Vom Nobody Zur Nummer 1


Klamm und heimlich mogelte er sich auf Platz 1 der deutschen Single-Charts. Wer sich hinter der Stimme von „You’re The Voiee“ versteckt, wußte niemand so recht. Australier ist er und ehemaliges Mitglied der Little River Band. Aber sonst? Klaus von Seckendorff versuchte ein unbeschriebenes Blatt zu füllen.

Welchem Popsänger weinten die Teenies eines ganzen Kontinents heiße Tränen nach, als er 1973 heiratete? Wie heißt der australische Ex-Klempner, der in eine US-Jazzclub versehentlich als „Jack Phantom“ angekündigt wurde? Wer landete mit der Little River Band auf dem absteigenden Ast. um dann mit dem Soloalbum WH1SPERING JACK lichte Höhen zu erklimmen?

Als Thema für ein Ratespiel wäre John Farnham bislang nur in Australien angesagt, wo der smarte Knabe seit 20 Jahren durch die Charts geistert. Schließlich sollen einem die Antworten beim Quiz auf der Zunge liegen. Arbeiten wir also die Fakten zunächst einmal ein wenig auf:

1967 schubste Johnny Farnham die Rohrzange in die Ekke. Seine erste Single hatte sich als Überraschungstreffer entpuppt. „Sadie The Cleaning Lady“ war ein alberner Comedy-Song, den John heute nimmer mehr singen mag.

In den 7üern ließ er als amtierender“.Popkönig Australiens“ kein Publikum unbehelligt: Shows, Cabarets. Musicals. TV-Serien, Supermarkt-Erföffnungen und — last but not least: Rockkonzerte.

Als er ab 1982 anstelle von Glen Shorrock die Gesangeskünste der Little River Band anführte, kappte Johnny Farnham kurzerhand das verniedlichende ,.ny“ seines Vornamens. Drei Alben führten in eine Sackgasse: Live kam das alte Repertoire bestens an; die Studioproduktionen hielten nur unverbesserliche Fans bei der Stange. John nahm sich’s zu Herzen, obwohl die Stagnation wohl am wenigsten auf seine Kappe ging.

Also noch mal ein eigenes Ding wagen — und wenn’s schiefgeht, bleibt ja noch die Klempner-Erfahrung (so kraß sah es allerdings nur Manager Glenn Wheatley). John ist Niederlagen gewohnt. Um keine weiteren einstecken zu müssen, legte er diesmal Wert auf die totale Verantwortung: Wenn schon keine eigenen Songs (nur „Lct Me Out“ war ihm gut genug), dann selbst aus 2()00(!) Vorschlägen auswählen. Wenn er schon weder Tasten noch Saiten ordentlich beherrscht, dann wenigstens eigenhändig Fairlight und Drumcomputer programmieren. Wenn alle Soft rock ä la Little River Band erwarten, dann liebermit peitschendem Techno-Pop überraschen.

Der Erfolg gab John recht. Daß seine Wahl gezielt auf chartergerechtes Mainstream-Material fiel, gesteht der Sänger frank und frei:“.Es geht mir nicht darum, andere Musiker oder Sänger zu beeindrucken. Bubblegum Music wollte ich auch nicht machen. Also suchte ich die zehn besten Songs, die ich finden konnte. Ich wollte, daß mein Album kommerziell wird, ohne daß die Glaubwürdigkeit darunter leidet. „

John ist zufrieden mit seinem „besten Stück“. Es sollte wie ein Produkt der 80er Jahre klingen. Zusammen mit David Hirschfelder, dem Keyboarder der Little River Band, verbrachte John die meisten Studio-Stunden vor Samplern und anderen Wundermaschinen. Und siehe da: Trotz allem swingt das Ding.

„Wir hüben die Maschinen intelligew eingesetzt“, meint selbst John, der Bescheidene. Auch auf der Bühne ist das Klangmonstcr Fairlight im Einsatz. Am 13. März endete nach fünfeinhalb Monaten eine Australien-Tour, die in großen Pubs startete, um sich bald gigantisch zu mausern: 12500 Fans erwarteten Farnham im Entertainment Center von Sidncy. Dann hatte er einen Tag lang Zeit für Jill und den fünfjährigen Robert — und weiter ging’s auf Promotion-Trip nach Europa. „Als Vater fühl ich mich wirklich schuldig. Die beruflichen Ziigestiindnisse sind gewaltig, aber es ist nun mal mein Job: und wenn er zu sehr zum Problem wird, muß ich eben was anderes machen. „

Schlechtes Gewissen hin, Heimweh her — die Welt verlangt nach Mr. Farnham. Als sein Produzent unlängst auf Bali relaxen wollte, stellte er fest, daß WH1SPERING JACK dort als Schwarzpressung Furore machte. Von dem Erfolg in den isländischen Top Ten ganz zu schweigen. Deutschland wird den blonden Burschen nach einigen Auftritten Ende Juni bestaunen dürfen — hauptsachlich bei Open-air-Festivals.

Daß Farnham mittlerweile oft in riesigen Hallen singt oder im TV zum Playback, ist ihm gar nicht recht. „Ich mag schweißtreibende Gigs in Pubs viel lieber. „

Kann jeder sagen? In Bremen bewies John unlängst, daß er seinen Fans nichts schuldig bleiben mag: Als die Fernsehsendung „Extratour“ ausgeblendet wurde, hatte er die Zuschauer mit „You’re The Voice“ auf Stühle und Tische getrieben. Das Studio-Publikum ertobte eine Wiederholung. Lauthals mitgesungen wurde später auch in einer Kneipe, als der Unermüdliche sich bewegen ließ, den Song vier(!)mal hintereinander zum Besten zu geben.

Nein, er ist wirklich kein unnahbarer Pop-Halbgott, sondern ein Ausbund an Natürlichkeit. Seine Videoclips: „Baskally me singing. Bloß kein Schnickschnack!“ Sein Outfit: „Frisuren und Klamotten — alles Blödsinn. Ich putz mich nur fiir Auftritte raus. “ John liebt derbe Scherze und fühlt sich schlicht und einfach jedermann nahe: „Wir leben alle auf demselben Planeten.“