Tori Amos


ALS FRAU AMOS ENDLICH EINMAL ALLEINE AM Flügel sitzt, steigt die Erwartung wieder: Jetzt könnte sie viel von dem wettmachen, was die letzte Dreiviertelstunde an Schatten auf ihr Gastspiel in der Münchner Philharmonie geworfen hat. Vom Sound her betrachtet, war die Feenkönigin zum Elefanten im Porzellanladen geworden – was leider nicht wenig an ihrer Begleitcombo lag. Eigentlich hatten wir uns ja gefreut, daß Tori jetzt plugged kommt. Daß sie verhindert hat, daß aus dem Strickmuster ihrer Songs-„Ich und mein Klavier, das wahre Gefühl“-eine bloße Masche wird. Auf eine Tori haben wir uns gefreut, die im Zusammenspiel mit anderen Musikern vielleicht noch mehr aufgeht, sich emotional hochschaukeln läßt. Nun aber saß sie da, eingeklemmt zwischen Synthie und Piano, im Nacken eine Band, der diese sinnliche Dame nicht Herr wurde. An den leisen Stellen waren sie und ihre Männer zu laut – an den lauten Stellen auch. Es war wie beim berühmten Rendezvous mit der Traumfrau, bei dem auf einmal nichts mehr stimmt: Die Spannung ist weg, man wird fahrig, flüchtet in den Formalismus der ureigenen Gesten. So ist es auch mit der, wie überliefert wird, normalerweise emotional so offenen Tori Arnos an diesem Abend. Das Energiebündel schnippt aufmunternd-kumpelhaft mit den Fingern in Richtung Publikum, schmeißt während des Spiels ruckartig ihre Mähne ins Genick, rüttelt am Mikro, als wolle sie ihm viel mehr abverlangen als die bloße Übermittlung ihrer Stimme. Und ja: Es macht irgendwie Eindruck, wie diese rothaarige Amazone am Rand des Klavierschemels in Richtung Publikum reitet. Aber einen richtigen Draht zu ihren Zuhörern findet Tori Arnos an diesem Abend nicht. Auch nicht, als sie endlich allein am Flügel sitzt. Da helfen selbst sie phänomenalen Songs des an musikalischer Entwicklung nicht gerade armen, aktuellen Albums „From the Choirgirl Hotel“ nicht allzu viel. Beinahe entschuldigend huscht Tori von einem Song zum nächsten. Die Atmosphäre in der noblen, bestuhlten Philharmonie stimmt einfach nicht. Daß es anders wird heute abend, wissen schon die von klassischen Konzerten in Steifheit geschulten Saalwächterinnen zu verhindern. Einsam vor der Bühne tanzende Fans werden rigide auf ihre Sitze zurückbeordert. Die Flamme eines einzelnen Feuerzeugs scheint zuviel Brandgefahr in sich zu bergen. Die Vorzüge des Konzertsaals dagegen kommen erst am Schluß zur Geltung. Dann, als der Tontechniker realisierte, daß man hier, in der Philharmonie, in einem akustisch feinstens austarierten Raum, eine Stimme plus Klavier auch ohne massive elektronische Verstärkung hören kann. Als Zugabe spielt Tori eine zauberhafte Version von „Silent All These Years“ – und just in diesem Moment stellt sich wohlige Wärme ein. Jetzt, ja jetzt legt Tori dem Publikum ihr Herz zu Füßen. Zuvor, so schien es, hatte sie ihm die kalte Schulter gezeigt.