Variationen auf Sting


Erst war er Fan dann wurden sie Freunde, inzwischen ist der 29jährige Jugoslawe Robert Gligorov zum Leib und Magen-Grafiker des großen Blonden avanciert. Wie er Stings akustische Vorgaben für das nächste LP-Cover umsetzen will, wie überhaupt die Beziehung zwischen einem Musiker und Maler abläuft, erzählte Gligorov ME/Sounds-Mitarbeiter Rolf Lenz.

Kein Wunder, daß der Kerl so viel mit Sting zusammenarbeitet, ist der erste Gedanke, wenn man Robert Gligorov („bitte kein Robert, Gligorov reicht“) begegnet. Rein optisch könnte der 29jährige Jugoslawe mit Wohnsitz in Mailand ohne weiteres als Stings jüngster Bruder durchgehen. Daß er ihm auf unserem Foto weniger ähnlich sieht als in Wirklichkeit, liegt nur daran, daß er es selber bewußt ausgesucht hat, um allzu peinliche Parallelen zu vermeiden. „Anfangs wollte ich mit Sting gar nichts zu tun haben, weil ich schon befürchtet hatte, daß es dann heißt, ich wolle letztlich nur Sting für Publicity-Zwecke ausnutzen“, wehrt Gligorov ab.

Außerdem findet er gar nicht, daß sie sich sonderlich ähnlich sehen. “ Und persönlich sind wir völlig verschieden!“

Davon, überhaupt irgendeine Pop-Größe zu porträtieren, geschweige denn sie kennenzulernen, konnte Gligorov nur träumen, als er mit 15 zu seiner Mutter nach Mailand kam. Ihr zuliebe lernte er zunächst Chemie, „obwohl mich das überhaupt nicht interessierte“.

Außerdem galt er als vielversprechendes Turmspringer-Talent und konnte nur deshalb nicht an großen Wettkämpfen teilnehmen, weil er als Jugoslawe nicht für Italien vom Zehner hüpfen durfte.

„Damals habe ich auch mit dem Zeichnen angefangen und bin oft in Studios und zu Künstlern gegangen, um zu hören, wie sie meine Arbeiten finden. Aber da bekam ich meist zu hören, daß es wohl besser wäre, wenn ich das schnell wieder sein ließe und Turmspringer bliebe.“

Was Gligorov allerdings nicht entmutigte, sondern eher den nun gerade-Effekt hatte-bis er mit 20, nach etlichen Stil-Wechseln, seinen eigenen Weg gefunden hatte.

Die Kunstschule, die er nach Chemie-Stunden und Spring-Training am Abend besuchte, hat dazu nur unwesentlich beigetragen. „Da können sie dir allenfalls etwas über die verschiedenen Techniken beibringen, über Perspektive, Licht und solche Sachen. Den Künstler in dir mußt du Stück für Stück selber entdecken.“

Obwohl er damals allenfalls ein kleines Zipfelchen des Großen Gligorov erahnen konnte, ging Robert nach Rom und heuerte „zum Geldverdienen“ als Comic-Zeichner an. Nicht daß er schon gut genug zeichnen konnte: Er holte zwar die Skripte für die Bildergeschichten beim Verlag ab, gab auch nach angemessener Zeit unter eigenem Namen fertige Arbeiten ab, schmückte sich jedoch monatelang mit fremden Federn. Er ließ einfach andere – brotlose, aber bessere – Künstler für sich die Pinsel schwingen.

“ Währenddessen habe ich weiter geübt, bis ich das Gefühl hatte, daß ich soweit war, meine eigenen Arbeiten vorlegen zu können. Der Verleger fragte: ,Ist das wirklich von Ihnen?“, und ich erklärte ihm, daß ich halt verschiedene Sachen ausprobieren würde, um klarer und einfacher zu werden, und da meinte er:, Wenn Sie dadurch besser werden, okay, aber wenn sie weiter so zeichnen wie das hier, dann lassen wir’s lieber‘.

