Swing Beat


Mlt Schwung swingt's in die Charts. Swing Beat, New Jack Swing und Rap Swing heißen die neuen Erfolgsformeln, mit denen blutjunge Dancefloor-Produzenten die internationalen Tanzböden erobern wollen. ME/Sounds-Mitarbeiter Michael Reinboth stellt die neuen Mix-Meister aus den USA vor.

Es war einmal eine Musik, die Herz und Hose berührte. Die Menschen nannten sie Soul und seufzten bei Märchen wie „When A Man Loves A Woman“ um die Wette. Die Wonnen hielten eine gute Weile an, und der Soul bekam eine Schar reizender Kinder.

Aber dann, nach etlichen Jahren ungetrübten Glücks, heckte eine böse Hexe den Computer aus. In Gestalt von Drum Machines, Samplern und Sequencern verpaßte er dem wärmenden Rhythm & Blues einen digitalen Kälteschock.

Doch oh Wunder: Den guten alten R&B und den Knaben aus der Hexenküche verband schon bald eine innige Freundschaft. Der Zauber moderner Technologie ließ aus dieser Bande gar eine echte Liebesbeziehung werden. Und weil die Liebenden nicht gestorben sind, leben sie auch noch heut. Unter anderem Namen freilich. Anno 1989 tritt das Pärchen unter dem Pseudonym Swing Beat auf.

Teddy Riley, der Vorsitzende dieses Klang-Kombinats, erklärt kurz und knapp, worum es geht: „Ich verpasse dem Soul einen Schuß Straßenkultur. R&B-Songs kriegen ein paar frische Hip Hop-Beats ab. Das läßt sie swingen.“

Im zarten Alter von 11 Jahren haute Riley in New Yorker Nachtcjubs für seine erste Band, Total Climax, in die Tasten. Heute, mit 21, ist Riley in Amerika ein begehrter, wenn auch nicht gerade billiger Produzent. Dennoch ist er unterm Strich einer der preiswertesten: Die Technik macht’s möglich.

„I Want Her“ von Keith Sweat war seine erste erfolgreiche Swing Beat Produktion, gefolgt von Johnny Kemps Mega-Hit Just Got Paid“. Riley perfektionierte die Kombination aus trockenen, computergesteuerten Rhythmen und traditionellen, souligen Songs. Zunächst bei AI B. Sure, später als Autodidakt mit den Brüdern Aaron und Damien Hall unter dem Bandnamen Guy. Jeder Song wurde nach dem gleichen Muster wie „Groove Me“ gestrickt: elastische Beats für die Beine – und fürs Herz etwas Honig in der Melodie. Das Resultat nannten die Macher „Swing“, „New Jack Swing“ und zu guter Letzt „Swing Beat“.

Der echte Soul-Fan mag sich zu Recht fragen, wo denn im sogenannten Killer Beat R&B-Roots stecken sollen. Aber für die meisten Amerikaner gehört eben alles, was mehr Seele hat als Rambo, schon zum Soul.

So auch das „Million Dollar Baby“ Bobby Brown. Nach fünfeinhalb Millionen verkauften LPs sehen viele in diesem Gentleman schon den neuen „King Of Soul“ – und gleichzeitig den „King Of New Jack Swing“. Bereits jetzt wird Brown als Mega-Star der 90er gehandelt.

Wer die Credits auf den erfolgreichsten Mainstream Soul- und Funk-LPs aufmerksam liest, trifft unweigerlich auf Teddy Riley sowie auf seinen Manager und Studio-Mitstreiter Gene Griffin. Auch Braves Erfolg geht zu einem beträchtlichen Teil aufs Konto der G. R. Productions (Griffin/Riley). Die Jacksons, Jilly Ocean, Stephanie Mills und Deja setzten ebenfalls auf die beiden Erfolgsgaranten. Mit dem Ergebnis, daß auch ihre Platten zu einem Vehikel für den Erfolg des Swing-Beats wurden.

Sein Gütesiegel „Jack Swing drückte Riley auch einer ganzen Latte von Rap- und Remix-Produktionen auf. Das ging schon vor drei Jahren los, und zwar mit der New School-Kultnummer „Rap’s New Generation“ von Classical Two. Heavy D. & The Boyz beglückten die entzückten Konsumenten mit „Living Large“. Weitere Sound Süppchen rührte Riley für Heavy D, Redhead Kingpin, Kool Moe Dee und Wrecks-N-Effect. So ganz nebenbei remixte er auch noch Blondie, Boy George und Soul II Souls „Keep On Moving“. Alle reißen sich um das Wunderkind. Und Trendsetter Teddy orakelt bereits:

„Es sieht ganz so aus, als würde sich auch mein Wunschtraum, Michael Jackson zu produzieren, schon bald erfüllen.“

Für diese ehrenvolle Aufgabe sind allerdings noch zwei weitere Swing Beat-Produzenten im Gespräch. Das Team „LA & Babyface“ von der Westküste hat zwar keinen street-maßigen Hip Hop-Background, sondern produziert glatter und geschmierter, hat aber reichlich Top Ten-Singles vorzuweisen. Von einem, der Babyface heißt, auf rosig polierte Sounds zu schließen, ist also nicht so falsch.

Angefangen hat das Milchgesicht unter seinem bürgerlichen Namen. Kenny Edwards war Gitarrist. Songwriter, Keyboarder und Sänger bei The Deele und belieferte nebenbei Midnight Star und The Whispers, seine Kollegen auf dem Solar-Label, mit zündenden Songs. Mit Produktionen für New Edition profilierte er sich weiter. Nachdem Bobby Brown die Teen-Truppe New Edition verlassen hatte, bot es sich an, weiterhin mit Babyface und seinem Partner Antonio L.A. Reid die sichere Schiene zu fahren. Fünfeinhalb Millionen verkaufte LPs von DONT BE CRUEL sprechen da für sich.

Auf Erfolg abonniert, schnitten LA. & Babyface Swing Beat-Produktionen auch auf die Jacksons, Paula Abdul, Diana Ross, auf Pebbles, The Boys, Sheena Easton. After 7 und Karyn White zu. Spätestens angesicht dieser Klientel dürfte klar sein, daß Jew Jack mit Soul soviel zu tun hat wie Aretha Franklin mit Rap. Swing Beat, als Terminus für zeitgemäße, Dancefloor-orientierte Soulmusik, wurde nichtsdestotrotz in den USA mit offenen Armen aufgenommen.

Wenn sich der Swing Beat als Plastic-Pop oder synthetischer Soul offenbart, dann ist Karyn White nicht weit. Das Cover Girl hatte bei L.A. und Babyface sofort einen Stein im Brett. Sie schrieben und produzierten sechs Songs für Schnuckelchens Debütalbum – Platin! Derweil begeistert Karyn die Konzertbesucher mehr mit weiblichen Vorzügen denn mit Stimme.

Auf den Swing Beat-Zug sind allerdings auch Zeitgenossen aufgesprungen, deren vokale Qualitäten unumstritten sind. Sangeskünstler wie Al Green, Barry White und David Peaston hängen als Tender an der Trend-Lokomotive. Remixes sollen ihnen den Weg in die Charts ebnen. Zumindest was das kommerzielle Potential anbetrifft, hat die Synthese aus Soul und Hip Hop ihre Zukunft noch vor sich.