The Who – Der letzte Versuch?


Raufen sie sich wirklich noch einmal zusammen? Im Jahr ihres 25jährigen Jubiläums soll das Kriegsbeil begraben werden. Behaupten jedenfalls Roger Daltrey und John Entwistle, mit denen Hanspeter Künzler in London sprach. Die sechsjährige Trennung sei in Wirklichkeit "ja nur eine verlängerte Arbeitspause" gewesen...

Die Arbeitspause begann Weihnachten 1982. Damals ging eine weitere Who-Tour mit einer Show in Toronto zu Ende. Filmisches Beweismaterial deutete an. daß eine solche dringlichst nötig war: Lustlos und ohne Dynamik wirkten an jenem Abend die Evergreens, fad und banal die neuen Songs. Nach einem der letzteren, „It’s Hard“ genannt, griff Pete Townshend zum Mikrophon: „In Wirklichkeit ist es überhaupt nicht schwierig“, brummte er hinein, „nicht wirklich schwierig. Die wirkliche Schwierigkeit besteht darin, es dir selber noch schwerer zu machen. „Und nach einer kurzen Pause, während der im Publikum vereinzelte Bravorufe laut wurden: „Ihr versteht doch überhaupt nicht, was ich meine!“

Es war augenscheinlich, daß die Kommunikation zwischen Fans und Band nicht mehr klappte. Doch allein Townshend schien daraus den Schluß zu ziehen, das Ende der Who sei gekommen. Erinnert sich Roger Daltrey: „Pete mir damals der Meinung, die Band habe nichts mehr zu sagen. Klar, daß wir anderen nicht seiner Meinung waren. Er selber sieht das heute auch nicht mehr so.

Damals aber ließ uns sein Entschluß keine Wahl: Ohne Pete gab es keine Who. Ich fand das sehr schade. Denn ich bin der Überzeugung, daß wir damals die Chance zu einem echten Neuanfang gehabt hatten. Am allerwenigsten brauchten wir damals eine weitere LP voll von Townshend-Songs. Wir waren an einem Punkt angelangt, wo wir die Möglichkeit gehabt hätten, das erste Gruppen-Album seit … seit LIVE AT LEEDS zu machen.

Andererseits halten wir auch Verständnis für Pete, nach allem was er im Jahr zuvor durchgemacht halle. Er war ja buchstäblich von den Toten zurückgekehrt.“

Townshend schwenkte seine Aufmerksamkeit von der Rock- auf die Bücherwelt. Er angelte sich einen Lektorenjob beim renommierten Faber & Faber-Verlag, veröffentlichte einen Band von halb-autobiographischen Kurzgeschichten und arbeitete am ebenfalls halb-autobiographischen Film „White City“.

Sänger Daltrey konzentrierte sich auf eine Solokarriere, die zwar ein paar weitere LPs auswarf, in punkto Publikumsecho jedoch nie recht flügge wurde. Er schaute nach seiner Forellenfarm und machte TV-Werbung für eine Kreditkarte.

Bassist Entwistle bastelte an einem noch unveröffentlichten Solo-Opus herum (,.£v ist nicht leicht heutzutage mit diesen Plattenfirmen …“) und gastierte bei den Liveauftritten befreundeter Combos: „Wenn du mir sagst, du hättest morgen in dieser Kneipe einen Gig. aber keinen Bassisten, werde ich da sein. Ich Hebe es, live zu spielen.“

Drummer Kenny Jones schließlich blieb schlicht verschollen.

Ganze sechs Jahre lang musizierten The Who – von einem Kurzauftritt während Live Aid abgesehen – nicht mehr gemeinsam. Dennoch, und dem Infozettel der Plattenfirma zum Trotz, beharrt Daltrey darauf, daß er den Split nie als das endgültige Ende der Who verstanden habe: „Das war bloß eine verlängerte Arbeitspause ohne vorausbestimmtes Ende.“

Jene „gewöhnlich gut unterrichteten Kreise“ allerdings sahen die Sache etwas anders: Schon während der 82er Tour habe man sich kaum mehr gegrüßt, und nach Live Aid sei es geradezu handgreiflich geworden.

