„Wenn die Leute nicht tanzen, funktioniert deine Musik nicht“


Soulwax gehören zu den besten Remixern weltweit gerade in Sachen Rockmusik und sie waren die Pioniere des Bastard-Pop. Ein Gespräch über die Lust an der Manipulation, maximale Effekte und eine Beschwerde von Robbie Williams.

David Dewaele kommt zu spät. Sein Bruder Stephen kennt das schon. „Das funktioniert auch nicht, wenn du ihn extra ein paar Minuten früher bestellst.“ 16 Jahre gemeinsame Band- und Mischpult-Erfahrungen liegen hinter den Dewaele-Brüdern, hier in ihrem Studio im Zentrum von Gent entstanden die Alben ihrer Band Soulwax, aber auch elektrisierende Remixe von Kylie Minogue, Daft Punk und MGMT, hier erlangte der Bastard-Pop, den die Dewaeles unter dem Alias 2 Many DJs zusammenbastelten, Tonträgerreife. Die Brüder wirken in ihren blauen Businessanzügen wie ein Kommentar auf ihre Umgebung: Schaut her, wir sind seriöse Musikproduzenten, wenn auch um uns herum das blanke Chaos herrscht.

Ihr Arbeitsplatz ist eingerahmt von Kabeln, Keyboards, Schallplatten und CDs, von diversen Synthesizern, Verstärkern und einem Pro-Tools-Rack. Das Herzstück ihres Studios ist ein 1969er Cadac-Analog-Mischpult, das sie einem klammen Sammler für einen Appel und ein Ei abkauften. „Man muss bei solch einem Gerät wissen, welcher Regler nicht mehr so richtig funktioniert“, sagt Stephen. „Es hat Charakter. Und es hat einen speziellen Sound.“

DJs und Remixer sind fürs Verbinden und Verstärken zuständig, Musiker für die Basisarbeit. Wem zollt ihr größeren Respekt?

STEPHEN: Immer jenen, die ein Instrument spielen. Du musst als Remixer und DJ bestimmte Fähigkeiten besitzen, aber es ist eine größere Herausforderung, als Musiker auf der Bühne zu stehen. Wir können das beurteilen. Als DJ-Team 2 Many DJs standen wir sogar auf Riesen-Bühnen. Ich denke, dass die Leute dort Typen wollen, die sie animieren: „Yeah, put your hands up!“ Wir können das nicht, wir wollen das auch nicht. Ich würde sterben, wenn ich das machen müsste.

Ihr kommt aber doch vom Planeten Rock …

STEPHEN: Wir haben uns jedoch schon für Remixe interessiert, bevor wir Soulwax gründeten. Für mich waren immer schon die Extended Versions der Songs wichtig. Richtig, Soulwax waren anfangs eine Rockband, das hatte was mit Stoner Rock und Psychedelic Rock zu tun, wir spielten aber auch schon mit Elektronik. Als wir unser erstes Album mit Chris Goss (produzierte u.a. QOTSA, Melissa Auf der Maur – Anm. d. Red.) aufnahmen, setzten wir uns gleich mit ans Pult. Chris meinte: „Hey, was macht ihr da, Jungs?“ Wir waren dabei, unsere Songs neu zu mixen.

Was hat euch am Remix fasziniert?

DAVID: Wir sind durchs DJing zum Remix gekommen. Als Rockband spielst du in Clubs und auf Festivals, aber du machst dir keinen Kopf über den Effekt, den Musik besitzt, über das, was Musik physisch auslöst. Wenn du einmal als DJ gearbeitet hast, wird alles anders. Es ist wie mit Comedy: Wenn die Leute nicht lachen, hast du verloren. Wenn die Leute nicht tanzen, funktioniert deine Musik nicht. DJing hat unsere Musik verändert. Wir wollten keinen Neunminuten-Track spielen, sondern diese kleine Sequenz, die wir liebten.

STEPHEN: Wie im HipHop – Grandmaster Flash spielte auch nur seine Lieblingsbreaks.

DAVID: Das war der Impetus – Musik zu manipulieren: Vielleicht können wir als DJs mit unserer Sequenz den Unterschied machen.

Vor ein paar Jahren war die Manipulation das heiße Ding: Bastard-Pop. Mash-Up. Der große Rock’n’Roll Swindle, Teil 2.

DAVID: Damals waren uns die Grenzen des Remix schon bewusst. Man darf die Technik nicht mit der Ästhetik verwechseln! Was wir an unserem ersten DJ-Abend hier in Gent spielten, unterscheidet sich nicht sehr von dem, was wir heute machen.

Was war der erste Track, den ihr remixt habt?

STEPHEN: Das Soulwax-Stück „Saturday“. Wir bereiteten damals gerade ein Programm für eine belgische Radiostation vor und entdeckten, dass mein Gesang dieselbe Tonart wie „Billy Jean“ von Michael Jackson hatte. Das wurde unser erster Mash-Up. Dann haben wir noch die Residents mit ins Boot genommen, weil sie denselben Groove wie „Billy Jean“ hatten. Am Ende haben wir vier Tracks ineinander gemischt.

