Tote Hose in New York


Deutsch-amerikanische Freundschaft jenseits von Bush & Birne. Fünf Nächte lang zog Campino mit seinem Idol und Freund Joey Ramone durch die Absturz-Laden New Yorks - zwei Punks mit Herz für Biere. Exklusiv in ME/ Sounds: das ganz persönliche Reisetagebuch der Toten Hose

Es ist ein verregneter Nachmittag, als ich am J. F. Kennedy-Airport ankomme. Nach der üblichen Hektik am Gepäckband und bei den Zollbeamten („Vier sind Sie? Woher kommen Sie? Wann verschwinden Sie wieder?“) beginnt die Jagd nach einem Taxi. Ich bin zwar schnell erfolgreich, habe aber kein Glück mit dem Fahrer: Während er in einer Tour über alle Schwarzen. Chinesen und Kommunisten dieser Erde schimpft, gucke ich aus dem Fenster und beobachte an fast jeder Ecke die Jugendlichen, die den ganzen Tag in überdimensionalen Eisenkäfigen Basketball auf asphaltierten Plätzen spielen. An mein Ohr dringt penetrant die Stimme des Taxifahrers… Was machst du hier, Junge? Du willst ein Interview machen? Wieso machst du keins mit Yoko Ono? Die wohnt doch immer noch da, wo der Lennon erschossen wurde …“

Als das Taxi endlich vor meinem Hotel hält, darf ich miterleben, wie drei Meter neben mir ein Tourist seine Tasche entrissen bekommt. Der Dieb sprintet mit ihr Richtung Broadway. Niemand schert sich darum … Welcome to N.Y.C.

Am nächsten Morgen geht’s erstmal zum „Apple Jack“: Er wird mein morgendliches Hauptquartier.denn die besten Frühstücks-Omeletts kommen hier aus der Pfanne. Auf dem Tisch liegt eines dieser Sex & Drugs & Rock ’n‘ Roll-Bücher, diese Foto-Bände mit unzähligen Party-Bildchen von versoffenen Rock & Show-Stars aller Kategorien. Ich fange an, mich zu bilden, und schon lachen sie mir alle entgegen: Ozzy, Alice Cooper, Noddy Holder… wirklich sehr aufschlußreich, aber man kann eben nicht auf jeder Party dabeigewesen sein.

Joey jetzt schon anzurufen (12 Uhr), wäre völlig sinnlos, vor Mittag ist bestimmt nichts zu machen. Zurück in meinem Hotel starte ich um 13.24 Uhr meinen ersten Versuch … anscheinend ist er noch nicht wach. Einen Pay-TV-Film später wage ich’s nochmal: Jemand nimmt ab, aber ….. Joey schläft noch, probier’s nochmal in einer Stunde. „

Inzwischen jagt Roger Rabbit über den Bildschirm, doch so um 17 Uhr habe ich endlich einen müden Ramone in der Leitung: Mit mittelmäßigem Erfolg kann er seinen Gähnanfall bekämpfen und meine Nummer aufschreiben. Er will mich zurückrufen, denn sein Zeitplan ist noch völlig unübersichtlich. Um 20 Uhr klingelt’s: „Hier ist Joey. Laß uns was essen gehen. “ Joev ist wach – der Tag kann beginnen.

Ich treffe ihn in einem jamaikanischen Restaurant in der Carmine Street. Er sitzt an einem großen Tisch im hinteren Teil des Ladens; außer ihm sind noch eine ganze Menge anderer Leute da. Das große Händeschütteln geht los: Holly von „Holly And The Italiens“, der alte Schlagzeuger von Gang Of Four und der Tourmanager von den Ramones werden mir vorgestellt, bevor ihre Gesichter wieder hinter riesigen karibischen Drinks verschwinden.

