Überfall auf den Commerzpunk


Für Rancid und Pennywise sind die mageren Jahre im Untergrund vorbei. Der kalifornische Doppelpack steht im Epizentrum der von Green Day und Offspring gezündeten Punk-Explosion.

Punk ist meine Rasse, Mann, meine Hautfarbe!“ Lars Frederiksen zieht sein schmuddeliges T-Shirt hoch und zeigt seinen über und über tätowierten Oberkörper. Für den Rancid-Gitarristen mit dem orangefarbenen Irokesen-Kamm und seine Band-Kollegen hatte Punk immer schon eine tiefere Bedeutung als für die Millionen von Green Day-Mitläufern dieser Tage. Die lebendige Punk-Szene im Großraum L.A. war für sie zu einer zweiten Heimat geworden, die Zuflucht aus maroden Elternhäusern, die alternative Lebensweise in einer tristen Umwelt. „Das wichtigste war und ist für mich diese Gemeinschaft. Zu wissen: das sind meine Leute, denen kann ich trauen“, erklärt Rancid-Bassist Matt Freeman. „Die Musik war für uns eine Flucht, ein Ausweg aus der alltäglichen Scheiße, aus verdammten 40 Stunden die Woche Arbeit in irgendeinem Drecksjob und alldem. Dieser alte Punk-Stogan ’no future‘ traf für uns nie zu: Punk Rock war für uns die Zukunft.“

Die Möglichkeit, ihre Jobs aufzugeben um mehr schlecht als recht von der Musik zu leben, bot sich Freeman und seinem Freund seit Kindertagen, Rancid-Sänger/Gitarrist Tim Armstrong, bereits Ende der 80er Jahre. Mit ihrer mittlerweile legendären Punk-Ska-Band Operation Ivy hatten sich die beiden an der US-Westküste einiges Ansehen erspielt. „1987 hatten wir einen Gig mit NOFX in Berkeley“, erinnert sich Tim Armstrong, „da kam dieses Kid auf mich zu und jammerte: ‚Ich komm‘ nicht rein, es ist ausverkauft, aber ich will euch spielen sehen. Wir haben den gleichen Nachnamen.‘ Ich fand’s lustig und hab ihn reingebracht.“ Acht Jahre später ist ‚dieses Kid‘, Billie Joe mit Vornamen, mit seiner Band Green Day einer der Hauptgründe dafür, daß sich Punkbands wie Rancid oder die ebenfalls im Surfstaat Kalifornien beheimateten Pennywise im Licht einer plötzlich punk-gierigen Öffentlichkeit wiederfinden. Green Day und Offspring haben die Lunte gelegt, nun ergründen Massen von punkrock-angefixten US-Fans den Underground.

Pennywise, in der Prä-Green Day-Zeit mit 200.000 verkauften Platten ohnehin schon vergleichsweise Genre-Großverdiener, werden als Offsprings Thronfolger gehandelt. „Ich glaube ja nicht, daß es soweit kommen wird, unsere Musik ist bei weitem nicht mainstream-kompatibel genug“, vermutet Pennywise-Sänger Jim Lindberg. Damit mag er richtig liegen, die schnellen Oi-Kracher des Quartetts mögen fürs Massen-Ohr wirklich eine Ecke zu rauh sein. Aber möglich ist alles. Zur Zeit touren die Vier, die sich nach dem diabolischen Clown aus Stephen Kings Horror-Epos ‚Es‘ benannt haben, mit Soundgarden und Kyuss, bespielen jeden Abend ein begeistertes 2.oooer-Publikum.

„Es ist natürlich schön, wenn viele Leute auf unsere Konzerte kommen und unsere Platten kaufen, das will ich nicht bestreiten“, gesteht Lindberg. „Aber man hat auch gerne Fans, die wirklich auf die Musik stehen, nicht nur, weil’s gerade im Trend liegt“, fährt er fort, kaum zu verstehea bei dem chaotischen Lärmpegel im Tourbus: Bassist Jason Thirsk und Drummer Byron McMackin ziehen sich brüllend laut einen hektischen Steve-Martin-Film rein. Im Sitz daneben hängt Gitarrist Fletcher Dragge, der mit seinen knapp zwei Metern Körperlänge und dem Aussehen eines besonders ungemütlichen Hunnenkriegers selbst in sitzend/liegender Position gefährlich wirkt, und schrubbt auf seiner E-Gitarre. Dazu brummt er – falsch, aber laut – obskure Background-Gesänge.

Daß der Punk-Boom in erster Linie eine von den Medien hochgespielte Sache ist, darin sind Lindberg und Freeman einer Meinung.

Daß Massenbegeisterung und geballtes Medieninteresse eine Verkommerzialisierung der Szene bewirken könnten, wie einige 101-prozentige Punks in den USA befürchten, glauben sie jedoch nicht. „Diese Puristen beschwören da etwas herauf, was meines Erachtens gar nicht der Fall ist“, winkt Matt Freeman ab. „Es sind immer neue Leute in die Szene dazugekommen, zur Zeit sind’s eben ein paar mehr. Der Club zum Beispiel, in dem wir und Green Day angefangen haben, 924 Gilman Street Theatre, ist immer noch Underground. Klar kommen zur Zeit mehr Leute zu den Konzerten, aber es ist ja nicht so, daß die von MTV da jetzt eine Kamera festinstalliert hätten.“

Den Kommerz-Verteufiern hat Freeman zusätzlich etwas entgegenzuhalten: „Woran diese Leute kaum denken, ist, daß die Popularität von Punk vor allem jungen, unbekannten Underground-Bands hilft, die coole Musik spielen, aber nie eine Chance hatten. Nimm zum Beispiel das Indie-Label ‚Lookoutl-Records‘, auf dem Green Day ihre ersten Platten veröffentlicht haben. Das Label verdient nun erstmals richtig Geld und ist in der Lage, weitere neue Bands unter Vertrag zu nehmen.“ Rancid und Pennywise denken derweil nicht daran, wie ihre alten Kollegen Green Day zu einem Major-Label zu wechseln, obwohl sich die Platten-‚ multis in den letzten Monaten um die Goldesel in spe regelrecht prügelten: Pennywise ließen sämtliche Offerten abblitzen, Rancid lehnten einen 1,5 Millio-‚ nen-Dollar-Deal mit Epic-‚ Records ab. Madonna, die Rancids britisch klingenden Punk mit Ska-Einschlag auf ihrem Maverick-Label hören wollte, griff gar zu korrumpierenden Mitteln: „Sie hat uns ein Nacktfoto von sich geschickt“, erinnert sich Freeman. „Nur so eine Aufnahme aus ihrem ‚Sex‘-Buch, aber es ist ja schließlich der Gedanke, der zählt.“

Beide Bands haben auch ihre neuen Alben wieder beim in Hollywood ansässigen Punk/Hardcore-Label Epitaph veröffentlicht. „Das Label funktioniert wie eine große Familie. Bei Epitaph und Mr. Brett“ – Ex-Bad Religion und Epitaph-Labelchef Brett Gurewitz „haben die Bands das Sagen, und nicht die Plattenfirma“, schwärmt Jim Lindberg. Eines ist allen Beteiligten völlig klar: „Diese ganze Punk-Hysterie wird nicht ewig andauern“, stellt Matt Freeman nüchtern fest. „Wir standen vor der Wahl: sind wir dann bei irgendeiner Major-Company, für die wir uninteressant geworden sind, mit viel Kohle, aber ohne Freunde, oder bleiben wir da, wo wir hingehören. Wir haben uns für unsere Freunde entschieden.“