Tindersticks


MITTERNACHT IST LANGE VORBEI. NOCH eine Zugabe, noch einmal Hingabe. Stuart Staples singt von „christmas tree lights in far away windows“, dann entläßt er sein Publikum in den unterdessen hereingeschneiten Winter: Die Tindersticks in München – so schön wie eine weiße Winternacht. Die sechs Herren aus Nottingham verstehen es, ihre Pop-Dramen zu inszenieren. Sie stellen sich nicht auf eine gewöhnliche Bühne im Münchner Konzerthallendorado „Kunstpark Ost“, sondern fahren ihre Elegien in der gediegeneren Atmosphäre der „Reithalle“ auf. Getragene Kompositionen in alten Gemäuern und ein Stuart Staples, der aussieht, als hätte er mehrere Nächte nicht geschlafen, und entrückt in eine Klangwelt aus klagenden Streichern und ergreifend grummelnden Orgeln – vom Publikum gar keine Notiz zu nehmen scheint. Lichtkegel verwandeln die Band in einen dramatischen Scherenschnitt, Staples schwelgt in einem Rausch aus Melancholie und Melodie. Sie selbst nennen es „The sunny side of sadness“, ihre Kunst, von der betrüblicheren Seite des Daseins zu kommen, und doch dem Schmerz Genuß, der Einsamkeit Kraft und der Dunkelheit Hoffnung abzugewinnen. Stuart Staples zieht die Zuhörer in seinen Bann. Verzweifelt ans Mikrophon geklammert, die linke Hand zuerst noch elegant nach unten baumeln lassend, streicht er sich gleich darauf mit ihr leicht affektiert durchs Haar. Und dann diese Art, eine Zigarette zu rauchen. Sie läßt Humphrey Bogart wie einen Grobschlacht wirken und weckt sogar in Nichtrauchern das Bedürfnis, es Staples gleichzutun. Am Ende steht man dann mit leergeschnorrter Schachtel da, aber was tut das zur Sache? Außerdem sind Schnorrer nicht annähernd so verachtenswert wie jene Leute, die auf Konzerten anhaltend angeregte Konversation betreiben. Letztere sind diesmal glücklicherweise in der Minderzahl und spätestens bei der vermeintlich – letzten Zugabe schon wieder draußen im Schneetreiben. Warum Sterne aussehen wie Christbaumlichter hinter fernen Fenstern, das erfahren somit nur die wahren, unersättlichen Genießer, die die Tindersticks trotz halb abgebauten Equipments noch mal auf die Bühne klatschen.