The Dark Side of Pink Floyd


Früher war von Entfremdung und Ego-Problemen nur in ihren Songs die Rede. Kriselte es bei ihnen selbst, gingen sie sich einfach mal für ein paar Jahre aus dem Weg. Doch heute fliegen bei Floyd offen die Fetzen. Über die Zukunft der Gruppe sollen nun die Gerichte entscheiden. ME/Sounds besuchte Pink Floyd bei den Proben in Kanada und ließ den abtrünnigen Roger Waters in London zu Wort kommen.

Pink Floyd ist toll“, behauptet Roger Waters, der Ende ’85 nach 20 Jahren die Nase voll hatte und — nach mir die Sintflut! — mit seinem Ausstieg der Gruppe den Todesstoß versetzen wollte.

„Das ist ,bullshit‘, Roger verhält sich einfach kindisch,“ verkündet dagegen Gitarrist David Gilmour als Anführer der „lebenden Leiche“ Pink Floyd. Und er stellt den abtrünnigen Chefdenker der Band jetzt erst einmal vor vollendete Tatsachen. Mit A Momentary Lapse Of Reason ist eine neue Floyd-LP im alten Sound erschienen, die das Rumpf-Trio Gilmour/Mason/Wright derzeit auf einer Welttournee auch livehaftig präsentiert.

Daß Roger Waters sogar die Gerichte eingeschaltet hat, um Gilmour & Co. an der — wie er es sieht — unberechtigten Nutzung des Markenzeichens Pink Floyd zu hindern, stört David Gilmour nicht: „Wenn Roger versuchen will, uns zu stoppen, dann kann er das ruhig tun. Ich gebe ihm keine Chance!“ Die Zeit scheint dabei für die Gruppe zu arbeiten, denn die juristische Klärung des Fights um Floyd wird voraussichtlich erst Ende nächsten Jahres entschieden sein. Zu spät, um den zu erwartenden Geldregen der laufenden Tour zu stoppen!

Der Streit, den Roger Waters und Pink Floyd in diesem Jahr öffentlich austragen, hat hinter den Kulissen schon länger geschwelt. Wäre es nach Waters gegangen, hätte die Musikwelt womöglich auf Pink Floyds legendäres Multi-Media-Projekt The Wall verzichten müssen. “ Wir haben Pink Floyd wahrscheinlich länger durchgezogen, als wir es hätten tun sollen — wegen der Bequemlichkeit des Markennamens, des Geldes und des Erfolgs,“ meinte der ehemalige Floyd-Boß kürzlich in einem amerikanischen Magazin.

„Roger machte ständig Druck, daß wir uns auflösen sollten, solange wir das noch würdevoll tun könnten,“ erzählt sein heutiger Widersacher David Gilmour. „Ich hielt damals dagegen, daß es mir weiterhin Spaß mache: .Ich habe 20 Jahre damit zugebracht und sehe keinen Grund, jetzt damit aufzuhören. Mit 41 bin ich noch nicht dazu bereit, mich zur Ruhe zu setzen!'“

Die Schuld für die schleichende Entzweiung schiebt Gilmour — wie sollte es anders sein unter Streithähnen — seinem ehemaligen Kreativkomplizen zu. „Roger störte vor allem, daß es nicht immer exakt nach seinem Willen ging. Bei den Aufnahmen zu The Final Cut beispielsweise kam er wieder mit Songs an, die wir schon bei The Wall abgelehnt hatten,“ klagt Gilmour, der sich von Waters zusehends in die Rolle eines unmündigen Session-Gitarristen zurückgedrängt sah.

„Die Sache ist simpel,“ fährt Gilmour fort. “ Wir sind eine Gruppe, die Popmusik macht. Und wenn Roger gehen will, ist das okay. Da das freiwillig geschah, kann er uns jetzt nicht mehr erzählen, was wir tun oder lassen sollen!“

Den Einwand, daß Roger Waters nun mal Kopf und Haupt-Songschreiber der Band gewesen sei, läßt David Gilmour nicht gelten. „Roger wollte der dominierende Songschreiber sein, und er hat mehr Sachen als die anderen geschrieben — aber ich glaube nicht, daß er unbedingt die besten Sachen geschrieben hat. Einige der Stücke, zu denen ich die Musik geliefert habe, gefallen mir und vielen anderen Leuten am besten,“ tut Gilmour selbstbewußt kund. „Roger hat noch nie allein ein Pink-Floyd-Album aufgenommen; und ich habe auch absolut keinen Grund anzunehmen, daß er das könnte. Wahrscheinlich bin ich dazu einfach besser qualifiziert als Roger!“

Tatsache ist, daß sich auch die „kopflose“ ’87er-Version von Pink Floyd behaupten kann. So liefert sich

das neue Floyd-Albuni derzeit an der deutschen Chart-Spitze einen Zweikampf mit Michael Jackson; und in den US-Charts erreichte es gleich beim Einstieg eine höhere Position, als sie Waters‘ jüngstes Solowerk Radio K.A.O.S. je schaffte, was diesen nicht kratzt: „Solche Sachen nach Verkaufszahlen zu beurteilen, ist völliger Blödsinn. „

Gute Nachrichten gibt es bei Pink Floyd ebenso von der Live-Front. Bei der Tournee-Eröffnung in Kanada zeigten sich David Gilmour. Nick Mason und Richard Wright zusammen mit sieben Begleitmusikern in bester Floyd-Form. Die Show, die für Mai ’88 auch in deutschen Landen angekündigt ist, enthält sowohl alle Songs der neuen LP als auch sämtliche Pflicht-Hits.

