Vollenweider


Halb Schweizer, halb Engel, die Harfe als Markenzeichen, meditative Instrumentalmusik und trotzdem weltweit ein Popstar - Andreas Vollenweider sitzt nur zwischen allen Stühlen richtig bequem. In seinem Haus am Zürisee zeigte er ME/Sounds-Redakteur Peter Wagner seinen goldenen Mittelweg zwischen Guru und Normalbürger.

Aus der dichten Nebelsuppe am Rande des Zürisee tauchen langsam die Umrisse der Ufer-Villa auf. Die Kamera bleibt dennoch in der Tasche, schließlich hat uns Hanswalter, der Manager, dutzendfach eingebläut:

„Fotografiert um Himmels Willen nicht das Haus von außen. Sonst belagern uns im Sommer wieder diese Freaks aus Holland und Schweden, weil sie meinen, hier sei eine freie Künstler-Kommune.“ Auch so kann das „Vollenweider & Friends“ auf den Plattencovern verstanden werden.

Doch das kleine verwilderte Ufergrundstück mit dem dunklen alten Zweimaster am Kai, der gläserne Wintergarten und die eher einfach eingerichteten Räume bieten gerade Platz für den Chef samt Frau und zwei Kindern plus sporadisch ein paar der engsten „Friends“. Mit Ausnahme des prall bestückten 48-Spur-Studios im Erdgeschoß also eine fast bescheidene Fluchtburg für einen 35jährigen Schweizer, der mit seinen Harfen-Klängen mittlerweile weltweit gut fünf Millionen LPs verkauft hat. Gleichzeitig aber auch ein sehr bodenständig-normales Ambiente für einen Lockenschopf der schönen Klänge, dessen Markenzeichen für viele noch immer der entrückte Harmoniker an der Engels-Klampfe ist.

„Ich freue mich immer, wenn Leute deshalb mißtrauisch werden“, grinst Vollenweider verschmitzt. “ Wenn ich Harfe spiele, kann das verständlicherweise schnell verzückt oder entrückt wirken. Fast schon indiskret – wie wenn du bei einem Liebesakt zuschaust. Die Harfe hat mir tatsächlich auch eine neue Welt aufgetan. Und vielleicht reagiere ich auf diese Welt etwas anders als andere, aber ich stehe trotzdem mittendrin.“

„Ja. aber auch …“ – wie fast alle astrologischen Doppelzeichen ist auch Waage Andreas Vollenweider ein Fetischist der goldenen Mitte zwischen Spiritualität und Alltag. Er heimwerkelt sich ein Bücherregal, um am Abend genauso selbstverständlich über „den Löwen als Symbol der physikalischen Gewalt der Realität im Kampf mit der Seele“ zu meditieren. Das gleiche Thema übrigens, das dem Titel des neuen Albums Pate stand: „Der Kampf-Tanz mit dem Löwen ist immer ein Konflikt. Wir Menschen wollen die Seele frei tanzen lassen, strukturieren die Welt aber mehr und mehr physikalisch durch. Deshalb werden auch so viele Leute psychisch krank.“

Auch beim Komponieren nutzt er beide Seiten seiner Persönlichkeit:

„Eigentlich kommt alles aus der Improvisation: Ich stehe früh um Sieben auf und spiele frei drauflos. Im Zustand zwischen Wachsein und Schlaf lasse ich es fließen. Und je näher der Tag kommt, desto klarer werden dann auch die Strukturen. Erst wenn die Sonne oben ist und mich die Realität ganz eingeholt hat, beginne ich mit dem Arrangieren. „

