Vor 30 Jahren

The Smiths: Wie die wichtigste Band der 80er zerbrach


Vor 30 Jahren spielten The Smiths ihr letztes offizielles Konzert – was zu diesem Zeitpunkt noch niemand wusste. Die endgültige Demontage der Band, die die Indie-Szene der 80er-Jahre wie kaum eine andere Band prägte, kam erst Monate später. Szenen einer Trennung.

Das Banddasein am äußeren Rande des Mainstream klingt vielleicht nach einem süßen Leben. Ohne Manager hat es aber jede Gruppe schwer, zu bestehen. Johnny Marr formuliert seinen Frust einmal so: „Ich habe noch nie jemanden getroffen, der denkt, dass der 23-jährige Gitarrist einer nicht gerade kleinen Band gleichzeitig der Manager dieser Band sein sollte.“

Morrissey 2016 live in Berlin
Morrissey 2016 live in Berlin

Nach nur fünf Jahren und vier Studioalben löst sich die Band auf. Erfolglos war sie nicht: Trotz mittelmäßiger Promotion landet das Debüt THE SMITHS (1983) auf Platz zwei der Charts. Das im Februar 1984 veröffentlichte zweite Album MEAT IS MURDER steht sogar an der Spitze, allerdings entwickelt sich im Anschluss zwischen Rough Trade und der Band ein für alle Seiten ermüdender Rechtsstreit, der die Veröffentlichung der dritten, fertig aufgenommenen Platte THE QUEEN IS DEAD (1986) um sieben Monate verzögert.

Danach lassen The Smiths alle Major-Labels wettbieten, um einen neuen Vertrag auszuhandeln. Das Bandgefüge weist zu dem Zeitpunkt bereits erste Risse auf. Zwar liest Englands Jugend plötzlich Oscar Wilde und lässt Blumen aus ihren Arschtaschen hängen wie das große Vorbild Morrissey. Die unbeschwerte Leichtigkeit des Außenseiter-Auftritts bei „Top Of The Pops“ hatten die Smiths jedoch verloren. „Wir kamen Anfang 1986 von einer langen USA-Tour zurück nach England. Wir waren top eingespielt“, so Schlagzeuger Mike Joyce. „Mit Craig Gannon als zweiten Gitarristen hatte Johnny noch mehr Freiheit beim Spielen. Es fühlte sich nach richtigen Shows an, weil wir Songs von drei Alben zur Auswahl hatten.“

Johnny Marr (l.) und Morrissey (r.) im Jahr 1983.
Johnny Marr (l.) und Morrissey (r.) im Jahr 1983.

„An dem Punkt waren wir ausgelaugt“, sagt Marr. „Wenn wir nicht auf Tour waren, sind wir ins Studio, und wenn wir nicht im Studio waren, spielten wir irgendwo live im Fernsehen. So ging das nonstop.“ Während Rourke vorübergehend aus der Band geschmissen wird, kämpft Marr zudem mit einem massiven Alkoholproblem.

Am 12. Dezember 1986 spielt die Band ihr letztes Konzert in der „Brixton Academy“ in London. Niemand ahnt das an dem Abend. Es ist ein rauschendes, muskulöses, routiniertes Konzert. 74 Minuten Erinnerung an das, was diese Band dem Britannien der 80er gegeben hat: vielleicht keinen Ausweg aus dem Grau, aber zumindest eine Alternative. Die neue Single „Shoplifters Of The World Unite“ wird im Januar 1987 veröffentlicht. Als das vierte Album STRANGEWAYYS HERE WE COME im September erscheint, hat sich die Band längst getrennt. Es ist Johnny Marr, der es nicht mehr aushält. Kurz nach dem abgesagten Videodreh verlässt er die Band recht unvermittelt. Er brauche eine Pause, sagt er. Bei den restlichen Bandmitgliedern kommt das nicht gut an.

Das Konzert am 12. Dezember 1986 ist so etwas wie der ungekrönte Abschied von ihren treuen Fans

Marr und Morrissey, diese genialen Songschreiber-Partner, sind sich plötzlich nicht mehr grün. Der Sänger ärgert sich über die Zeit, die der Gitarrist in andere Projekte investiert. Der wiederum versteht Morrisseys Unlust am Experimentieren nicht. Schlussendlich bestellt Marr, der müde ist vom Songschreiben, Albumproduzieren, und Managen der Band, die Band in ein Fish-und-Chip-Restaurant in Notting Hill. Bei dem Treffen beschließen die vier, sich für immer zu trennen. Bis heute haben sie alle Angebote für eine Wiedervereinigung abgelehnt.

Am 17. Dezember 1986, fünf Tage nach dem Gig in der „Brixton Academy“, wird eine am 2. Dezember vor ausgewähltem Publikum aufgenommene „Peel Session“ ausgestrahlt. Am 10. April 1987 hat die Band noch einen Kurzauftritt in der Sendung „The Tube“, anschließend spielt sie nie wieder live zusammen. Das Konzert am 12. Dezember 1986 ist so etwas wie der ungekrönte Abschied von ihren treuen Fans. Der unverhoffte Fall des Vorhangs. Das Drama, ohne das ihre Songtexte nicht auskamen, würde sich kurz danach über die ganze Band legen. Das letzte Lied übrigens, das die Smiths an jenem Dezemberabend in der „Brixton Academy“ in London anstimmen, ist „Hand In Glove“. An diesem Abend passt der Handschuh noch einmal perfekt.

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Diese Geschichte erschien erstmals im Musikexpress 12/2016.

Andreas Meixensperger
Clare Muller Redferns