Wer bietet mehr?


Willkommen im Biet-Club. Die beiden großen Auktionshäuser Sotheby's und Christie's in London versteigern regelmäßig Rock'n'Roll-Rariäten. Betuchte Jäger und Sammler lassen hier Unsummen für ausgefallene Aufnahmen, Autogramme und Anzüge springen.

Es ist kurz nach 17 Uhr, als Posten Nummer 823 drankommt. Seit zehn Uhr früh ist der Geräuschpegel im gediegenen Auktionsraum kaum über ein Murmeln hinausgegangen. Daran ändert sich auch jetzt nichts. Zwar hat Posten 823 gemäß Katalog einen Schätzwert von 48.000 Pfund (umgerechnet ca. 100.000 Mark). Aber nachdem für mehrere ähnlich eingeschätzte Objekte nicht einmal annähernd das Mindestgebot aufgeworfen wurde, beschränkt sich die Aufregung nun auf ein leicht intensiviertes Huschen der Photographen. Die Auktionärin auf ihrer gerichtsartig anmutenden Holzbühne läßt auch keine Aufregung erkennen, als sie die Beschreibung des Stückes liest: „Paul McCartney’s handwritten lyrics for ‚Getting Better‘, from 1967 – here it is …“ Ein Hausdiener mit altmodischer Handwerkerschürze hält den kostbaren Zettel in die Höhe wie ein gebrauchtes Blatt Toiletten-Papier. ….. ich habe fünfzigtausend. Fünfzigtausend für Posten 823, wer bietet mehr?“ Zwei Minuten später fällt das Hämmerchen. Maccas Gekritzel auf die Ankündigung eines „Rave“ im Londoner“Roundhouse“ geworfen, ist für satte 161.000 Pfund (ca. 400.000 Mark) an einen anonymen Käufer gegangen, der per Telephon mitgeboten hat. Der Preis bricht den Rekord für Beatles-Manuskripte, aber das Murmeln im Publikum währt nicht lang. Schon geht’s weiter, mit Posten 824 einer „kleinen Sammlung von Beatles-Fan-Club-Heftchen und einer echten Bluse aus dem ‚Apple Shop‘, geschätzter Wert 250 Pfund…

Zumindest in Großbritannien ist Vinyl-Sammeln nach dem konjunkturbedingten Preissturz der letzten jähre wieder erschwinglich geworden. Mit dem Sammeln von Memorabilia ist das jedoch so eine Sache. Angefangen bei der monatlichen, 250 Seiten starken Sammler-Bibel ‚Record Collecter‘, erhältlich an jedem Kiosk, bis hin zu den unzähligen Sammlermessen und den Shops in der Hanway Street, Vi London, existiert hier eine umfassende Infrastruktur, die sich um die Bedürfnisse der Sammler von Postern, Photos, Autogrammen und ähnlichem Schnickschnack kümmert. Aber wem das Herz nach etwas besonderem steht, nach der Tür von Paul McCartneys Kinderzimmer in Liverpool etwa (2.500 Pfund), oder dem „Peacock“-Sessel, in welchem sich Marc Bolan einmal ablichten ließ (für 420 Pfund geradezu geschenkt), der kann auf den Versteigerungen, die von den

klassischen englischen Auktionshäusern Sotheby’s und Christie’s in lockeren Abständen durchgeführt werden, sein Geld los werden.