Naja, ich bin besser und besser geworden und nach ein paar Jahren hatte ich’s schließlich geschafft. Man muß bloß dranbleiben. Ich glaube sogar, daß man es auf die mühsame Tour sicherer und dauerhafter schafft, als wenn man schon ganz jung das dicke Lob einheimst…“

Gligorov kannte einen Graphiker beim italienischen Musikmagazin „Tutti Frutti“, und eines Tages meldete sich dessen Chefredakteur und wollte ebenfalls Comics. Von bunten Blasen hatte der junge Künstler allerdings erstmal genug, also diskutierte man über andere Betätigungsfelder und erfand den „Strip-Clip“: eine Art Video-Clip für Druck-Medien oder ein Song in Comic-Form, wie man will.

Gligorov zeichnete Strip-Clips zu „Kiss“ von Prince, zu Singles von Madonna oder Peter Gabriel und kam damit so gut an, daß schon bald der nächste Chefredakteur auf der Matte stand. „Max“, das italienische Pendant zu „Interview“ oder „Face“, wollte auch sowas, und zwar gleich jede Menge, am liebsten ein ganzes Album von Sting, wie wär’s mit NOT-HING LIKE THE SUN?

Seit er Sting nach einem Konzert persönlich kennengelernt hatte, waren Gligorovs anfängliche Bedenken gegen eine professionelle Beschäftigung mit dem „großen Bruder“ einem Gefühl kollegialer Bewunderung gewichen – er nahm den Auftrag an.

Sting wiederum war „schwer beeindruckt“, als er die Illustrationen seiner Songs sah. „Besonders gefreut hat er sich über meine Bilder zu ,They Dance Alone‘, da fühlte er sich genau getroffen“, erinnert sich Gligorov. „Er konnte Songs schreiben, halte aber keine Ahnung, wie er sie visualisieren sollte. Ich kann mir vorstellen, daß es ein komisches Gefühl für ihn war, seine Songs in der Interpretation eines anderen Mediums und Künstlers zu sehen – es hätte ja auch etwas völlig anderes herauskommen können als das, was er sich dabei gedacht hat…“

Dem war aber nicht so, ganz im Gegenteil: Sting bat Gligorov sogar, das Cover seines geplanten Live-Albums VOLUME 3 & 4 zu gestalten. Der Künstler bekam keinerlei Vorgaben, Gligorov durfte sich nach Lust und Laune austoben, war allerdings von vornherein der Ansicht, daß bei einem Live-Album der Sänger persönlich aufs Cover gehöre. Er zeichnete, malte, fotografierte und nagelte die unterschiedlichsten Motive: den lauten Sting, den leisen Sting, mal mit den Aspekt „Publikum“, mal „international“. Die Musiker auf Seite 12 sind für die Innenseiten des Klapp-Covers gedacht.

Gligorov und Sting trafen sich zur Besprechung der Entwürfe, und Sting war mehr als angetan. Nur auf ein gemeinsames Lieblings-Motiv konnte man sich noch nicht einigen: Gligorovs Favorit ist der abstrakte Sting mit Sturmfrisur (Seite 9), dem Meister selbst gefiel der Entwurf mit der Teetasse besser – eine Art Backstage-Stilleben, wie man es mit ähnlichen Zutaten auf diversen Live-Alben findet.

Mit der endgültigen Entscheidung können sich die beiden noch Zeit lassen, denn vorerst wird VOLUME 3 & 4 nicht veröffentlicht. Nicht aus optischen oder musikalischen Gründen, sondern aufgrund marktpolitischer Erwägungen: Stings Manager Miles Copeland fürchtet den Effekt des sogenannten „over exposure“, des „zu-berühmt-Seins“. Auf gut deutsch:-Wenn du ständig in den Hitparaden und auf Tour bist, bist du auch permanent in Radio und Fernsehen, dein Gesicht guckt aus jeder Zeitung – und irgendwann hat selbst der härteste Fan deine Visage über. Soweit soll’s nicht kommen, darum zieht man Sting vorsorglich eine Zeitlang aus dem Verkehr.

