicht nur von der Thematik her als goldrichtig erweist. Die Public Relations-Abteilung der Bajuwarischen Motoren-Werke zeigt sich weltmännisch und von ihrer besten Seite, indem man etwa – völlig unaufgefordert – ein Büffet aufbaut und eine blonde Schöne für den gesamten Nachmittag zur Betreuung der Gäste abkommandiert. Dabei kann man wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen, daß die oberen Etagen dieser Firma keine Cars-Cassetten in die Autoradios ihrer 745er Limos schieben.

Das Engagement der Firma geht sogar soweit, die WEA höflich aber bestimmt darauf, aufmerksam zu machen, daß man in Zukunft besser BMW um ein paar kostenlose Mietwägen bitten sollte, anstatt bei Avis drei Daimler Benz zu besorgen. (Pfui, welch eine Schande – drei Mercedes vor dem BMW-Hauptportal parkend!!) Was wäre wohl passiert, hätten die eifrigen PR-Füchse von der Verlosungsaktion mit Renault erfahren? Vielleicht hätten sie aber doch nur still in sich hineingegrinst. Denn als Fotograf Didi Zill die Band möglichst effektvoll um den R 5 „Le Car“ gruppieren will und Gitarrist Elliot äußerst dekorativ auf dem Dach des Kleinwagens in Positur geht, knickt selbiges unter der geschätzten Last von 65 Kilogramm mit einem dumpfen „whuup“ nach unten. Die Band kichert. Renault weniger und die arme WEA schon gar nicht – an ihr bleiben die Reparaturkosten von 1500 Märkern hängen.

Weniger erheiternd für die Band sind die Interviews. „Klar“, meint David Robinson, Schlagzeuger und für einige optische Konzepte der Band verantwortlich, „wir würden lieber zu Hause sein und was ordentlich Kreatives tun, als hier in der Gegend herumzureisen und immer wieder dieselben Fragen zu beantworten!“ Aber es ist „part of the business“ und ein wichtiges Zahnrädchen im Getriebe. Und so lassen sie diese Gespräche über sich ergehen, die sich hierzulande teilweise auf einem „Tell-mi-somesingäbaut-jor-preivat-laif“-Niveau bewegen. Und dann gibt’s ja sogar Journalisten, die da kommen und Elfi fragen: „Sagen Sie, wer ist denn dieser lange Dürre?“ Elfi (sachlich): „Das ist Ric Ocasek.“ Journalist (staunend): „Ach, das ist der…“

Ben: „Es ist natürlich eine ganz schön eigenartige Situation für uns: Drüben sind wir groß. Nicht daß ich übermäßig drauf stehe, im Supermarkt dauernd angequatscht zu werden. Aber dann kommst du hier her und kannst wieder von ganz vorne beginnen. Das hat natürlich auch seinen Reiz, aber es kann dich manchmal ganz schön abtörnen!“

Die Stimmung in der Band geht von Interview zu Interview weiter in den Keller. Ric verabschiedet sich immer öfter aus dem Aufenthaltsraum, um mit der blonden BMW-Dame in den 19. Stock des futuristischen Bürogebäudes zu fahren. Nein, lieber Leser, nicht das, was Sie schon wieder denken! Ric muß lediglich nach New York telefonieren – und Blondie hat den Schlüssel. Außerdem ist ja immer Mr. Gerber dabei!

Ben bemerkt, daß er sein Flugticket verloren hat. Elfi ordert am Flughafen ein neues. BMW will der Gruppe nun einen hauseigenen Promo-Film zeigen (who knows, vielleicht findet sich ein Käufer…), die Band hat aber leider überhaupt keinen Bock mehr. Elfi entschuldigt die müden Herrschaften. Elliot wendet sich im Stern-Interview angeödet ab und liest demonstrativ Zeitung – Elfi versucht die aufgebrachte Journalistin („So kann ich doch kein Gespräch führen“) zu besänftigen. Mittlerweile ist es 19.05 Uhr. Ric will nochmals telefonieren – Elfi wird nervös. Was angesichts der Tatsache, daß es zur Zeit kein einziges freies Hotelzimmer in der Stadt gibt und die letzte Maschine nach Paris um 19.50 und keine Minute später geht, durchaus verständlich ist. Noch dazu kennt keiner der Hamburger WEA-Mannschaft den genauen Weg zum Flughafen – und so hat’s allein der Autor dieser Zeilen im rechten Fuß (eben dort, wo das Gaspedal seines kraftstrotzenden Fiat Pandas stationiert ist) ohne Führerschein und sonstigen Papieren die Dreier-Mercedes-Kolonne durch die letzten Reste der Abendstoßzeit über den Mittleren Ring zum Flughafen zu prügeln.

Dort angekommen – exakt um 19.42 – bleibt man natürlich nicht auf regulären Parkplätzen und auch nicht in zweiter, sondern in dritter Spur stehen. Während die Band loshechtet, beruhigt Willi Schlösser zwei fleißige Exekutiv-Organe, die diese Art zu parken, aus tiefster innerer Überzeugung heraus ablehnen. Ben muß noch zum British Airways-Schalter, um sein neues Ticket abzuholen. Dort ist dann auch sein Original-Flugschein hinterlegt, den der gute Mann in der Maschine aus London unter dem Sitz deponiert hatte.

Die Dame der Air France hebt zwar skeptisch ihre Brauen, drückt aber gleichzeitig ein Auge zu und läßt die Band einchecken. Geschafft. Hastige „Thanx a lot““See ya in Dortmund“ (bei Rock-Pop in Concert) „Have a nice time in Paris“ etc. – und weg sind sie.

Und wer glaubt, daß nun ein arbeitsreicher Tag für die Cars zu Ende geht, sollte noch erfahren, daß um 22.30 Uhr im Casino de Paris ein Abendessen mit Journalisten und sonstigen Medienleuten angesetzt ist. Bon appetit, meine Herren, ihr habt mein Mitleid…