Suizidale Tendenze


Besessen von Klingen, Blut und Tod hat Brody Dalle von The Distillers ihre Seele an den Punk verkauft. Dass sie für Josh Homme aber Tim Armstrong sitzen ließ, spaltet derzeit die gesamte Punkwelt.

Blass, müde und misstrauisch sitzt Brody Dalle auf einer weißen Couch. Ein paar Stunden, nachdem sie sich im Hamburger Grünspan auf dem Bühnenboden gewälzt, mit Bier gespuckt und Punkrock gespielt hat, wie er dreckiger und verführerischer nicht hätte sein können, gibt es wenig, worüber sie sprechen will. „Alles wird offenbar, wenn es vom Licht gestraft wird“, liest man in der Bibel bei Paulus über die „Werte der Finsternis“, und ein derart martialisches Album wie coral fang, das in tiefster kalifornischer Nacht empfangen ward und in stickigen, düsteren Clubs in humorlosen und ohrenbetäubenden Ritualen zelebriert wird, büßt im kalten Licht eines norddeutschen Vormittags tatsächlich einiges von seinem Zauber ein. Es ist keine verlockende Vorstellung, in wenigen Minuten über das Cover des dritten Albums und Major-Debüts der Distillers sprechen zu müssen, das ein nackter, gekreuzigter Frauenkörper ziert, aus dessen Seite sich ein Strom von Blut ergießt. So extrem ist das Bild und das zugehörige Booklet, in dem enthauptete, gefesselte und aufgeschlitzte Frauen, herausgerissene Herzen und abgetrennte Gliedmaßen in einem Meer von Rasierklingen dargestellt sind, dass es für die famielenfreundlichen CD-Abteilungen amerikanischer Supermärkte durch ein Artwork mit Rehlein, Häschen und idyllischen Landschaften ersetzt werden musste.

Da Brody weder erpicht darauf ist, über den Tod zu reden, der in fast allen der zwölf Songs auf coral fang behandelt wird, noch ihre Heroinfaszination oder ihre kürzlich vollzogene Scheidung von Rancids Tim Armstrong zum Thema machen will, gibt sie sich alle Mühe, eine möglichst wenig intime Gesprächsatmosphäre zu schaffen. Sie hat ihren Platz am anderen Ende eines großen Tisches neben ihrem mächtigen Schlagzeuger Andy Granelli gewählt, der zu ihrer Freude „Schniddsl“ bestellt hat und nun, während wir das Mikrophon installieren, durch die Kanäle zappt, bis er eine Schlagersendung auf TV Polonia entdeckt, die ihm – in provozierender Lautstärke – geeignet erscheint, die Unterhaltung zu behindern. Derart abgelenkt misslingt der einleitende, unverfängliche Smalltalk gründlich. Belanglose Fragen führen zu noch belangloseren Antworten: Welche Rolle hat Produzent Gil Norton bei den Aufnahmen gespielt? „Sehr väterlich “ sei er gewesen, müssen wir erfahren, und dass er vor allem dazu beigetragen habe, das Studio The Sight, das in einer abgelegenen Region nördlich von San Francisco liegt, zu ihrem Zuhause zu machen. „He just made us a safeplace, like… not that we were in danger of like anything“. schwallt Brody. Erst die Frage nach einer möglichen Beeinträchtigung der künstlerischen Freiheit nach Unterzeichnung eines Major-Label-Vertrags-wie sich herausstellt, eine perfekte Überleitung zu spannenderen Themen – macht die 24Jährige ein wenig gesprächiger. „Musikalisch konnten wir machen, was wir wollten. Man hat uns mehr Zeit und ein größeres Budget als sonst gegeben. Aber künstlerisch … da mussten wir kapitulieren. Die großen Ladenketten wollten unser Cover nicht in die Regale stellen. Da hat sich dann auch das Label auf keine Kompromisse eingelassen. Das war schockierend.“

Was genau wolltet ihr mit dem brutalen Album-Artwork überhaupt ausdrücken?

ANDY: Die Zeichnungen sind von unserem Freund Tim Presley. Das sind seine Interpretationen von Brodys Texten.

Und warum geht es in den Songs permanent um Blut?

brody (stöhnend): Ich weiß, dass ich mich wiederhole. Aber das ist die beste Metapher, die ich für Leben, Tod und Geburt finden konnte. Blut ist lebensspendend, weißt du? Deshalb hab ich es permanent und ohne Scham wiederholt.

Das ist trotzdem eine ziemlich extreme Auseinandersetzung mit diesem Thema.

brody: Wirklich? Das ist doch eine sehr positive Platte – es geht um Selbstmord, haha! Nein wirklich, auch wenn das klischeehaft klingt: Bei dieser Platte geht es darum, sich wie ein Phoenix aus der Asche zu erheben.

Fasziniert dich der Tod?

brody: Kann sein. Fasziniert er uns nicht alle? Wir sterben in jedem Augenblick.