Klar, daß die Pioniere in Sachen Psychedelic-Spektakel dabei wieder Aufsehenerregendes ausgeheckt haben — von der riesigen verspiegelten Spezialbühne bis zum Quadro-Sound, der die Floyd’schen Sounds von Hallenwand zu Hallenwand fegen läßt. Auch mit Laser-Effekten ist

man nicht kleinlich: und wenn der neue Leadsänger David Gilmour über die „Dogs of War“ lamentiert, dann hecheln dieselben gleichzeitig durch eine Filmeinspielung.

So umfangreich ist das Show-Arsenal der Band, daß sie sich für die Proben im kanadischen Toronto gleich eine komplette Flugzeughalle mietete. Rund 100.000 Mark sollen sie dafür als Monatsmiete hingeblättert haben. (Was sich jedoch bezahlt machte: Da sich der Hangar auf unter Zollverschluß stehendem Flughafengelände befand, konnten die gewieften Profis die hohen Einfuhrzölle fürs Equipment umgehen.) Berittene Polizeipatrouillen und private Security-Firmen riegelten die Tourneetruppe hermetisch ab — Roger Waters, der sich schon bei der Animals-Tour bitterlich über die Entfremdung zwischen Perfomern und Publikum beschwerte, hätte hier das kalte Grausen gepackt.

Besagtes Animalisches Tourneetrauma fand seine Fortsetzung bekanntlich in den Wall-Shows, in denen Waters seine Lebensgeschichte in ein symbolbefrachtetes Horrorkabinett verwandelte. Ein Alptraum über die Isolation des Individuums in der modernen Gesellschaft, über seine Einmauerung durch Paranoia und Neurosen.

Diese Mammuttournee verdeutlichte die größte Ironie im Dasein von Pink Floyd, der Kultband mit dem Massenpublikum: Während Waters die Zuhörer durch seinen Leidensdruck aufzurütteln versuchte, reagierten die wie auf dem Fußballplatz. Gegröhlte Schlachtrufe als Antwort auf die Auseinandersetzung mit faschistoiden Massenpsychosen. „All in all, you’rejust another brich in the wall.. .“

Der Zwiespalt war dann begründet, daß das kritisch gemeinte Showkonzept durch seine gigantomanische Umsetzung ins Gegenteil umgekehrt wurde. Bei Konzeptkünstler Roger Waters führte dies zu großen Zweifeln am Sinn von Stadienkonzerten, David Gilmour dagegen ging an diese Shows „nur“ als Musiker heran. Ihn störte nicht so sehr die verpuffte Message („Ich glaube, daß die Lärmmacher in der Minderheil sind!“), sondern der Mangel an musikalischen Freiheiten in der theatralischen Produktion von The Wall: „Du mußtest ständig auf irgendwelche Signale aus Lautsprechern oder Kopfhörern achten, wodurch wenig Raum für Improvisation blieb.“

Vollblutmusiker Gilmour ist nicht der Mann für konzeptionelle Fragen; auf dem aktuellen Album fehlt ein durchgehendes Thema ebenso wie bei der laufenden Tournee. An der pessimistischen Grundstimmung von Floyd hat sich unter seiner Federführung allerdings nur wenig geändert: „Ich habe versucht, die Musik eher erbaulich — ‚uplifting‘ — anzulegen; dann kannst du in den Texten so viel jammern, wie du willst.“ Ansonsten erfährt man von Gilmour, dem nach eigenem Bekunden in Sachen Songschreiben ein wenig die Erfahrung fehlt, nicht viel zu seinen Floyd-Versen. Jeder solle sich halt selbst seinen Reim drauf machen.

Was hält David Gilmour heute, nach zwei Jahrzehnten, noch bei der Stange? Finanziell hat er die Plackerei wohl nicht mehr nötig…

„Nein, das nicht. Aber dieses Tourneeprojekt zusammenzustellen, hat jetzt schon mehr Geld gekostet, als ich insgesamt besitze“, antwortet er. “ Wenn ich so etwas solo, ohne Pink Floyd, riskieren wollte, könnte ich keine Shows dieser Größenordnung durchziehen. Deshalb benutzen wir weiterhin das Vehikel Pink Floyd. Ich könnte es mir natürlich leisten, mich zur Ruhe zu setzen. Aber was würde ich dann tun? Wenn ich mich jetzt zurückziehen würde, hätte ich nicht mehr die finanzielle Rückendeckung, das zu machen, was mir künstlerisch vorschwebt. “ Gilmours Fazit: „Nachdem ich eine Menge Erfolge hinter mich gebracht habe, weiß ich, daß ich das Musikmachen wirklich mag!“

22 Jahre im Musikbusiness — 22 Jahre im Kreuzfeuer der Kritik. Wie sehr fühlen sich Dinosaurier-Bands wie Pink Floyd noch von den handelsüblichen Anferkelungen getroffen?

„Du mußt ein ziemlich dickes Fell entwickeln. Worüber ich jedoch nur lachen kann, das sind diejenigen, die sagen, daß wir aufhören und die Bühne für aufstrebende Talente freimachen sollten. Was für ein Unsinn! Es gibt für beide Arten Platz, wir stehen niemandem im Weg.

Wir haben kein göttliches Recht, hier zu sein. Daß wir noch dabei sind, liegt daran, daß wir gute Musik machen, und daß die Leute uns noch hören wollen. „

Dem müssen sich jetzt nur noch die von Roger Waters eingeschalteten Gerichte anschließen.