Travail Non Stop


Kraftwerk: Weiße Tische, graue

Stühle, Spiegelfront. Sonst nichts. Der Schminkraum irgendwo im Bauch des Hamburger CCH wirkt, als wäre er noch nie benutzt worden. Lediglich auf einem Stuhl hat jemand etwas Silberglitter vergessen. Ralf Hütter-schwarzer Pulli, schwarze Jeans – mustert das Glitzern auf dem Stuhl. Zögert. Setzt sich drauf. Jetzt funkeln in diesem Raum nur noch seine Augen.

Bis vor wenigen Minuten trug der Vorarbeiter von Kraftwerk einen schwarzen, hautengen Ganzkörperanzug, überzogen mit einem phosphoreszierenden Drahtnetz. Schwarzlicht hatte ihn und seine drei Kollegen bis in die letzte Ecke des mit 5.000 euphorisch jubelnden Menschen gefüllten Saals Sichtbarwerden lassen. Station 29 einer 57-teiligen Tour de Monde – zwei Generationen jüngere Bands sehen in solchen Tourneephasen gewöhnlich aus. als könne nur noch Bettruhe den Zusammenbruch verhindern. Hütter, 57. sagt: „Ich denke, wir sind recht gut durchtrainiert.“

29 mal 135 Minuten Bühnenperformance liegen seit Anfang Februar hinter Kraftwerk. Konzerte in Skandinavien, Irland. England, Frankreich, Belgien, Japan; manchmal zwei an einem Abend. „Das ist nichts Besonderes“, sagt Hütter mit glasklarer, aber warmer Stimme, „wir arbeiten immer viel. Wir arbeiten immer. Wir haben bei uns schon lange die 168-Stunden-Woche eingeführt.“ Entsprechend unamüsiert regiert er, wenn er wieder mal auf die lange Albumpause zwischen ELECTRIC CAFE (1986] und TOUR DE france SOUNDTRACKS (2003) angesprochen wird: Kraftwerk sei unabhängig vom Output; all die Jahre habe man rund um die Uhr gearbeitet, das Gesamtkunstwerk vorangetrieben.

Auch auf Tour: „Nicht ganz einfach“ sei die Rumreiserei früher gewesen, sagt Hütter, „fürchterlich der Transport und die Pflege der tonnenschweren Rechner. Doch das Kling-Klang-Studio, die geheime Produktionsstätte der Düsseldorfer, ist seit der Umstellung auf Laptop „maximal mobil‘. „Damit ist ein Traum wahr geworden“, sagt Hütter, „wir können nun überall produzieren. Ein neues Studioalbum, verspricht er, komme sicher. Nur wann? „Wir arbeiten einfach weiter dann ergibt sich alles.“ Unter Druck setzen lässt man sich nicht.

Oder fast nicht. Beim Konzert in London hängte sich ein Rechner auf, woraufhin die Leinwand nur noch eine leere Windows-Oberfläche zeigte. „Da haben die Leute gepfiffen“, bedauert Hütter. Für ein Quartett, in dem Perfektion als fünfter Mann mitprogrammiert, sei „jeder Auftritt ein Drahtseilakt.“ Da müssen auch Legenden mit Absturzgefahr leben.