Und seitdem Vollenweider sein Auto unter der Laterne parkt, weil er die Garage zum Aufnahmeraum umgebaut hat, kann er den Entstehungsprozeß seiner Platten komplett in den eigenen vier Wänden durchziehen. Anders als viele seiner Kollegen, die ihr Privat-Studio nur für Demos nutzen, hat der Multi-Instrumentalist (neben Harfe und Klavier beherrscht er weitere 20 Instrumente) sein aktuelles Album DANCING WITH THE LION fast komplett daheim aufgenommen und auch gemischt. Bei 48 Analog-Spuren mit den Parts von bis zu 40 Chorsängern erfordert das auch klaren Techno-Durchblick für den Produzenten Vollenweider, der für die Platte immerhin fast 100 Musiker (darunter sogar Westcoast-Legende David Lindley an der Steel-Gitarre) aufspielen ließ. Dieser menschliche Klangkörper ließ DANCING WITH THE LION zu der bislang tiefgründigsten und dennoch greifbarsten Platte des Schweizers werden. Ein Produktions-Napoleon war er trotz des gewaltigen Aufwandes nicht, eher schon ein Steven Spielberg: „Ich bin nur der Regisseur. Aber jeder gute Regisseur muß dafür sorgen, daß sich der Schauspieler oder Musiker optimal fühlt. Wenn ich das schaffe, ist es nur legitim, daß ich vorne im Wind stehe und die Sache repräsentiere.“

Richtig gut gefühlt haben sich in Vollenweiders Klangwolke vor allem die sonst eher an Plastik-Klänge gewöhnten US-Studiomusiker, wenn sie erst einmal die Berührungsangst vor dem ungewohnten musikalischen Freiraum abgelegt hatten: „Sie müssen sonst nur Gefühle reproduzieren, obwohl doch jedes Gefühl immer einmalig ist. Deshalb klingen ja auch die meisten Pop-Platten im Grunde gleich und auch die Hamburger bei McDonalds müssen überall auf der Welt gleich schmecken. Letztlich verleugnen die, die der Welt die Freiheit bringen wollen, vollständig die Individualität. „

Genau dann liegt Vollenweiders Geheimnis: Bei aller spiritueller Ausstrahlung, die dieser Mann an Harfe wie auch privat von sich gibt, bleibt er zu jeder Zeit ein selbständig denkender Individualist, der sich in keine Stilrichtung und erst recht in keine esoterische Sektentümelei sperren lassen will. New Age ist nicht sein Zeitalter: „Diese New Age-Verkommerzialisierung ist doch voll daneben. Wenn du Geheimnisse entschleiern willst, mußt du deinen persönlichen Weg gehen und dir nicht Buch wie ,Die Wahrheit über . kaufen. Ich stehe nicht hinter diese Käfig für den Vogel, aber hinter dem Vogel stelle ich mich voll. Ich lasse den Vogel immer wieder fliegen. Leide fangen ihn andere oft wieder ein und stecken ihn in den Käfig zurück.“

Zum Beispiel in den Käfig der Muzak-Berieselung, die seit Jahren amerikanische Supermärkte und Aufzüge akustisch verschleimt. Vollenweider plädiert in diesem Anklagepunkt auf „Nicht Schuldig!“: „Meine Musik ist ein Haus, in dem man Dinge erleben kann, die man draußen im Regen nicht erleben kann. Ich stelle diese Räume zur Verfügung, sie sind unmöbliert. Man muß sie als Hörer selbst möblieren und beleben. Wenn ich eine negative Wirkung auf die Leute hätte, wenn sie bei meiner Musik nur träumen oder aus der Realität fliehen würden, dann würde ich aufhören.“

Noch besteht dazu kein Grund, denn seine Platten sind in allen möglichen Charts vertreten – Klassik, Pop, Volksmusik, Jazz. Auf der neuen LP gibt es kaum einen Kontinent, der nicht in der Person eines Musikers vertreten ist. Somit liegt er also voll im Weltmusik-Trend.

„Fast. Wenn er nicht so vorbelastet wäre, würde mir dieser Begriff sehr gut taugen. Der Vogel fliegt wirklich rund um die Welt. Ich habe ja auch so gut wie keinen Schrank im Haus.“

Zu verbergen hat der 35jähnge Schöngeist ohnehin nichts – Kunstschätze der asiatischen Mythologie sucht man in seinem Haus vergebens. Ebenso Naturgetreide und Soja-Brot, denn Vollenweider ist ein Allesfresser: „Ich finde, man kann alles essen. Bis auf rohe Kamelhoden habe ich damit keine Probleme mehr. Nur sollte man sich von allzuviel Künstlichkeit fernhallen. Mein Ziel ist es, noch mehr nach diesem Prinzip zu leben: Wenn ich die Wahl habe, möchte ich nur das Beste. Wenn ich etwas verändern kann, will ich alles investieren, daß ich es verändere. Wenn ich die Wahl nicht habe, ist das, was ich habe, das Beste.“