Mash-Up entfesselte eine Begeisterung, die in dem Slogan „Pop will eat itself“ zum Ausdruck kommt. Pop als Selbstbedienungsladen, in dem nichts mehr heilig ist …

STEPHEN: Es hat wirklich Spaß gemacht. Hör dir „No Fun“ von den Stooges und Salt ‚N‘ Pepas „Push It“ an, beide Songs sind derart dreckig und sexy. Unser Gedanke war: Warte mal, da kann man was draus machen. Ein Jahr, bevor die Sache groß wurde, haben wir den kleinen Rough-Trade-Shop in der Portobello Road in London besucht, mit ein paar Bootlegs in der Tasche. Die legten sie auf. Man kannte uns dort. Dann kamen die A&R-Manager von Plattenfirmen an die Theke und fragten, wo dieses Stück mit den Stooges und Salt ‚N‘ Pepa herkam. „Keine Ahnung“, sagten die Rough-Trade-Jungs, wir standen im Hintergrund und grinsten. Man muss sich das vorstellen: Ein Jahr lang machten wir etwas, das niemand kapierte. Aber in dem Moment, da Mash-Up vermarktet wurde, indem MTV eine eigene Mash-Up-Sendung startete, sagten wir: „Schluss damit!“ Mash-Up wurde zu einer Übung und war musikalisch keine Herausforderung mehr.

Mash-Up wurde zum Punk des vergangenen Jahrzehnts erklärt – war das ein Witz?

DAVID: Der Punk-Vergleich stimmt auf eine Art: Wie im Punk gab es im Mash-Up jede Menge Mist. Und vielleicht 20 große Tracks. Es schien alles so einfach, anyone can do it. Aber das stimmt nicht. Es war ja gerade nicht so, dass jeder das machen konnte, was Clash und Sex Pistols machten.

Wenn Mash-Up zur einer bloßen Übung wurde, fühltet ihr euch übermixt?

STEPHEN: Sagen wir mal so, wir nehmen Remixe generell nicht besonders ernst … und wir nehmen sie doch wieder ernst. Aber wie oft steckt hinter einem Remix der Manager einer Band, der noch bevor ein Track oder ein Album erschienen ist, einen Remix haben will. Ich habe Managern oft genug gesagt: „Lasst das bleiben, das Album ist ohne Remix gut genug. Der Remix ist nicht der heilige Gral des Pop.“

DAVID: Trotzdem vergeht kein Tag, an dem wir keine Anfrage für einen Remix erhalten. Aber wir haben nur wenige in den letzten Jahren gemacht.

STEPHEN: Die einzigen Songs, die wir remixen, sind solche, die wir als DJs gerne auflegen würden wie eben „Standing In The Way Of Control“ von Gossip zu „Kids“ von MGMT. Bei „Kids“ war klar: Das ist ein erstaunlicher Song, und der Groove ist einigen Elektro-Tracks sehr ähnlich – das muss jetzt nur noch ein wenig schneller, ein bisschen größer werden. Die Feuertaufe muss der bearbeitete Track dann auf der Tanzfläche bestehen. Wenn er nicht funktioniert, müssen wir weiterarbeiten. Der Dancefloor ist unser Versuchslabor. 95 Prozent unserer Remixe sind für den Dancefloor gedacht.

STEPHEN: Darum geht es: Wir machen das Stück dancefloor- oder radiofreundlich. Schon in Jamaika hat man vor Jahrzehnten mit geringen Ressourcen Dub-Versionen der Songs erstellt, die DJs spielen konnten. Doch inzwischen hat sich der Remix totgelaufen. Kinder, macht lieber einen guten Song!

Was muss ein Song haben, damit ihr ihn remixt?

STEPHEN: Es müssen Songs sein, bei denen wir genau wissen, was wir ihnen antun müssen, um einen maximalen Effekt zu erzielen. Die meisten Songs, die wir remixen, sind Rocksongs. Das ist die Voraussetzung, später erst bringen wir die Elektronik ins Spiel. Entweder hat ein Song Eier, oder er hat keine.

Schaut ihr zuerst auf die Beats?

DAVID: Nein, auf die Dynamik. Man spielt mit Klein und Groß. Die Dynamik ist das, was emotional wirkt auf dem Dancefloor.

Gab es schon einmal Beschwerden von Musikern über Soulwax-Remixe?

STEPHEN: Rate mal! … Von Robbie Williams! Wir dachten noch nicht einmal, dass „Lovelight“ ein besonderer Song ist, aber irgendwie mochten wir Robbie. Also haben wir ein dickes Rave-Ding daraus gebaut. Robbie mochte es gar nicht, aber der Track war erfolgreich. Ich habe kein Problem damit, wenn ein Musiker das Ergebnis nicht mag. Es ist unsere Arbeit, sie bleibt cool, gleich, ob sie den Segen des Urhebers hat oder nicht.

Welchen Raum nimmt das Remixen in eurem Leben ein?

DAVID: Wir sind als Remixer bekannt geworden. Aber das Remixen macht nur ein Prozent unseres Lebens aus.

Reden wir über die restlichen 99 Prozent.

STEPHEN: Jede Band macht heute ihr Geld, indem sie auf Tour geht und live spielt – wir verdienen unser Geld als Musiker. Wir wissen, was es bedeutet, als Band auf Tour zu sein, du musst deine Ausrüstung dabeihaben, darfst den Bus nicht verpassen, brauchst einen Ton-Ingenieur, einen Typen fürs Licht, einen Backliner. Wenn wir als DJs auf Tour sind, ist die Sache simpler: David, ich und ein Haufen Platten. Und manchmal machst du an einem Abend als DJ mehr Geld als während eines ganzen Monats, in dem du mit der Band auf Tour bist.

Das ist so eine Art Jobsplitting mit Sicherheitspolster.

STEPHEN: Na ja, wir stecken unsere DJ-Einnahmen dann wieder in Studio- und Band-Ausrüstung. Und verspielen die Einnahmen auf Tour. (lacht)