Außerdem hat Sting momentan mit Nicht-Popmusikalischem schon genug zu tun: Im Film spielt er Hamlet und auf dem Broadway den Macky Messer in Brecht/ Weills „Dreigroschenoper“ – insgesamt 11 Monate lang. Gligorov hat sich in den letzten Monaten immer wieder mit ihm getroffen – nicht zuletzt, weil er inzwischen auch DREAM OF THE BLUE TURTLE als Strip-Clips gestaltet hat (erscheint im April in Italien als Buch). „Für meine Arbeit ist es wichtig, die Person ,Sting‘ zu kennen, seine Mentalität, wie er denkt, was erfühlt. Wir sind uns einig, daß man immer lernen sollte; daß alles, was man tut, den Horizont möglichst erweitern sollte.“

Auch den geschäftlichen: Seit der Zusammenarbeit mit dem britischen Weltstar hat sich Gligorovs guter Popsong-Blick herumgesprochen, und man engagiert ihn nicht mehr bloß für Strip-, sondern gleich für richtige Video-Clips. Für die italienischen Größen Gino Paoli und Barron hat er schon Regie geführt, ein dritter Clip ist gerade in der Mache, weitere Interessenten stehen Schlange.

Gligorov hatte keine Probleme mit dem neuen Medium, schließlich waren seine Strip-Clips nichts anderes als künstlerisch angelegte Storyboards, wie sie jeder Regisseur verwendet. „Ich habe auch für die Videos sehr exakte Storyboards gezeichnet, so daß meine Ideen relativ leicht auf den Bildschirm zu übersetzen waren. Allerdings sind meine Einfälle ziemlich teuer, da ich gern surrealistisch arbeite, und sowas im Studio glaubhaft hinzukriegen, kostet immer eine verdammte Menge Geld.“

Trotz zahlreicher Fernseh-Angebote (für die RAI gestaltet Gligorov den Vorspann einer Film-Sendung) will er Stift und Pinsel nicht aus der Hand legen: „Der Mattscheibe gehört zwar die Zukunft, und mir gefällt auch die Arbeits-Atmosphäre mit 100 Leuten um dich herum besser als der einsame Zeichner im Studio, aber trotzdem will ich mich nicht einseitig auf sowas spezialisieren. „

Einen Clip mit Sting, den würde er allerdings jederzeit drehen. Gligorov war auch schon als Regisseur für „Rocksteady“ engagiert, dann wurde die Single jedoch mit dem Live-Album vorerst auf Eis gelegt. (Letzter Stand von Seiten der Plattenfirma: Die Live-LP wird frühestens im Sommer ’89 veröffentlicht werden.) Über die beruflichen Verbindungen hinaus ist der Wahl-Mailänder („ich bin so jung hierher gekommen, daß ich mich als Italiener fühle“) allerdings längst Freund des Hauses und regelmäßiger Gast in Stings Londoner Domizil, an dem er besonders die „permanent kreative Atmosphäre“ schätzt. „In jedem Stock ein Flügel, und ständig sind irgendwelche Musiker zu Gast. Sting umgibt sich allerdings nur mit Leuten, die auch wirklich was draufhaben, die es wissen wollen, von denen er auch was lernen kann, die ihn inspirieren. Darum hat er diese Wahnsinns-Band – er könnte sicher auch erheblich billigere Musiker kriegen …“

Die Zusammenarbeit empfindet Gligorov als „Symbiose: Er kann was, was ich nicht kann, und ich kann was, was er nicht kann. Ich kann zum Beispiel nicht singen. In London hat er mal versucht, es mir beizubringen. Ich habe ;Englishman In New York‘ gesungen. Er hat sich kaputtgelacht.“