The Jesus & Mary Chain


Gerüchte von scharfen Polizeikontrollen und schweren Absperrungen rund um die Bühne eilten dem Konzert der UK-Skandal-Band Nr. 1 in Windeseile voraus. Glaubt man der englischen Presse, so sind Saalschlachten und demoliertes PA bei jedem Jesus & Mary Chain-Konzert an der Tagesordnung. Entweder attackiert die Gruppe das „apathische“ Publikum – oder die erboste Menge stürmt die Bühne, um den nervenzerrenden Rückkopplungs-Orgien ein Ende zu machen.

In der Tat scheint Gehörschutz angemessen, wenn die vier Jungs aus Glasgow die Bühne betreten: Wer ihre Maxis kennt, fürchtet den kreischenden Sound von William Reids Gitarre. Doch wie Ted Nugent sagte: „If it’s too loud, you’re too old!“

Die erste positive Überraschung war die Abwesenheit auffälliger Ordnungskräfte. Auch fehlte der Zaun um die Bühne, doch Aufnahmegeräte und Kameras wurden sämtlichst und gnadenlos eingezogen.

Die zweite Überraschung des Abends war die völlig unbekannte Vorgruppe Captain Kirk & His Incredible Lovers, ein junges Trio aus Norddeutschland, dessen facettenreiche Gitarrenmusik kaum Vergleiche zuläßt, außer vielleicht den sehr frühen Gang Of Four oder der Newcomer-Band Big Flame. Ihr Auftritt versöhnte mit der am Kassenhäuschen angeschlagenen Ankündigung, daß The Jesus & Mary Chain maximal 35 Minuten auf der Bühne stehen würden.

Nach diesem wilden Anheizer dudelten über die Saalanlage eine gute Stunde lang die irischen Klänge der Pogues, bis dann endlich die Band erschien, die man in London für die neuen Sex Pistols hält. Die vier Schotten schleichen schüchtern, fast linkisch zu den Verstärkern und brauchen ein paar Minuten, um sich zurechtzufinden. Plötzlich beginnt Schlagzeuger Bobby Gillespie, der sich im Stile eines Galeeren-Trommlers auf zwei dumpfe Standtoms beschränkt, mit seinem stoischen Beat – das Konzert geht los. Schon die zweite Nummer ist „Just Like Honey“, jene faszinierende Kreuzung aus Velvets, Jimi Hendrix und Simon & Garfunkel.

William Reids Feedback-Gitarre blieb im Hintergrund, die Lärm-Attacke früherer Konzerte war einer ernsthaften Präsentation der LP PSYCHO CANDY gewichen.

Die Menge lauschte andächtig den erstaunlich romantischen Songs, die Sänger Jim Reid mit eindringlich hauchender Stimme vortrug. Die Gruppe bewegte sich kaum, stand nur dichtgedrängt im Zentrum der Bühne und wirkte kein bißchen skandalös. Der Anteil von white noise in der Musik von J&MC ist zwar groß, doch sind sie in dieser Form lange nicht so ungenießbar, wie man glauben konnte. Die Band hat Melodie, Image und Inspiration. Ihr Höhepunkt ist noch nicht erreicht.