The Libertines – The Libertines


Es gibt eine sehr einfache musikfaschistische Theorie, die der Autor entwickelt hat: Wer die Libertines nicht für die großartigste Band der Welt, wer ihr zweites Album The Libertines nicht für das großartigste Album des lahres 2004 hält, hat keine Ahnung von Musik. Und wer den Wahrheitsgehalt dieser musikfaschischtischen Theorie bestreitet, hat überhaupt keine Ahnung von Musik. Dabei machen es die Libertines ihren Hörern so verdammt leicht; selbst solchen, die keine Ahnung von Musik, oder die den „Gitarrenrock“ nicht unbedingt ganz oben auf ihrem Prioritätenzettel stehen haben. In diesen brüchigen, flüchtigen Kompositionen, diesen stolpernden, diesen wackelnden, diesen – verdammt nochmal – einzigartigen Songs wohnt der Geist der Popmusik. The Libertines tragen die wunderbare Tradition großer britischer Pop-Bands – von The Kinks über The Clash – ins Hier und Jetzt.

Das große Drama, die Seifenoper zwischen Carl Barät und Pete Doherty- niemand, der diese Band liebt, will mehr etwas davon hören – das Rein und Raus, das Hin und Her, die Drogen, die Festnahmen, die Freundschaft, die Feindschaft, die Liebe, der Hass waren die Grundvoraussetzungen, unter denen diese Kunst nur entstehen konnte. Nicht nur weil das Album THE LIBERTINES in Songs wie „Can’t Stand Me Now“, „What Became Of The Likely Lads“, „Road To Ruin“ und „The Man Who Would Be King“ genau diese Spannungen reflektiert – Carl Barät singt in „The Man Who Would Be King“: „Well I hate the way you say … /But my heart has gone astray /With all these friendships slipped away /But there’s a death, this musta be that way.“ Und Pete Doherty antwortet: „I lived my dreams today/l lived it yesterday / And I’ll be living yours tomorrow/ Amything else to say?“ Und wenn du dann keine Gänsehaut bekommst, solltest du zum Arzt gehen. Aus Beamtentum, früh ins Bett gehen und Mineralwasser trinken kann kein Rock’n’Roll entstehen, sondern aus Trauer und Wut und Schmerz und Verzweiflung. Der Rock’n’Roll kennt keine strahlenden Helden.

In einem wachen Augenblick hat sich Pete Doherty im Frühjahr 2004 zusammengerissen – eine ganze Woche lang – und ein zweites Album mit den Libertines hingerotzt, ein Album, das nach einiger Zeit genauso hell, aber anders strahlte als UP THE BRACKET. War das Debüt noch Ausdruck jugendlichen Sturm und Drangs, der sich mit einer schier unglaublichen Intensität entladen hatte, ist THE LIBERTINES das Dokument des Verfalls, des großartigen Scheiterns einer Band, die nur scheitern kann, wenn sie als großartig in Erinnerung bleiben will. Die Songs haben keinen Anfang und kein Ende, sie kommen aus dem Nichts und lösen sich in Luft auf. Da ist immer irgendwo ein Scheppern, ein Feedback, ein Geräusch, das da scheinbar nicht hingehört. Carl Barät „verspielt“ sich auf diesem Album mehr als einmal. Wer das beklagt, hat nichts verstanden. Es geht um diesen einen kurzen Moment im Leben einer Band, in dem sie noch neu und frisch und aufregend sein kann.

Im November hat Barät seinem Freund Doherty ein Ultimatum gesetzt. Wenn Doherty bis Ende 2004 nicht clean ist, wird Barät die Libertines auflösen. Was einerseits schade ist, andererseits auch nicht. Eine Band, die sich nach zwei großartigen Alben auflöst, ist besser als eine, die irgendwann zu den Rolling Stones wird. Bis dahin gilt: Wer die Libertines nicht für die großartigste Band der Welt, wer ihr zweites Album nicht für das großartigste Album des Jahres 2004 hält, hat keine Ahnung von Musik.