Joey ist erst vor wenigen Tagen aus dem Krankenhaus entlassen worden. Fünfmal mußte er wegen seinem schlimmen linken Fuß eingeliefert werden, nun scheint alles überstanden und geheilt zu sein. Es war eine ärgerliche Verletzung, denn die Ramones mußten deshalb ihre Tournee unterbrechen und sowas bringt immer schlechte Stimmung. Was es damit auf sich hatte, weiß niemand genau. Böse Zungen behaupten, es handele sich um eine Infektion, hervorgerufen durch mangelnde Reinlichkeit. „Blödsinn!!!“, stellt Joey klar, „es ist passiert, als ich durch den Central Park schlenderte. Plötzlich springt ein Dackel auf mich zu und beißt mir in den Fuß. Eine Oma hat mir ins Krankenhaus geholfen …“

Inzwischen üben die Ramones wieder täglich und bereiten sich auf eine große Tournee vor, die bald in Südamerika beginnt und via Australien, Neuseeland, Frankreich und England bis Ende des Jahres dauern wird. Auch in Deutschland wird zum ersten Mal länger getourt.

Joey erzählt mir, daß Bassist Dee Dee die Band im Sommer verlassen hat. Anscheinend ist alles im gegenseitigen Einverständnis gelaufen. Dee Dee, der sich mittlerweile Dee Dee King nennt und eine mittelmäßig erfolgreiche Soloplatte rausgebracht hat, hatte keine Lust mehr auf die Band, die Band wiederum hatte keine Lust mehr auf sein Genörgel. Vom Bankangestellten bis hinauf zum Baumwollpflücker hat daraufhin jeder, der auch nur einmal einen Baß aus weniger als drei Meter Entfernung gesehen hat, bei den Ramones vorgespielt. Schließlich hat der erst 23jährige Heißsporn DJ Ramone aus Long Island, der vorher in einer Metal-Band namens Axe Attack gelärmt hat, den Job bekommen. Ein „kleines Problem“ mußte vorher aber noch gelöst werden: Just in dem Moment, als DJ erfuhr, daß er das Rennen gemacht hatte, wurde er von der Militär-Polizei verhaftet und eingebuchtet. Der inzwischen entlassene Marinesoldat hatte sich unerlaubt von der Truppe entfernt, als er zum Vorspielen nach New York gefahren war. Er soll aber noch rechtzeitig zu den Tour-Proben wieder rauskommen.

Nachdem wir noch einen weiteren Karibik-Drink erfolgreich besiegt haben, verlassen Joey und ich die traute Runde, denn es wird Zeit für das C.B.G.B., einen der letzten Tempel des Rock ’n‘ Roll. Fast jeden Abend spielen hier für je fünf Dollar fünf Bands, und sie alle hauen auf ihre Instrumente, als wäre es das letzte Mal. Vergilbte Plakate an den Wänden beweisen, daß fast jede Band der Punk-Ära seit 1976 hier gespielt hat. Hilly, der graubärtige Besitzer des C.B.’s, begrüßt uns mit einer Festrede: „So lange ich noch lebe, wird das C.D.G.B. hier stehen. Es wird geöffnet sein, und es gibt nur eines zu hören: sehr, sehr lauten Rock’n Roll!“

Da stolpert auch schon die erste Truppe auf die Bühne – Werwolf. Eine geniale Band. Jedes Stück geht mit einem Urschrei des Sängers los, und genau den Schrei baut er in der Mitte und am Ende der Stücke nochmal ein. Ich muß an den „Spinal Trap“-Film denken, und auch Joey kann sich das Lachen nicht verkneifen.

Nach dem Auftritt dann zum erstenmal das Ritual, das ich in den nächsten Tagen immer wieder erleben werde. Ein Mitglied der Band kommt schwitzend aus dem Backstage-Raum, läuft auf den Mann neben mir zu und fragt: Joey, wie hat’s dir gefallen‘.'“

Er hat für jeden etwas Ermutigendes auf Lager. In diesem Fall ein anerkennendes Kopfnicken und ein „Yes man, prettY wild!“

Das totale St.-Martin-Syndrom, Ehrenwort. Hin und wieder organisiert Joey sogar Nachwuchs-Festivals, um neuen Bands auf die Sprünge zu helfen. Und daß diese Bands ihm dankbar sind, spürt man überall.