Die Teppiche im Foyer sind so tief, daß ein Chihuahua darin verloren gehen kann. Goldbehangene Damen mit Spazierstöcken aus Elfenbein begutachten den Katalog einer Versteigerung von fernöstlichen Miniaturen, derweil Herren mit Schirm und Melone treppauf verschwinden, wo das Angebot künftiger Auktionen vorab begutachtet werden kann. Dennoch verfällt die Frau von Welt, die den Empfang hütet, nicht in hysterisches Kreischen, als sie plötzlich von Teenagern in zerrissenen Jeans und fleckigen Anoraks nach dem Weg gefragt wird. Ohne großes Wimpernklappern weist sie lächelnd nach oben. Die große Galerie hier wäre sonst mit holländischen Meistern vollgehangen heute prangt rechterhand die Kulisse vom Gratiskonzert der Stones im Hyde Park (erreicht das Mindestgebot nicht). Links sind photogene Posten wie Jimi Hendrix‘ Patchwork-Mantel (geht für 8.800 Pfund an einen Telephon-Bieter) und seine Gibson Flying V-Gitarre (soll 75.000 Pfund bringen, erreicht den Preis jedoch nicht) ausgestellt. Dazwischen harren die 15 potentiellen Kunden mit grünen Kellen, die leger kurz von den Knien gehoben werden, wenn geboten wird, der Dinge, die da kommen werden: Bevor am Nachmittag nur noch mit den Beatles gehandelt wird, geht es am Morgen um Souvernirs verschiedener Künstler, dabei vor allem um Autogramme, Goldscheiben, rare Tonband-Aufnahmen – aber auch ein Manuskript von Eric Clapton (880 Pfund), eine signierte Harmonika von Bob Dylan (1.900 Pfund), ein Baßtrommelfell von Charlie Watts (5.500 Pfund) und eine von Bono entworfene Uhr (statt der erwarteten 2.000 Pfund bringt sie nur 250 Pfund). Das Publikum ist erstaunlich vielfältig: Vom coolen, in Armani gekleideten Busineßmann mit Pferdeschwanz über bierbäuchige Heavy Metal-Fans, innig verschlungene Liebespaare bis hin zu drei Großmüttern auf Sightseeing ist alles vertreten. Die nach Geld duftende Umgebung schüchtert mächtig ein wer reden will, flüstert höchstens, und wer auf die Toilette geht, schaut drauf, den Kameras von MTV und CNN nicht vor die Linsen zu laufen. Nicht weniger einschüchternd wirkt der Auktionar – am Morgen ein ruhiger Herr, der mit sonorer Nonchalance die bizarrsten Beschreibungen liest, als ginge es um irgendwelche Teetassen aus dem 17. Jahrhundert; nicht einmal Johnny Rottens ‚Anarchy In The UK‘-TShirt (1.600 Pfund) entlockt ihm eine besondere Regung. Das Bieten entpuppt sich als eine monotone, hypnotische Sache. Im Eiltempo saust Posten nach Posten vorbei, egal was der Wert oder Verkaufspreis ist. Bei den billigeren Angeboten bietet der ganze Raum mit. Sobald es in die mittleren Preislagen geht, dominiert die Abgesandte des Hard Rock Cafe (Wimpel Nummer 90 – sie zahlt z.B. 21.000 Pfund für Hendrix‘ Pfauenweste), und darüber geht dann alles per Telephon. Für viele Besucher ist das Bieten Ehrensache: „Ist doch viel besser als das Hard Rock Cafe“, grinst Michael Ackerman, ein Rock-Rechtsanwalt aus Los Angeles: „All die Dinge, die hier ausgestellt sind, sieht man sonst nie, das vermittelt dir eine ganze andere Vorstellung von der Sache.“ Ein echter Fan, der das einfach einmal gesehen haben will, ist auch Alistair (Wimpel 82) – leider krieg“ er weder die Who-Autogramme, noch die Alice CooperGoldplatte: Sie – und somit auch nichts anderes – passen nicht in sein Budget. Auch leicht frustriert, nichtsdestoweniger in guter Stimmung, ist Alexis (Wimpel 31): Sie, nach eigener Aussage „der größte Debbie Harry-Fan im Raum“, kann sich für deren handgeschriebenen Text von ‚Heart Of Glass‘ nicht einmal den Startpreis leisten (550 Pfund). Dennoch gehen nicht alle Fans leer

aus, so etwa die Journalistin Francine: „Ich verkaufe gewisse Stücke schon weiter“, sagt sie, „aber ich kaufe trotzdem nur Dinge, mit denen mich emotional etwas verbindet.“ Bei den Sex Pistols-Postern hat es geklappt, aber bei Zappa ist sie vom Hard Rock Cafe ausgebootet worden. Colin Newman (Wimpel 69) grinst über alle Ohren: Neben einer signierten Urausgabe der LP ‚Ogden’s Nut Gone Flake‘ der Small Faces hat er Raritäten von Jeff Beck, Led Zeppelin und Elton John erstanden dazu die unveröffentlichten Tapes einer brillanten Live-Show der Who. Colin ist bester Laune, betreibt er doch die Plattenfirma Receiver Records: „Klar hoffe ich, daß ich dafür mal die Veröffentlichungsrechte kriege.“ Pech wiederum hat Boz Boorer, Gitarrist bei Morrissey: Als Fan will er ein altes Marquee-Shild und ein Schlagzeug von T. Rex – und bekommt nichts. Pech hat auch Darren, der sich nur von hinten photographieren lassen will, weil niemand wissen darf, daß er nicht den elterlichen Antiquitätenladen hütet: Als „Sammler und Händler“ will er unbedingt ein paar Relikte von Apple Records, aber die Idee haben auch andere… Auch Verkäufer sind zugegen, etwa der Star-DJ Paul Gambaccini, der seine Vinyl-Sammlung abstößt, weil sein „Musikzimmer nur noch aus Platten und nicht mehr aus Zimmer besteht“. Leider bleibt er auf seiner Ware sitzen: auch hier wird das Mindestgebot nicht erreicht. Insgesamt scheinen die Preise überhaupt recht willkürlich davon abzuhängen, wieviel einzelnen Sammlern am jeweiligen Stück liegt: Obwohl Hendrix-Souvenirs im großen Ganzen gut laufen, bringt sein Schmuck nur wenig ein. Poster, Tickets und dergleichen erleben derzeit eine Baisse. Prince, Pink Floyd und Pearl Jam scheinen kaum sammelwürdig zu sein – dafür Bob Marley umso mehr. So folgt Posten nach Posten – insgesamt sind es an diesem Donnerstag rund 700. Einmal wenigstens bricht in den Reihen doch noch eitel Schnattern und Kichern aus. Penny Channing ist mit Ehemann und Tochter aus Essex angefahren, um den Verkauf ihrer Beatles-Autogramme zu erleben. Jetzt fällt das Hämmerchen bei 4.300 Pfund statt der erwarteten 700 Pfund. Penny strahlt über das ganze Gesicht: „Erst vor kurzem sagte mir jemand, daß die Dinger was wert sein könnten!“