Andy nutzt die Gelegenheit, die bedrohliche Ernsthaftigkeit des Gesprächs mit einer kleinen Clownerei zu untergraben. „Diesen Augenblick“, sagt er theatralisch und schnippt mit den Fingern, „werden wir nie wieder erleben.“ Brody lacht erleichtert, steht auf und holt sich Kaffee. Ihre Wortkargheit, sagt sie entschuldigend, liege nur an ihrer Müdigkeit.

Früh aufstehen mUSSte Brody Dalle seit ihrer Kindheit nur noch selten, denn sie war schon früh auf sich allein gestellt: Ihr Vater verließ 1980 die Familie, als sie noch keine zwei Jahre alt war. Sechs Jahre später warf ihre Mutter auch den Stiefvater raus, der zunehmend gewalttätig geworden war. Noch bevor sie ein Teenager war, besuchte Brody zwei katholische Mädcheninternate und flog aus beiden raus. Als ihre Mutter wieder heiratete und mit ihrem neuen Mann ein Kind zeugte, fühlte Brody sich zuhause „wie eine Fremde“, über warf sich im Alter von 13 Jahren mit ihrer Mutter und zog aus. „Ich hab dos übliche Teenager-Zeug gemacht: sich selbst verletzen, high werden, Schule schwänzen“, sagte sie 2002 dem Internetmagazin TheRocket.com. Sie schrieb Gedichte über Vergewaltigung, Finsternis und Wut und gründete bei einem Konzert der Meanies – einer Art australischen Version der Ramones – ihre erste Band Sourpuss. „Wir haben das beschlossen. .Du spielst dies‘, ‚du spielst das‘, einfach so. Und niemand wollte singen, also musste ich das machen. Es gibt natürlich Kids, die noch jünger anlangen, in Bands zu spielen. Aber ich war 13 und bin in Pubs aufgetreten. Das war nicht normal. Meine Mutter war dagegen, besonders als ich dann endgültig die Schule hingeworfen habe. Sie war überzeugt, dass Musik eine Sackgasse ist.“ Doch nach einigen Gitarrenstunden – der erste Song, den sie spielen konnte, war „Teenage Whore‘ von Hole – und vier Semestern auf der Melbourne Rock’n’Roll High School spielten Sourpuss zusammen mit Rancid auf dem Australian Somersault Festival. Am Sylvesterabend 1995 traf Brody Dalle dort auf Tim Armstrong. Zwei Jahre später folgte sie ihm nach Los Angeles. Tim half ihr dabei, den „Kulturschock zu überwinden, führte sie in die Punkszene der Westküste ein und die beiden ließen sich trauen. Da Brody die jetzt Armstrong hieß – Gitarre spielen konnte, eine Stimme hatte, die „noch einem Kieslaster mit Achsbruch“ klang, wie Brett Gurewitzvon Epitaph Records sagt, und in ihrer bleichen Erscheinung auf der Bühne das Charisma von Brendan Lee in „The Crow“ mit dem von Courtney Love vereinte, kam ihre Karriere wie von selbst ins Rollen: Das Debüt-Album der Distillers erschien 2000 auf Tim Armstrongs Label Hellcat Records. Es folgten Veränderungen im Line-Up und ein zweites und respektables Album. Ihr Meisterwerk aber schrieb Brody erst nach einer schweren privaten Krise.

Dass seine Ehe kaputt war, erfuhr Tim Armstrong aus einer Zeitschrift. Brody hatte sich Anfang 2003 nach Australien zurückgezogen, um an neuen Songs zu schreiben. Tim, der zur gleichen Zeit selbst an der neuen Rancid-Platte arbeitete, wusste nichts von der Affäre, in die sich Brody dort mit Josh Homme von Queens Of The Stone Age gestürzt hatte, bis die beiden Zunge an Zunge im Rolling Stone auftauchten. „Das Rancid-Album sollte eine politische Platte werden“, sagte er später. „Aber dann hat mich meine Frau verlassen. Das war die größte Katastrophe, die mir je passiert ist. Wir wollten alles hinwerfen. Irgendwann hab ich dann aber doch neue Songs geschrieben. Das hatte enorme therapeutische Wirkung. “ Und die emotional aufwühlende Zeit bis zur Scheidung, die half, indestructible zu einem der besten Rancid-Alben überhaupt werden zu lassen, inspirierte auch Brody Dalle: Das Songwriting zu coral fang hatte, wie sie eingesteht, ebenfalls stark katarthische Wirkung. „Es half mir irgendwie dabei, über Dinge Klarheit zu bekommen“, sagt sie vorsichtig. Eine anschließende Frage aber unterbricht sie bereits, bevor sie ganz gestellt ist: „Ich spreche nicht mehr darüber. „Den etwas peinlichen Moment der Stille, der dieser plötzlichen Generalansage folgt, überbrückt Andy mit einem unterdrückten Kichern. So schade das ist – mehr ist wohl an einem Montagvormittag von Brody Dalle nicht zu erfahren.