Vier gewinnt


Bis vor kurzem noch abgeschrieben, wandeln die vier von The Verve jetzt auf den Spuren von Oasis.

Keine Frage, Richard Ashcroft ist ein Rock’n’Roller. Ein 25jähriger Schlaks mit verwegenem Blick,fettigen schwarzen Haaren und ausgemergelten Gesichtszügen. Jemand, der den Rock’n’Roll lebt, 100 prozentig, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Spätestens seit dem Single-Hit „Bitter Sweet Symphony“ kann „Mad Richard“, wie er von den Medien genannt wird, diese Passion so richtig ausleben: Er hat eine neue Freundin mit Model-Qualitäten, feiert wilde Parties im Londoner Columbia-Hotel, gebärdet sich als expressiver Performer und ziert die Titelbilder aller erdenklichen Magazine im Reich von Fish & Chips. Dabei hatte er das Kapitel The Verve eigentlich längst beendet. Die Alben „A Storm In Heaven“ und „A Northern Soul“ernteten zwar überschwengliche Kritiken, erzielten aber nur mäßige Umsätze. „Wir waren unserer Zeit um Lichtjahre voraus“, sagt er heute. Im August ’95 löste Richard die Band auf, um eine Solo-Karriere zu starten, über ein Jahr bastelte er in sündhaften teuren Studios und brachte doch keine nennenswerten Songs zustande. Und das trotz tatkräftiger Unterstützung von Bernard Butler (ex-Suede) und Busenfreund Noel Gallagher. Frustriert und hochverschuldet, erinnerte er sich seiner alten Mitstreiter- Simon Jones, Peter Salisbury und Nick McCabe. Verstärkt durch Neuzugang Simon Tong spielen sie einen Song ein, der das Zeug zum Klassiker hat, eine zynische Hymne über die Unbilden des Lebens, die auf einem orchestralen Sample von „The La st Time“ der Rolling Stones basiert – die „Bitter Sweet Symphony“ eben. Seitdem steht England Kopf und hat seine späte Liebe für die spindeldürren Burschen aus dem nordenglischen Wigan entdeckt. Die Zeit des psychedelischen Glam-Pop scheint gekommen. Und prompt läuft die berühmte Hype-Maschine auf Hochtouren. Interviews gibt es nur bei Zusage von Titelbildern, Kostproben des kommenden Albums nur in Form von Listening-Sessions, Fotopässe für die Reunion-Show von The Verve im restlos ausverkauften Hammersmith Palais zu bekommen, grenzt gar an ein Wunder. Was Wunder also, daß Richard Ashcroft der plötzliche Erfolg denn auch schon zu Kopf gestiegen ist. Er speist die versammelte deutsche Journaille mit einer Pressekonferenz ab, glänzt mit markigen Sprüchen, kifft wie ein König und hält seine Combo für die beste Band der Welt. Natürlich ist er ein enger Freund von Oasis, wirkt gar auf einem Track ihres aktuellen Albums mit. Doch das hindert ihn keineswegs an haarsträubenden Vergleichen.“Wenn wir wollten, könnten wir größer als die Stooges sein oder auch Alben in der Tradition von Funkadelic oder Gram Parsons aufnehmen. Das hat jetzt nichts mit Arroganz zu tun – es ist die Wahrheit.“ Wie auch immer: In diesem Jahr werden The Verve Rockgeschichte schreiben. Daran gibt es kaum Zweifel. Schließlich zählt ihr drittes Album („Urban Hymns“) mit zum Besten, was die englische Musikszene in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Das Problem ist nur, daß Ashcroft das auch weiß:“Die meisten Bands werden über die Jahre immer langweiliger-wir hingegen nähern uns unserem künstlerischen Höhepunkt.“Nicht umsonst sind sich Richard und Noel Gallagher sehr ähnlich. Beide sind talentierte Songwriter, die sich nach Herzenslust aus dem Setzkasten der britischen Popkultur bedienen und ihre Kleptomanie mit einer Mischung aus Genialität und Größenwahn verkaufen. Dabei ist Ashcroft auf dem besten Weg, seinen Freund und Mentor Noel in Sachen Superstardom noch zu übertrumpfen. Er hat nach eigener Aussage „the looks and the brains“ – das nötige Erscheinungsbild und die entsprechende Cleverness. Mr. Gallagher fehlt zumindest eines von beiden. Was genau das ist, beantwortet Richard nur mit einem breiten Grinsen. Schließlich stehen The Verve bereits als Support Art der kommenden Konzerte von Oasis (Ende September) fest.