Auf der Bühne jagt eine Band die andere. Wir nutzen die Umbaupausen, um uns gegenseitig vollzuquatschen. Wir sind uns einig: BRAJN DRAIN ist die beste Ramones-LP seit langem, sie orientiert sich ja auch an ihren frühen Platten. Er freut sich über den ersten LP-Charts-Einstieg in Deutschland, den die Ramones je hatten. Daß Dee Dee. der viele ihrer Stücke geschrieben hat, nicht mehr dabei ist, scheint ihm keine größeren Sorgen zu bereiten. Begeistert erzählt er mir von dem Video ihrer Single „Pet Semetary“, das sie auf „einem berühmten Friedhof gedreht haben. In diesem werden sie lebendig begraben und haben eine Menge Trauergäste dafür eingeladen:

Blondie. Cheetab-Chrome (Dead Boys), Richard Hell, und viele andere waren da. Sogar ihr Manager, der sich sonst nie bei ihnen blicken läßt, gab sich vor der Kamera die Ehre … Ich weiß, wieviel Uhr es ist. aber als die Sonne aufgeht, wechseln wir nochmal den Standort, um uns in irgendeiner schmierigen Spelunke an der Lower Eastside „Tribe 375“ anzusehen, die Band von Joeys Bruder.

Die Jungs ballern los, daß es mich vom Hocker haut. Sie sind wild und jung, und ich wette, ich habe in diesem Moment dieses dümmliche Grinsen im Gesicht, das ich immer kriege, wenn ich sehr, sehr glücklich bin. Rock ’n‘ Roll lebt, und ich habe es lange nicht mehr so zu spüren bekommen wie hier und jetzt, in dieser Stadt.

Ein freundlicher Kumpel von Joey, der mir ständig ein frisches Bier vorbeibringt, entpuppt sich als der Gitarrist von den Fleshtones. Er ist hauptverantwortlich für mein plötzliches Pokal-Aus in dieser Nacht – Filmriß! Es folgt eine völlige Funkstille bis zum nächsten Nachmittag um drei, als ich unangenehm aus dem Bett falle.

Die Tage in New York fliegen an mir vorbei. Joey zeigt mir alle Orte, von denen ich so viel gehört hatte: den Cat-Club, das alte und das neue Ritz, das Limelight – eine zur Disco umfunktionierte Kirche – und noch viele andere Läden. Wir treffen auch Handsome Dick Manitoba, der sich in einem ausgeleierten Sessel auf der Bowery sonnt. Dick Manitoba ist eine lebende Legende in New York. Der Mann, der über den Catch-Ring zur Musik fand, ist in körperlich bester Verfassung und gut gelaunt. Er erzählt mir alles aus seinen Zeiten bei MC 5 und bei den Dictators. deren Sänger er war. Für die Punks waren die Dictators oft zu hart-rockig, für Rock-Fans zu sehr Punk. Trotzdem haben sie Kult-Hits gelandet („Steppin‘ Ouf, „Sleepin“ With The TV On“) und waren von „74 bis ’78 eine der angesagtesten Bands in N.Y.C. Drogen und andere Probleme beendeten die Karriere der Jungs schlagartig. Aber seit längerer Zeit ist Dick wieder völlig clean und hat eine neue Band gegründet. Sie heißt „Manitoba’s Wild Kingdom“, und es kracht gehörig.

Dick zieht mit uns los, als ich mir noch einmal eine Nacht in dieser Stadt um die Ohren schlage. Irgendwo begegnet uns Mick Monroe von den Hanoi Rocks: Mi Joey, wie geht ’s, wie steht ’s, blablabla…“

Als er an uns vorübergegangen ist, dreht sich Joey lächernd zu mir und sagt: „Nice man, but I alwavs forget his name.“

Langsam kommen Zweifel in mir auf, ob Düsseldorf wirklich die beste Stadt der Welt ist. Ich bin trotzdem froh, New York verlassen zu können, bevor dieser lächerliche Anfall zu einem ernsten Problem wird. Bis bald. New York.