Trotzköpfe mit Hut


Wer gut gekleidet ist, entscheidet Jan Joswig. Heute vor dem Stilgericht: Lemmy

Das Popbusiness hält nur zwei Nadelöre bereit, durch die hindurch man sich zu einem Quentchen Widerstand pressen kann: Cleverness oder Trotzigkeit. Wenn die ästhetischen Winkelzüge von Scritti Politti, Pet Shop Boys oder Lady Gaga einem nur noch Intellektpickel verursachen, dann muss man konsequent dagegenhalten. Und von allen Trotzköpfen des Showbusiness ist Lemmy Kilmister der größte. Damit nicht ständig seine Schädeldecke abhebt bei den Zumutungen in der Kulturindustrie, trägt er Hut. („If I hear Kultur, I pull my gun“, frotzelt er gerne.) Diese Gegenmaßnahme teilt er mit seinen Kollegen aus Deutschland und den USA, Udo Lindenberg und Willie Nelson. Willie, Udo, Lemmy – Männer mit Hut, die sich einen Dreck scheren (um was auch immer). Man kommt bei ihnen leider nicht an dem Kasus knaxus vorbei, der sie entscheidend vom Rest der Unterhaltungswelt trennt: Authentizität. Aua, mit keinem Begriff wird in der Mode so heuchlerisch und inflationär umgesprungen. Dabei beweist dieses Herbeigeschreie nur eines: Man ruft am lautesten nach dem, was man am meisten ermangelt. Die Cleveren verlachen die Authentizitätslüge, indem sie sich betont artifiziell inszenieren. Die Trotzigen entlarven die Lüge durch ihre schiere Präsenz. So wie man eine Glasperle sofort erkennt, wenn man eine echte daneben legt, wird falsche Authentizität deutlich, wenn sie mit echter konfrontiert wird. Dabei ist Authentizität nicht das Gegenteil von Inszenierung. Lemmy inszeniert sich sehr wohl, und das auf unveränderte Weise seit gut 35 Jahren. Haare und Bart, Wangenpopel (medizinisch: Fibrom), offenes Hemd, enge Schlagjeans, und – garantiert auch zum Outfit auf dem Foto – weiße Stiefeletten. Aber bei Lemmy und Co. folgt die Klamotte dem originellen Leben. Das Outfit kann noch so formelhaft sein, es wird immer die Aura des Widerspenstigen ausstrahlen. In der Mode wird dagegen behauptet, man könne sich durch originelle Klamotten aus seinem formatierten Leben befreien, das Leben würde der Klamotte folgen. Aber, all ihr Boys mit Riss in der Jeans, würdet ihr euch auch so verhalten wie Lemmy in Hamburg Ende der 70er? Als eine Horde Teds das Motörhead-Konzert in der Markthalle sprengen wollte, prügelten der Commander der kleinsten Kampfeinheit im Rock’n’Roll und seine Mitstreiter der Überzahl an Teds mir nichts, dir nichts die Tollen aus der Stirn. Das, liebe Freizeitcowboys, meine ich mit Authentizität.

Jan Joswig ist studierter Kunstgeschichtler, wuchs in einer chemischen Reinigung auf, fuhr mit Bowie-Hosen Skateboard und arbeitet als freier Journalist für Mode, Musik und Alltag. Was LL Cool J in den Achtzigern die Kangolmütze bedeutete, ist ihm der Anglerhut.