Track 29


Eine Kreuzung zwischen "Blue VelVet" und "Denver Clan" sahen englische Zeitungen im neuen Film von Nicolas Roeg. Mit Ehefrau Theresa Russell und Londons Jung-Star Gary Oldman drehte der umstrittene Kunst-Regisseur Roeg einen Psycho-Thrlller, der aus der Reihe fällt.

Spätabends, wenn aufsteigende Müdigkeit und verbrauchte Luft den Geist vernebeln, passiert es: Der Mensch im Kinosessel sackt kurz weg und träumt den Film, den er gerade sieht, selbständig weiter. Nach dem Hochschrecken stimmt aber prompt der Anschluß nicht mehr. Es bleibt Verwirrung.

In neuen Film des englischen Regisseurs Nicolas Roeg sackt eine Frau am hellichten Tag in kurze Träume und spinnt ihr aufgeräumtes Vorort-Leben in düsteren Visionen weiter. So wirr sie träumt, so wirr ist der Film. Dem Zuschauer vermittelt dies permanent die Illusion, gerade aus dem Halbschlaf hochzuschrecken. Wer trotzdem nach dem Anschluß sucht, ist reingefallen. Es gibt keinen. „Track 29“ ist die Spielerei eines ehemaligen Kameramannes, der sich der Kraft der Bilder bedient, um lose Erzählstränge zusammenzuhalten. Da ist Linda (Theresa Russell), die sich im amerikanischen Bilderbuch-Eigenheim mit Pool und Satelliten-Schüssel langweilt und nach einem Baby sehnt. Ihr Mann (Christotopher Lloyd) verwendet jede freie Minute auf sein Hobby: eine Spielzeugeisenbahn, die durch das obere Stockwerk wuchert. Während er zuhause von Sex nichts wissen will, läßt er sich am Arbeitsplatz als Arzt mit Lust von einer Krankenschwester (Sandra Bernhard) versohlen. Bewegung in die Provinz-Idylle bringt ein junger Engländer (Gary Oldman), dem Linda beim Diner begegnet.

Ihr Leben ist nicht so, wie sie es wünscht, Linda träumt es sich zurecht. Fetzen der Erinnerung an die Mutterschaft mit 15, ihr Mann und seine Eisenbahn rasen durcheinander. Im Mittelpunkt steht der Engländer, der in die Rolle des Kindes schlüpft, das sie nie haben durfte.

Nicolas Roeg bewies in seinem erfolgreichsten Film „Wenn die Gondeln Trauer tragen“, welchen Spaß es ihm macht, falsche Fährten auszulegen. Heute, 15 Jahre später, ist er noch rigoroser. Auf ein Publikum, das nach Lösungen sucht, nimmt er in „Track 29“ keine Rücksicht mehr.

“ Wir haben dieses große Haus, Du bist Arzt, wir sind gute Menschen – warum können wir kein Baby haben?“

fragt Linda. Würde man mit derselben Logik an „Track 29“ herangehen, müßte die Frage lauten: Die Schauspieler sind gut, das Bild ist scharf, es geht um Sex und Crime – warum kann ich mich an kaum mehr was erinnern?