Darauf ist Daltrey offenbar schon mehrfach angesprochen worden. Verächtlich rutscht ein Mundwinkel zur Seite und fallen Worte wie „Gossenpresse“ und „Lüge“ auf den Tisch. Die werden von John noch unterstrichen:., Wir hatten damals absolut keine Meinungsverschiedenheiten. Alles ging auf extrem freundschaftliche Art und Weise vonstallen. „

„Und außerdem“, fügt Daltrey hinzu, „ist es zur Schaffung guter Rockmusik absolut nebensächlich, ob die Musiker sich Nettigkeiten ins Ohr flüstern. Unsere beste Musik entstand, als wir uns alle anbrüllten: ,Fuck you, Daltrey!! Fuck you, Townshend!‘ – das war die Attitüde, aus der unsere beste Musik entstand. Ohne diese Differenzen wären wir Milchbubis wie Hermans Hermits geworden.

Und genau deswegen, weil es in unseren Streitereien nicht um persönliche Dinge ging, sind wir zusammengeblieben, hat unsere Freundschaft überlebt. Es ist kein Bullshit, wenn ich dir sage, daß mir die restlichen Bandmitglieder noch immer sehr, sehr nahe stehen. Du wirst lange suchen müssen, bis du eine zweite Band findest, die nach 25 Jahren noch so gut miteinander auskommt wie wir.“

In der Tat sind nun genau 25 Jahre verstrichen, seit The Who ihre ersten gemeinsamen Schritte wagten. Für ihre Plattenfirma ist das Jubiläum natürlich Grund genug, einmal mehr die Bürgerschreck-Oden der Who unter einem schwächlichen Wortspiel-Titel (WHO’S BETTER, WHO’S BEST) neu zu veröffentlichen. Grund genug auch für die britische Musikindustrie, der Band einen Preis für „allgemeine Verdienste“ zu verehren, wofür diese sich mit dem ersten Live-TV-Ständchen seit Live Aid revanchierte.

Der weitere Verlauf des Jubeljahres soll allerdings nicht bloß einen Blick in den Rückspiegel beinhalten. Schwärmt Roger: „Ewas unternehmen werden wir ganz bestimmt, doch wir sind uns über die genaue Form noch nicht im klaren. Hoffentlich wird eine neue LP entstehen, hoffentlich auch werden wir einige Konzerte geben. Auf jeden Fall muß es eine Herausforderung sein, nicht einfach eine Wiederholung dessen, was wir schon mal machten.“

Die Tatsache, daß neue Wege scheinbar erst noch gefunden werden müssen, solle keinesfalls als Indiz dafür verstanden werden, daß die Lust nach Neuem doch nicht so dringlich brenne, protestiert Roger.

„Über die Musik brauchen wir gar nicht erst zu reden; die wird automatisch aus der Spannung entstehen, wenn wir im Studio sind. Worüber wir diskutieren müssen, sind die Startbedingungen. Wir wollen nicht die Fehler von 1982 wiederholen. Nicht der Plattenfirma zu früh etwas versprechen und dann unter Druck geraten, weil Erwartungen erfüllt werden müssen.“

Warum dann aber diese neue Schaffensphase mit einer Evergreen-Sammlung einleiten und noch immer mit „My Generation“ zum Tanz aufspielen?

„Es gibt da draußen zwei ganze Generationen von Schallplattenkäufern, die nicht mal mehr den Namen The Who kennen! Ich bin stolz auf unsere Vergangenheit. My Generation‘ ist genau deswegen ein so guter Song, weil erßr jede Generalion neue Gültigkeit hat, weil er nie außer Mode geraten kann. Ich steh noch heute hinter jedem Wort darin. Ja – mehr noch als je zuvor! Mehr noch! Denn alt sein hat nichts mit Jahren zu tun. Wenn ich darin singe, ich wolle sterben, bevor ich alt werde, ist ein Geisteszustand gemeint. Alt sein ist, wenn du aufgehört hast, neue Erfahrungen sammeln zu wollen. „

Allerdings wird sich Roger wohl noch etwas gedulden müssen, bis die Erfahrung einer neuen Who-LP Tatsache wird: Bevor er sich auf andere Projekte einläßt, will Pete Townshend auf jeden Fall noch sein neues Musical fertigstellen.